Brot und Rosen, das forderten Frauenrechtlerinnen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Slogan wurde von vielen politischen Gruppen und Aktivistinnen aufgegriffen. „Brot ist Nahrung für den Körper. Rosen nähren etwas nicht Greifbares: nicht nur das Herz, sondern auch die Fantasie, die Seele, die Sinne, die Identität.“ So sagt es Rebecca Solnit in ihrem neuen Buch, dessen Dreh- und Angelpunkt Rosen sind, und zwar drei Büsche, die George Orwell 1936 in seinen Garten pflanzte.
Seine Freude am Gärtnern ist unsicher überliefert, passt sie doch schlecht ins traditionelle Bild vom linken Schriftsteller und Kämpfer, und genau deshalb interessiert sich Solnit für Orwell, genauer: für ihn und seine Rosen. Denn Orwell schrieb nicht nur gegen totalitäre Gewalt an, sondern für etwas. Neben Aufrichtigkeit war es so schwer Messbares wie „Freude, Muße, Selbstbestimmung“, um noch einmal Solnit zu zitieren, alles Qualitäten, die ein Dogma schnell durcheinanderbringen. Sie findet sie in Orwells Büchern und in seinen Beeten, in seiner Freude an Kohl, Tomaten und schönen Blüten.
Die Autorin von „Wenn Männer mir die Welt erklären“
Solnit ist selbst eine hochinteressante Schriftstellerin. Wir verdanken ihr feministische Texte wie „Wenn Männer mir die Welt erklären“, aber auch Essays über Umweltschutz, Wandern und Kulturgeschichte. In „Orwells Rosen“ nun nimmt sie Blumen als Sinnbild für Lebenslust, Fantasie und Freude, fragt aber auch nach der ganz handfesten gesellschaftlichen Relevanz der Flora: Sie erzählt von prähistorischen Pflanzen, die zu Kohle wurden, Kinderarbeit in englischen Bergwerken und Klimakrise. Sie führt uns zu den bildhübschen Rosenrabatten englischer Adliger und erzählt von den Zuckerrohrplantagen, die sie reich machten, und über die man beim Tee nie sprach.
Sie berichtet von kolumbianischen Arbeiterinnen, die Rosen für den internationalen Massenmarkt anbauen. Und sie erinnert an den Saatgutforscher Nikolai Wawilow, der im Straflager starb, während seine Erkenntnisse tabu waren und Millionen Menschen verhungerten. Dazwischen treffen wir immer wieder Orwell, der im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte, gärtnerte und mit „1984“ und „Farm der Tiere“ Romane schrieb, in denen er politische Lügen anprangerte und – ganz nebenbei und oft unbemerkt - die subversive Kraft alltäglicher Freuden feierte.
Auch Pflanzen sind politisch
Solnit mäandert in sieben großen Kapiteln durch diese Themen, erzählt anschaulich und lebendig, egal, ob es um sowjetischen Weizen oder um Beobachtungen in riesigen Gewächshäusern, um Orwells Garten, Leben oder Schreiben geht. Seine Texte hat sie gründlich gelesen, wie auch jede Menge historisches Material über die 1930er- und 40er-Jahre, Tina Modottis Rosenfotos, Stalins Zitronenbäume, Discounterblumen und vieles mehr.
Mit all dem bringt sie den Kapitalismus, seine Grausamkeit und Gier nach fossilen Brennstoffen (die ja auch einmal Pflanzen waren), globalisierte Lieferketten und koloniale Gewalt, stalinistische und andere Praktiken der Lüge und Gewalt in einen klaren, aber nie starren Zusammenhang. Sie hat einfach das Talent, Komplexes mit leichter Hand so zu entfalten, dass die Angelegenheit mit jedem neuen Aspekt anschaulicher wird. Das zu lesen ist ein Vergnügen und zeigt, dass auch im Schreiben großer politischer Ernst und Vergnügen keine Gegensätze sein müssen.



