Gespalten, zerstritten zeigte sich die deutsche Sektion der Schriftstellervereinigung PEN bei ihrer Jahrestagung am vergangenen Wochenende in Gotha. Der erst im Oktober gewählte Präsident Deniz Yücel trat verärgert ab. Am Ende wurde ein Übergangspräsidium gewählt – mit der Aufgabe, einen Neustart in die Wege zu leiten. Wir sprachen mit dem Interimspräsidenten Josef Haslinger über die Chancen und die hinter dem offen ausgetragenen Streit liegenden Probleme.
Auf die Berichterstattung zur Mitgliederversammlung des PEN-Zentrums Deutschland gab es Reaktionen, die nahelegen, dass das Hauptproblem nicht Deniz Yücels Äußerung zur Ukraine war. Es habe vielmehr darin bestanden, wie er als PEN-Präsident und Joachim Helfer als Schatzmeister mit den Mitarbeiterinnen in der Geschäftsstelle umgegangen sind. War das für Sie der Konflikt, an dem der PEN fast zerbrochen wäre?
Ja, das kann man so sagen. Ich glaube, dass der Auftritt der Mitarbeiterinnen vom Büro während der Tagung großen Nachdruck hinterlassen hat. Über die Hintergründe gibt es selbstverständlich diverse Ansichten. Es war sicher ein wichtiger Faktor, der dazu geführt hat, dass Joachim Helfer abgewählt und Deniz Yücel fast abgewählt wurde.
Kann es also sein, dass in den Medien das wesentliche Problem falsch aufgefasst wurde?
Es gab eine zerrüttete Kommunikation, so hat etwa die Zusammenarbeit zwischen dem Generalsekretär und dem Präsidenten nicht mehr funktioniert. Und auch nicht die zwischen anderen Präsidiumsmitgliedern. Es gab mehrere Mediationsversuche, die gescheitert sind. Diese atmosphärischen Probleme, die von Wortmeldung zu Wortmeldung unlösbarer wurden, sind der Hintergrund für die tumultartigen Zustände in Gotha.
Also war die Mitgliederversammlung nur der Höhepunkt einer Entwicklung?
Ja, sonst wäre die Emotionalität an diesen beiden Tagen nicht verständlich. Das ging über Monate. Der Unmut sammelte sich auf beiden Seiten. Da wurden Mails weitergeleitet, wo sie nicht hingehört hätten, PEN-Mitglieder beschuldigten einander gegenseitig.
Julia Franck hatte sich am Sonnabend aus der Zoom-Konferenz gemeldet und die Sprache beklagt: Von Frontlinien und Lagern war die Rede. Hatten Sie auch den Eindruck, dass es sprachlich eskaliert war?
In erster Linie sprachlich. Man kam ja gar nicht mehr dazu, die sachlichen Gründe darzustellen, die zu diesen Abwahlanträgen geführt hatten. Die Wortwahl erschlug jegliches Argument.
Vor allem am zweiten Tag äußerten sich mit ihr, Thea Dorn, Daniel Kehlmann, Eva Menasse einige prominente Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die offenbar sonst nicht so oft zu den Tagungen gekommen waren. Wäre es eine Möglichkeit, den PEN zu reformieren, indem man diese Mitglieder mehr einbindet?
Das ist eigentlich die Hauptidee: Anstatt auszutreten, wäre es richtig, sich als Kandidat zur Verfügung zu stellen und sich zu engagieren. Darunter leidet der PEN seit Jahren, dass zwar neue und junge Mitglieder aufgenommen werden, die aber nicht sichtbar sind. Dann, wenn die Dinge falsch laufen, einfach auszutreten, finde ich schwierig zu handhaben. Ich würde mir wünschen, dass eine Atempause eintritt von ein paar Sommermonaten. In der Zeit können wir die außerordentliche Mitgliederversammlung vorbereiten und hoffentlich genügend Kandidaten für ein neues Präsidium finden. Wir müssen versuchen, eine neue, offene Atmosphäre zu schaffen, in der viele Mitglieder bereit sind, zu diesem Verein etwas beizutragen.
Welchen Zeithorizont haben Sie?
Er ist von der Notwendigkeit, einen schnellen Neustart hinzukriegen, diktiert. Ich nehme an, die Mitgliederversammlung wird Anfang Oktober sein. In der Zwischenzeit müssen wir, die dem Übergangspräsidium angehören, möglichst viel Überzeugungsarbeit leisten. Das Gefühl einzelner Mitglieder, dass bestimmte Gruppen den PEN als Erbpacht betrachten, muss verschwinden.
Erbpacht deutet darauf hin, dass es einen Generationenkonflikt gibt.
