Kunst

Urlaub in Holland: Die Potsdamer Barberini-Ausstellung „Wolken und Licht“

Chillen am Strand? Nightlife in Amsterdam? Pointillistisch mit der Wahrnehmung spielen? Das Barberini macht Bock darauf, nach Holland zu fahren. Aber wohin?

Titelbild der Barberini-Ausstellung: Ferdinand Hart Nibbrigs „In den Dünen von Zandvoort“
Titelbild der Barberini-Ausstellung: Ferdinand Hart Nibbrigs „In den Dünen von Zandvoort“Singer Laren

Einladungen zum Grillabend sind in Holland mit besonderer Vorsicht zu genießen. Mittags noch so herzlich ausgesprochen, sind sie am Abend womöglich schon längst nicht mehr gültig. Nicht weil der Holländer an sich so wechsellaunisch wäre oder das Grillgut dortzulande so verderblich; aber das Wetter in Holland, das ist eben doch der Wahnsinn! Der unstete Meereswind treibt seinen Schabernack mit den Wolken. Kein Himmel so lieblichblau, als dass der Wind ihn nicht binnen Minuten wieder mit erbarmungslosen Wolkenmustern überziehen könnte – nur um die grau-weiß-graue Wolkendecke keine Viertelstunde später wieder wegzureißen und die Sicht aufs lichte Blau zu klären, ganz so, als wäre nichts gewesen: Alles nur Spaß!

„Wolken und Licht“ heißt nun trefflich die neue Ausstellung im  Potsdamer Museum Barberini, die sich dem holländischen Impressionismus widmet. Wer in einer solchen Landschaft lebt, den kann das kaum kaltlassen. Klar, die Holländer wollen weg von all den Klischees. Das fängt schon beim Namen an: bloß nicht Holland sagen! Zumindest nicht, wenn man die ganze Niederlande meint, wovon Holland nur zwei (der zwölf) Provinzen bildet. Und auch vom Image des niedlichen Tulpen-Tomaten-Gouda-Windmühlen-Landes will man weg. „Alles außer flach“ lautet etwa das Gastlandmotto der Niederlande für die Leipziger Buchmesse 2024. Man sieht sich lieber als multikulturelle, progressive Hightech-Nation: Bei Computerchips und Wasserstoff ist man industriell weit vorne. Die Niederlande waren weltweit die Ersten, die die Ehe für alle einführten. 2001 war das schon, 16 Jahre vor Deutschland. Und mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag hat man einen Ort der Menschenrechte geschaffen. So sehen die Niederlande 2023 auch aus.

Trotzdem nimmt man sich selbst ja immer mit, und auch die Niederlande werden ihre besondere Landschaft so wenig los wie ein Mensch seinen Körper. Ein wenig selber formen und nachbessern kann man freilich schon. Und auch das haben die Niederländer fleißigst getan: Ein Viertel der Landesfläche liegt bekanntlich unter dem Meeresspiegel. Ab Beginn des 17. Jahrhunderts haben die Niederländer über ausgeklügelte Trockenlegungsverfahren gigantische Landmengen dem Meer abgetrotzt. Sogenannte Polderlandschaften. Windmühlen halfen beim Abpumpen der Wassermassen. Die Mühlen sehen also nicht bloß idyllisch aus, sondern sind gewissermaßen doch der Anfang von Hightech in den Niederlanden.

Wolken und Licht im Museum Barberini: Zeitreise in 110 Gemälden

Im Barberini-Museum lassen sich die Niederlande nun auf eine Weise erkunden, wie das bislang noch nirgends möglich war; in Deutschland schon gar nicht, aber nicht mal in den Niederlanden selbst. Das liegt am besonderen Ausstellungskonzept, das der Chefkurator Michael Philipp für „Wolken und Licht“ ersonnen hat. Kurzum: Auf drei Barberini-Etagen sind drei Strömungen der niederländischen impressionistischen Malerei zu besichtigen; rasch aufeinanderfolgend, quasi im Dekaden-Rhythmus, aber substanziell verschieden. Eine Zeitreise in 110 Gemälden. Abgesehen von Vincent van Gogh und Piet Mondrian sind diese Maler in Deutschland abseits von Expertenzirkeln heutzutage eher unbekannt.

