Als der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan im Oktober seine Dankrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hielt, sprach er zu Beginn von einem Kühlwagen, den er für die Front bei Charkiw besorgt hatte. Daran erinnert der deutsche Schriftsteller Ralf Bönt am Montag in Berlin am Telefon. Eigentlich wollte er dabei sein, als am Wochenende Feuerwehrautos mit Generatoren an Serhij Zhadan in Charkiw übergeben wurden. Nun hustet er allerdings ins Mikrofon, es hat ihn erwischt, wie so viele jetzt. Ralf Bönt war es, der zusammen mit der Publizistin Liane Bednarz am 2. Dezember beim Kongress des noch jungen PEN Berlin die Initiative „Feuerwehrautos für Charkiw“ vorstellte und um Spenden warb.
Auf den Fotos, die der PEN am Sonnabend aus Charkiw schickte, sieht man neben Liane Bednarz den Sprecher der Berliner Organisation, Deniz Yücel, sieht man Serhij Zhadan mit seiner kleinen Tochter, auch seinen Bruder Gennady – der den Trupp von Lwiw aus begleitete, mit seinen Sprach- und Ortskenntnissen und als Ablösung am Lkw-Steuer. Die Menschen stehen vor zwei ausgemusterten, aber voll funktionsfähigen Feuerwehr-Rüstfahrzeugen, ausgestattet mit je einem 20-Kilovoltampere-Notstromgenerator, einem Anhänger, 28 Dieselgeneratoren mit acht kVA-Leistung, einem Dieselgenerator mit 50 kVA-Leistung, zwei Benzin-Generatoren mit 6,6 kVA-Leistung, Bauheizungen von sechs mal sechs Kilowatt sowie sieben frostsicheren Trinkwassertanks à 1000 Liter. Außerdem befinden sich in der Ladung Ersatzreifen, Packmaterial und Werkzeug.
Zur Zukunft verdammt
Ralf Bönt muss man das nicht erzählen, er hat sich wochenlang mit den Details beschäftigt. So sehr, dass er nachts aufschreckte und ihm einfiel, dass auch Ersatzräder wichtig seien. Wenn man ihn nach dem Anfang fragt, erwähnt er zunächst einen Essay, den er für die Zeitschrift Sinn und Form verfasst hat, der noch auf die Veröffentlichung wartete, als die russischen Truppen am 24. Februar 2022 die Ukraine überfielen. Über den „Verlust der Gegenwart“ habe er geschrieben und ihn dann aktualisiert. Er wollte ergänzen, wie der Politologe Alexander Dugin das Expansionsstreben Putins bereits vorbereitet hatte.
Das klingt weit weg, beschreibt aber den Weg der Gedanken Bönts, der die Ohnmacht angesichts des Krieges nicht aushalten wollte, und der sagt, es habe ihn beeindruckt, als der russische Schriftsteller Vladimir Sorokin, der jetzt im deutschen Exil lebt, von einem „Krieg gegen die Zukunft“ sprach. „Aber noch besser traf es, was Zhadan in seiner Rede formulierte: Wir sind zur Zukunft verdammt“, sagt er. Und als Brönt im Fernsehen die Berichte von der Zerstörung der Stromversorgung in der Ukraine sah, habe er eine E-Mail an Serhij Zhadan geschrieben: Würden Euch Fahrzeuge mit Notstromgeneratoren helfen? „Er hat sofort geantwortet. Da sah ich mich in der Pflicht.“
Bevor er im Festsaal Kreuzberg auf der Bühne saß und seinen Kollegen vom PEN Berlin die Idee verkündete, hatte er schon viel Zeit im Internet und am Telefon verbracht, auf der Suche nach geeigneten Fahrzeugen, nach der Möglichkeit, sie vernünftig auszustatten, nach Geldgebern, sogar zufällige Begegnungen kamen ihm zu Hilfe. Eines Morgens las er in einem Café in Prenzlauer Berg das Buch „In Putins Kopf“ des französischen Philosophen Michel Eltchaninoff, wurde von einem Gast darauf angesprochen, in ein Gespräch verwickelt – und an den Hamburger Unternehmer Sebastian Pape weitervermittelt, der eine größere Summe spendete. Auch wie die DFB-Stiftung Egidius Braun in die Reihe der Erstspender kam, verbindet sich bei Bönt mit einer Geschichte. Er hatte in deren Gründerjahren in der Autoren-Fußballnationalmannschaft gespielt, mit Thomas Brussig, Ingo Schulze und anderen, und war dann eine Weile für das Programm der Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes verantwortlich. Diesen persönlichen Kontakt nutzte er.