Nein, es ist kein Konflikt zwischen Jung und Alt. Friedrich Christian Delius hat seine Erklärung, warum er nach fünfzig Jahren austritt, öffentlich gemacht – und darin in einer Zeile zu erkennen gegeben, dass er sich im PEN in den letzten 25 Jahren nicht mehr engagiert hat, sondern nur noch passives Mitglied war. Aber das waren gerade die Jahre, in denen zum Beispiel das ambitionierte Writers-in-Exile-Programm aufgebaut wurde. Wir können nur hoffen, dass diejenigen, die sich aufgrund der Vorkommnisse in Gotha im PEN nicht mehr zu Hause fühlen, ihrerseits bereit sind, für das neue Zuhause etwas zu tun.
Sie haben viel Applaus bekommen, als Sie eingestanden, Ihre Unterschrift unter einem Brief, der den Rücktritt Yücels forderte, inzwischen als Fehler anzusehen. Dieser Brief allerdings behandelte nicht das Verhältnis zu den Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle, von dem wir eingangs sprachen, sondern Deniz Yücels Ruf nach einer Flugverbotszone für die Ukraine.
Solche Äußerungen muss man selbstverständlich im PEN diskutieren. Sie waren auch Thema bei der Abendveranstaltung, da gehörten sie hin. Ich würde nicht einmal den Brief an sich als falsch ansehen, warum sollten wir vier Altpräsidenten und eine Altpräsidentin ihm unsere Besorgnis nicht mitteilen? Falsch war der letzte Satz, mit dem wir ihn aus diesen Gründen zum Rücktritt aufgefordert haben. Ich habe mit den anderen nicht wieder darüber gesprochen, aber ich denke, es war nicht die gescheiteste Vorgangsweise. Natürlich kann ein PEN-Präsident auch Meinungen äußern, die nicht von der Mehrheit der Mitglieder geteilt werden.
Deniz Yücel zeigte sich davon nachhaltig verletzt. Er twitterte nach Ihrer Wahl zum Interimspräsidenten, dass Sie zu jenen Briefschreibern gehörten. Haben Sie noch einmal mit ihm gesprochen?
Nein. Am Vorabend der Tagung hatten wir ein kurzes, freundliches Gespräch, in dem ich ihm auch mittelte, dass ich die Rücktrittsforderung wegen seiner Äußerungen zur Flugverbotszone in der Ukraine nicht mehr unterstütze. Am letzten Abend, nach der Diskussion über die Ukraine, wollte ich auf ihn zugehen. Doch er hat sich abgewandt und mich wissen lassen, dass er mit mir nichts mehr zu tun haben wolle.
Was halten Sie von seiner Bezeichnung „Bratwurstbude“ für den PEN? Sie sind ja Österreicher. Ich fand das Bild ganz treffend, als etwas typisch altmodisch Deutsches.
Mir ist schon klar, Bratwurstbude meint Biederkeit, eine gewisse Unbeweglichkeit in Bezug auf neue Entwicklungen, den Versuch, alte Heimeligkeiten zu wahren. Ich tue mich aber schwer mit der Zuordnung dieses starken Bildes für den PEN. Denn auch unter den Kritikern Yücels gibt es welche, die sich mit großem Engagement für die Sache eingesetzt haben. Und das ist ja überhaupt meine Hoffnung, dass die Mitglieder sich an das gemeinsame Anliegen erinnern.
Was ist denn das Wichtigste für Sie am PEN?
Unsere zentrale Aufgabe ist der Einsatz für die Meinungsfreiheit. Dafür ist der PEN vor hundert Jahren gegründet worden. Das bedeutet einerseits eine gewisse Hellhörigkeit für gesellschaftliche Entwicklungen im eigenen Land und ist anderseits eine internationale Aufgabe. Wir müssen darauf achten, wenn Autoren in der Ausübung ihrer Rechte auf diktatorische Weise drangsaliert werden. Das ist nicht weniger geworden, im Gegenteil. Mit diesem Einsatz ist das deutsche PEN-Zentrum unter allen etwa 140 PEN-Zentren der Welt ein wahrer Lichtpunkt geworden. Wir haben das Glück, dass uns die deutsche Bundesregierung dabei unterstützt. Es wäre verheerend, das großartige Writers-in-Exile-Programm, das so vielen Autoren geholfen hat, den Verfolgern zu entkommen und sich ein neues Leben aufzubauen, jetzt wegen unserer Streitigkeiten unterbrochen oder beendet würde.
Sind Sie eigentlich auch im österreichischen PEN?
Nein, ich bin in der Grazer Autorenvereinigung. Der österreichische PEN hat in den 70er-Jahren eine derart konservative Entwicklung genommen, dass viele dort gar nicht Mitglied sein wollten. Er hat sogar damals gegen den Nobelpreis für Heinrich Böll protestiert. Und so wurde die Grazer Autorenversammlung als Gegenorganisation gegründet.
Seit Mitte der 90er-Jahre sind Sie im deutschen PEN-Zentrum. Damals gab es einen Streit um die Vereinigung des bundesdeutschen PEN mit dem aus der DDR. Wie haben Sie das erlebt?