In den Niederlanden andererseits, dem Mutterland der Erstliga-Landschaftsmalerei, sind diese Maler großteils solche Stars, dass man ihnen eher Einzelschauen widmet; oder solche Ausstellungen, die sich auf eine der drei besagten Strömungen konzentrieren, statt den ganz großen Überblick zu wagen, wie es nun das Barberini tut. Vermutlich hat der etwas distanziertere Blick aus Deutschland sogar dabei geholfen. 

Amsterdam Big City Life: „Wolken und Licht “im Museum Barberini Potsdam

Da wäre zunächst die Haager Schule ab circa 1870, zu sehen auf der ersten Barberini-Etage: Landschaftsmalerei aus Den Haag und Umgebung, die ans 17. Jahrhundert anknüpft. Ein Stockwerk höher widmet sich das Museum dem Amsterdam-Impressionismus ab circa 1880: Großstadttrubel, big city life, Nachtleben bei elektrischem Licht. Und auf der obersten Etage geht es um den Pointillismus ab circa 1890 mit seinem typischen, getupften Farbauftrag – und ersten abstrakten Tendenzen.


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„Ansicht von Delft“ heißt das erste Gemälde, das ins Auge fällt auf der Haager-Schule-Etage im Barberini. Es eröffnet das Ausstellungskapitel „Weiter Himmel über flachen Wiesen“. Johan Barthold Jongkind hat dieses Gemälde bereits 1844 gemalt; somit zeigt es, wo die Haager Schule herkommt: aus der Tradition der Feinmalerei, deren Maßstab ganz das 17. Jahrhundert ist. Gedeckte Farben mit viel Freude an Braun- und Grau-Nuancen. Wir sehen ein paar Boote übers Spiegelwasser gleiten. Wäre da nicht das fulminante Schauspiel der Wolken, die bei niedrigem Horizont knapp zwei Drittel des Bildes einnehmen – man könnte sich fast wundern: Was daran ist denn so malenswert? 

Der Maler Willem Maris sagt: „Ich male keine Kühe, sondern Licht.“

Doch es ist eben gerade das Flüchtige, das Beiläufige, das Unimposante, das den Impressionismus und somit auch die Haager Schule reizt: In den meeresnahen Landschaften, die wir im Barberini sehen, stehen keine Burgen oder Schlösser oder auch nur deren romantische Ruinen. Auch Historienmalerei hat die Niederländer kaum je interessiert. Die Hinwendung der Haager Schule zum Alltäglichen drückt aber auch einen gewissen Stolz aus: Diese einzigartige, obgleich auf den ersten Blick unspektakuläre Landschaft ist es wert, gemalt zu werden. Am liebsten, inspiriert durch die Franzosen, en plain air: unter freiem Himmel. Samt Fischerbooten, Dünen, Strandhafer, Strandgästen, Pferden und Kühen. Oder auch Salatgärten. Wobei sich die weiten Himmel und die großen Wasserflächen vortrefflich für Lichteffekte fruchtbar machen lassen. Das war auch den Malern der Haager Schule klar.

Aber nicht nur das Wasser: auch die kurvigen Körper der Kühe mit ihrem Fell, über welches das Licht flirrt. „Ik schilder geen koeien, maar licht“, lautet das witzige Bonmot des Haager-Schule-Malers Willem Maris. Zu deutsch: „Ich male keine Kühe, sondern Licht.“ Man glaubt es leicht, etwa bei seinem „Sommer“-Bild, das Teil der Barberini-Ausstellung ist. Hier sieht man: Die dunstige Luft ist ein prächtiges Element für Lichtspiele – für die dann auch die Faktur deutlicher zutage tritt: die Spur, die Gemachtheit des Farbauftrags. Hier sind die französischen Impressionisten der Maßstab. Wie übrigens auch bei den Waldgemälden in einem weiteren Barberini-Flügel: Wald gab es in den Niederlanden kaum; aber er eignet sich einfach vortrefflich (das wussten schon die Franzosen im Wald von Barbizon bei Fontainebleau) für Licht- und Schattenspiele.

„Wolken und Licht“ im Museum Barberini: Sind wir in Paris oder in Amsterdam?