Strom für ein ganzes Krankenhaus
So kam eins zum anderen, hilfreich für Bönt waren auch seine Erfahrung im Erstberuf als Automechaniker und sein Physikstudium: Wie Generatoren betrieben werden, kann er sich vorstellen, und dass ein Fahrzeug mit Wassertanks für den ukrainischen Winter auch eine Isolierung und Standheizung braucht, musste ihm keiner umständlich erläutern. Aber das deutsche Stiftungsrecht und das Spendenwesen überhaupt ließen ihn ahnen, dass er Partner braucht, die Spendenquittungen ausstellen können. Das Board des PEN Berlin wollte mehr als das: eine offizielle Aktion.
Bis Anfang Januar gingen rund 167.000 Euro auf dem Spendenkonto ein. Mit dem großen Generator lässt sich beispielsweise ein ganzes Hospital oder eine Schule versorgen, so die Mitteilung der Überbringer des Materials, die kleineren Generatoren entsprechen dem Energiebedarf eines Wohnhauses, könnten etwa Wärmestuben für viele Menschen inklusive Mediennutzung und Handyaufladungen betreiben. Der erste Einsatzort wird Kosatscha Lopan sein, wo die russischen Besatzungstruppen Massengräber und eine verwüstete Infrastruktur hinterlassen haben.

„Ich wollte nicht nur einen Essay geschrieben haben“, sagt Bönt. „Recht zu haben ist das eine, aber einen Unterschied zu machen vor Ort, der darin besteht, dass viele Menschen es wieder warm haben und ihre Handys aufladen können, ist eine andere Sache.“
Wir erreichen Deniz Yücel am Sonntag noch in Charkiw, er wird einige Tage in der Ukraine bleiben und recherchieren, ist ja schließlich im Hauptberuf Journalist. Angst habe er nicht gehabt in der Zeit seit Mittwoch, als sich die zwei großen Fahrzeuge samt Anhänger auf den Weg machten, etliche Checkpoints passierten, immer mal warten mussten. Dass sie über die zum Teil schlechten Straßen kommen würden, sei sowieso klar gewesen, schließlich haben die Rüstfahrzeuge Allradantrieb. „Uns hat die Waffenruhe zum orthodoxen Weihnachten geholfen“, sagt er. Und so ist es auch passiert, dass Zhadans Tochter mit aufs Bild kam. Die Lieferung aus Deutschland wurde wie ein Weihnachtsgeschenk begrüßt.
Die Lkw-Fahrer kamen als Engel
In der Erklärung des PEN gibt es eine ganze Reihe von Danksagungen, zum Beispiel an die Berliner Innensenatorin Iris Spranger und die Berliner Zulassungsbehörde, weil die schnell nötige Papiere und die Überstellungskennzeichen besorgt hätten. Ralf Bönt lobt die zwei Lkw-Fahrer aus dem Sauerland, die sich kurzentschlossen und ohne Bezahlung bereit erklärten, die Lieferung zu steuern. „Die kamen wie zwei Engel aus einem Wim-Wenders-Film“, sagt er und lacht über seine Schwärmerei. „Lastwagenfahrer gibt es im Moment praktisch nicht, die werden überall gesucht.“
Und wie ist das, als Vertreter einer Organisation von Schriftstellern und Publizisten, mit Stromgeneratoren durch Europa zu reisen? Der PEN unterstütze doch sonst verfolgte Autoren. „Wir haben den Verein nicht gegründet, um Feuerwehrautos nach Charkiw zu schicken“, sagt Yücel, „aber wir haben ihn durchaus auch gegründet, um nicht nur die Wege zu gehen, die im Namen des PEN seit Jahren gegangen werden: dass irgendwelche Männer mit Schnauzbart unter Schwaden von Pfeifenrauch mit heiligem Ernst Resolutionen verkünden. Man kann auch versuchen, etwas Neues zu machen.“ So wie Serhij Zhadan, der Dichter, Romanautor und Sänger. Das ist nachlesbar in seinem Tagebuch „Der Himmel über Charkiw“. Der Kühlwagen, den er im Sommer besorgt hat, war dafür gedacht, Leichen abzutransportieren, die schon lange in der Sonne lagen.


