Ausstellung

Mehr als Speer: Ausstellung über die Macht des Bauens in der NS-Diktatur

Die Ausstellung „Macht Raum Gewalt“ in der Akademie der Künste zeugt von der Bedeutung des Planens und Bauens im Nationalsozialismus.

Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, und Kurator Benedikt Goebel in der Ausstellung in der Akademie der Künste.
Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, und Kurator Benedikt Goebel in der Ausstellung in der Akademie der Künste.Annette Riedl/dpa

Der Blick von oben aus der Drohnenperspektive wirkt lange nach. Menschen sind auf den Aufnahmen, die der Fotograf Rainer Viertlböck von den Arealen der einstigen Konzentrations- und Vernichtungslager der NS-Diktatur gemacht hat, nicht zu sehen. Und doch sind die Bilder dokumentarische Manifestationen der Gewalt.

Sie zeigt sich im düster-bläulichen Winterkleid der Landschaften, in denen die geometrischen Formen wie die Hinterlassenschaften von Außerirdischen anmuten. Kulmnhof, Treblinka, Stutthof – die ins Abstrakte tendierende Kargheit der Fotos verweist auf eine Architektur der Überwachung, Beherrschung und Vernichtung, die weit über die jeweiligen Lager hinausging.

In der Ausstellung „Macht Raum Gewalt“ über das Planen und Bauen im Nationalsozialismus haben Rainer Viertlböcks Lageransichten den mit Abstand größten Schauwert. In der sehr text- und modelllastigen Schau in der Akademie der Künste am Pariser Platz wirken sie wie Mahnmale, die auf eine nicht zu schließende Lücke in der Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen verweisen.

Wer aus dieser Irritation sich herauszuarbeiten bereit ist, muss einige Zeit für einen Ausstellungsrundgang veranschlagen. Es gehe darum, schreibt Bundesbauministerin Klara Geywitz im Grußwort des Katalogs, „die personellen und ideologischen Kontinuitäten und Brüche zwischen dem Deutschen Reich vor und nach 1933 und den beiden deutschen Staaten nach 1949“ zu rekonstruieren.

Das gilt nicht allein für die Institutionen des Bauwesens. Es ist an der Zeit, den Blick zu weiten für die Übergänge; die Gewaltherrschaft des NS begann nicht erst 1933, und allmählich wird deutlich, dass immer wieder neue Perspektiven auf sie eingenommen werden müssen. In privaten Firmen ebenso wie staatlichen Institutionen.

Die Dekoration der Gewalt

Es ist ein im besten Sinne aufklärerisches Unterfangen, das Geywitz’ Amtsvorgängerin Barbara Hendricks 2017 auf den Weg gebracht hat, indem sie eine unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der nationalsozialistischen Bauens sowie dessen Nachwirkungen eingesetzt hat. Nirgends hat sich die NS-Vergangenheit stärker gehalten als in Architektur und Stadtplanung.

Erst allmählich beginnt sich ein Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Gebäude, Flurbereinigung und Straßenführung ein zentraler Bestandteil der Ausbildung wirksamer Machtstrukturen waren. Was die Kommission nun in ihrem über tausend Seiten umfassenden Bericht vorgelegt hat, macht auf erschreckende Weise deutlich, wie nah, gegenwärtig und hartnäckig die ideologischen Prägungen des tausendjährigen Reiches sind.

So gesehen kann man Bericht und Ausstellung als Gelegenheit auffassen, sich von Vorstellungen über die NS-Architektur zu verabschieden, die bisher in handlichen Klischees über noch immer sichtbare Monumentalbauten wie das Berliner Olympiastadion, das Münchner Haus der Kunst sowie das Nürnberger Reichsparteitagsgelände aufgingen. Dienten Architektur und Städtebau zu Beginn der NS-Zeit, wie Wolfgang Schäche im Katalog schreibt, einer Art Dekoration der Gewalt, die vielen Arbeitslosen neuen Halt gab, so konkretisierten sich mit der Konsolidierung der politischen Macht deren systemstabilisierende Funktionen.

Das ist ganz buchstäblich zu verstehen. Die Anlage eines sogenannten Achsenkreuzes, das Grundmotiv der Neugestaltung der Reichshauptstadt Berlin als auch die Gestaltmuster der achsenbegleitenden Baublöcke sollte sich noch auf die kleinste Gauhauptstadt übertragen. Die Orientierung aufs Schema ist es wohl auch, die den Eindruck erzeugt, dass sich ein Gebäudeensemble wie die monumentale Ferien- und Wohnsiedlung Prora auf Rügen erst durch eine langsame Kamerafahrt von der Wasserseite her erschließt. Der Begriff einer Ästhetik des Bauens erhält so eine ganz andere Konnotation.

Weitgehend unbearbeitet ist erstaunlicherweise jener Nachkriegspragmatismus, mit dem viele NS-Bauten unmittelbar nach Ende des Krieges genutzt wurden, etwa zur Unterbringung von „displaced persons“, Flüchtlingen und Vertriebenen. Die Architektur der Gewalt wirkte auch in den vermeintlichen Frieden hinein. Der diskursive Aufwand, der in den vergangenen Jahren zur lange unreflektierten Übernahme des deutschen Pavillons auf dem Biennale-Gelände von Venedig aufgewandt wurde, blieb vielen Räumen und Gebäuden der Alltagsarchitektur leider verwehrt.

Das freundliche Monster Albert Speer

Das hat gewiss auch mit der ebenso monströsen wie narzisstischen Gestalt von Hitlers Baumeister Albert Speer zu tun, der einen Großteil der architekturkritischen Aufmerksamkeit schon deshalb absorbierte, weil er seine eigene Rolle innerhalb des NS-Regimes bis zu seinem Tod 1981 so lange verfälschen und verklären konnte.

Man kann gar nicht umhin, den Ausstellungsort, die Akademie der Künste, als authentischen Ort zu betrachten. Von 1937 bis zu seiner Teilzerstörung 1945 war das Haus der Akademie Sitz der Generalbauinspektion für die Reichshauptstadt. 1998 hatte Klaus Maria Brandauer hier Esther Villars Zweipersonenstück „Speer“ inszeniert (mit Peter Simonischek) und dabei nicht zuletzt nach der Magie des Ortes gesucht.

Man könnte die hölzern-karge Ausstellungsarchitektur als Kontrapunkt zur mythischen Dimension des Bauwesens in der NS-Diktatur verstehen. Tatsächlich ist sie wohl dem angestrengten Bemühen geschuldet, den inhaltlichen Reichtum der Forschungsergebnisse nur annähernd abzubilden. Wer verstehen will, wird lesen müssen. Warum denn auch nicht.

Macht Raum Gewalt. Planen und Bauen im Nationalsozialismus. Ausstellung und Veranstaltungen in der Akademie der Künste am Pariser Platz. Vom 19. April bis zum 16. Juni 2023. Der Katalog umfasst 320 Seiten und kostet 20 Euro. Programm unter: www.adk.de