Man muss übrigens zumeist sehr suchen oder zumindest wachsam sein, um auf diesen Bildern Hinweise auf technischen Schnickschnack zu finden, abseits der Windmühlen: nur ab und an mal eine dezente Spur von Eisenbahndampf. Nicht dass die Haager Maler sonderlich technikkritisch gewesen wären; aber das Zeitliche durch historische Marker, durch Innovationen passte nicht eben gut in ihr überzeitliches Lebensgefühl. Vielleicht ist auch das Gemütliche ein Grund dafür, warum diese Gemälde kommerziell schon bald zum Hit wurden, zumal in England und in den USA?

Ganz anders eine Etage höher im Barberini! Hier meint man die Gaslichter und die elektrischen Glühbirnen knistern zu hören in den Gemälden des Amsterdam-Impressionismus. Diese Leute brauchen keine Kühe mehr, um Licht zu malen! Sie haben die Schaufenster direkt vor der Nase. Oder auch die Lichter in den Großstadt-Nachtlokalen. Das war der Knaller dieser Zeit! Keine weiten Himmel mehr. Diese nächste Generation der niederländischen Malerei ab circa 1880 zoomt in den Nahbereich. Mitunter wähnt man sich in der Bohème in Paris statt in Amsterdam, etwa in Jacobus von Looys „Café“ (1890-95).

Pointillismus im Museum Barberini: leuchtendes Kolorit, höchste Intensität

Der Pinsel fliegt den Amsterdam-Impressionisten lockerer, grober über die Leinwände als den Haager-Schülern. Und die Farben werden wärmer: Kupfer und Orange statt Silberblaugrau. Gleichwohl knüpft man an Klassiker der niederländischen Malerei an: Lebhafte Schlittschuhlauf-Szenen mochten auch Bruegel und Rembrandt schon sehr. Straßenbahnen hingegen kannten die noch nicht. Und auch den Strand als Freizeitort nicht. Ein Bild auf der Etage, das man keinesfalls verpassen sollte (aber auch kaum kann) sind die schier aus sich selbst leuchtenden magischen „Juli“-Lupinen, vom selben Künstler, der auch besagtes Nachtcafé gemalt hat: Jacobus von Looy.

Ganz oben im Barberini wird es dann so richtig abgefahren! Ab circa 1890 kommt der Pointillismus in den Niederlanden in Mode. Über Brüssel ist er von Frankreich aus hierhergelangt. Charakteristisch ist der tupferartige Farbauftrag, der die früheren impressionistischen Pinselstriche verdrängt, aber später mit ihnen kombiniert wird. Hintergrund ist eine aus heutiger Sicht pseudo-wissenschaftliche Lehre von Farbwahrnehmung, die davon ausgeht, dass durch eng gesetzte Komplementär-Kontrast-Punkte ein besonders realistischer Farbeindruck auf der Netzhaut entsteht. Auch wenn die Theorie passé ist, bleiben die Effekte sehr eindrücklich. Zumal die Pointillisten auf höchste Farbintensität stehen. Leuchtendes Kolorit! Die gedeckten Farben der Haager Schule sind hier längst nicht mehr angesagt unter den Avantgardisten – auch wenn die Kunsthändler und Sammler auch um die Jahrhundertwende immer noch die alten Haager Schinken kaufen wie verrückt.

„Wolken und Licht“: Woher kommen die „abstrakten“ Mondrian-Rechtecke?

Die pointillistische Etage im Barberini ist auch deshalb so aufregend, weil sie den Übergang zur abstrakten Malerei erlebbar macht: Bei Jacoba von Heemskerck („Zwei Bäume“) und bei Piet Mondrian („Windmühle am Abend“) bilden sich (sogar wenn sie die „guten alten“ Bäume oder Windmühlen malen) erste Farbflächen, die dem Figürlichen weichen und in die Abstraktion verweisen. Waren die symmetrisch gebauten Blumenfelder eines van Gogh („Blumenbeete in Holland“) oder auch die Wolken der Haager Schule frühe Inspiration für die weltberühmtem Rechtecke des Piet Mondrian, schwarzumrandet in Rot und Blau und Gelb? Mondrian jedenfalls war es immer wichtig, dass er vom Figürlichen herkam. So spannt die Barberini-Schau ganz schlüssig, horizonterweiternd den Bogen – bis hin zum letzten Zimmer und zu einer gewissen Zäsur, da hier  Werke des 20. Jahrhunderts ausgestellt sind; allesamt von Künstlern, die wir in der Schau schon kennenlernten, aber nun jenseits der vorigen Schulen. Tradition als Ausgangspunkt für Bahnbrechendes in alle Richtungen.

Zugegeben: Die Barberini-Ausstellung „Wolken und Licht“ macht sehr viel Lust, in die Niederlande zu fahren. Dem Chefkurator Michael Philipp ist ein Coup geglückt; man kann nur staunen, wie er die Museen in den Niederlanden überzeugen konnte, manche ihrer Säle zu leeren und ihre Schätze nach Potsdam zu verschiffen. Manches lässt sich aber gar nicht transportieren. Wer Blut, pardon, wer Ölfarbe geleckt hat, dem seien auch in den Niederlanden einige Impressionismus-Orte auch jenseits vom (nicht zuletzt durch Kiffer-Touristen) überlaufenen Amsterdam herzlich empfohlen. 

Ausflug nach Rotterdam: Van Beuningen, ein Kunst-Depot wie ein Ufo

Einfach der Wahnsinn ist das Mesdag-Panorama in Den Haag! Wir reden heutzutage so viel über virtuelle Realität und immersive Kunst. Dieses Strandbild von 1881 ist schon verblüffend viel davon: ein zylindrisches 360-Grad-Gemälde, auf 120 Metern Länge und 14 Metern Höhe, kreiert von Hendrik Willem Mesdag und einigen Mitstreitern, die auch in der Barberini-Schau vertreten sind. Man wähnt sich hier  am Nordseestrand bei Scheveningen an der Haager Küste. Mesdag war übrigens nicht nur Protagonist, sondern auch wichtigster Sammler der Haager Schule. Keinen halben Kilometer vom Panorama entfernt in Den Haag lässt sich die Mesdag Collectie, das einstige Wohnhaus von ihm und seiner Frau, besichtigen, das eine gigantische Sammlung Haager Malerei vereint – samt Verweisen auf die französischen Barbizon-Maler und auf van Gogh. Wer auf die Mondrian-Quadrate steht und mehr darüber wissen will, wo sie herkommen, muss auch unbedingt ins Kunstmuseum Den Haag; mit 300 Werken des Avantgardisten besitzt es die größte Mondrian-Sammlung der Welt.

Eine halbe Autostunde weiter im Landesinneren, in Rotterdam, findet sich eine Rarität, die mit ihren (durchaus an die Haager Schule gemahnenden Spiegelflächen) wie ein knapp 40 Meter hohes Ufo aussieht: das Depot Museum Boijmans Van Beuningen. Es handelt sich um das seit 2021 weltweit erste für Besucher zugängliche Kunstdepot. Ausdrücklich kein Museum, sondern ein wildes, abenteuerliches Sammelsurium. Touren sind heißbegehrt und lohnen sich unbedingt: Zu den 150.000 gelagerten Werken zählen Midcentury-Möbel genau so wie Meisterwerke aus Renaissance und Impressionismus. Hier schlummern sie, bis sie verliehen werden – etwa nach Potsdam für die „Wolken und Licht“-Ausstellung. Auf dem Depotdach befindet sich das schwer gehypte Restaurant Renilde. Die Naturweine sind etwas überteuert, aber die Aussicht entschädigt.

Wer mit dem Auto in den Niederlanden etwas mobiler ist, sollte auch ins idyllische Heide-Örtlein Laren fahren: Hier steht das Singer Laren, eine Backsteinvilla mit angeschlossenem Museum, unweit der ehemaligen Künstlerkolonie von Laren. Entdeckt von Jozef Israëls (auch der ist im Barberini ausgestellt), wurde Laren ein Magnet für viele Haager Maler. Darauf einen kleinen Genever (quasi holländischer Gin) im herrlichen Garten der Villa trinken! Ein Garten, wie gemacht fürs große Barbecue im Freundeskreis. Eigentlich. Wäre da nur nicht das launische Holländer Wetter.

Wolken und Licht. Impressionismus in Holland. Museum Barberini, Humboldtstraße 5-6, 14467 Potsdam, 8. Juli bis 22. Oktober