Sie verweigerten sich als erste der Angepasstheit. Und sie hatten bald ein riesiges Gefolge, diese drei namhaften Maler um 1900 im preußischen Berlin sowie in den etwas liberaleren Städten München und Wien. Der traditionsstarre wilhelminische Kunstgeschmack und der habsburgische K.u.K.-Geist stand dem oppositionellen Maler-Dreigestirn Franz von Stuck, Max Liebermann und Gustav Klimt bis zum Halse. Der Symbolist, der Impressionist, der Jugendstilmaler – drei Männer zunächst, die den Furor der Traditionalisten riskierten. Malende Frauen hatten noch keinen Zutritt zu den staatlichen Kunsthochschulen, das erlaubte erst die Weimarer Republik. Aber sie wagten sich mutig in das Fahrwasser der einflussreichen Kollegen.
Mit dem Aufbruch in die Moderne drängten die Avantgarden nach inhaltlicher und institutioneller Freiheit. Traditionelle Künstlervereinigungen hatten bislang den akademischen Ton und auch die tradierte Stilistik der Kunst vorgegeben. Nun kam es zu Abspaltungen, den Secessionen. 1892 in München, 1897 in Wien und 1899 in Berlin. Das waren neuartige Zusammenschlüsse, wo nach individueller künstlerischer Freiheit sowie nach internationaler Vernetzung gestrebt wurde.
Die soeben beginnende fulminante Schau der Alten Nationalgalerie wird zum spannenden Geschichtsexkurs und zugleich zum sinnlichen Kunsterlebnis. Mehr als 200 Gemälde, Skulpturen sowie grafische Arbeiten von rund 80 Künstlern und Künstlerinnen der damaligen Zeit haben Ralph Gleis, Direktor der Alten Nationalgalerie, und Ursula Storch vom Wien Museum zusammengebracht. Dafür nutzen sie die eignen Sammlungen und kostbare Leihgaben.
Klimts Rachegeschichte, von Stucks Skandalbild und Liebermanns Stille
Höhepunkt ist fraglos Klimts weltberühmte „Judith I“ von 1901 aus dem Wiener Belvedere. Das Alte Testament erzählt die (MeToo-)Geschichte von der schönen und gottesfürchtigen Witwe Judith, die unbewaffnet in das Heerlager von Nebukadnezars General Holofernes geht und ihn mit seinem eigenen Schwert enthauptet. Es ist die archetypische jüdische Rachegeschichte und eines der beliebtesten Motive der Kunsthistorie. Klimts Gold-Judith ist eine moderne femme fatale. Schön, verrucht, kühn und emanzipiert. In den Augen der Mörderin das Abgründige: Eros und tödliche Raserei, sinnliche Erotik und rauschhafte Gewalt. Was der Wiener Psychoanalytiker Sigmund Freud Jahre später als männliche (Kastrations-)Angst vor der Macht weiblicher Erotik beschreibt, wurde hier auf die Leinwand gesetzt. Der Kopf des Holofernes ist am unteren rechten Bildrand zu sehen. Vermutlich stand Klimts Geliebte Adele Bloch-Bauer Modell.
Franz von Stucks symbolistische „Sünde“ aus der Münchner Pinakothek ist eine 1912 gemalte Version seines Skandalbildes von 1893. Es zeigt eine Frau, ihre Stola ist eine blauschwarze Schlange, die der biblischen Eva. Dieses Symbol gibt es öfter in Stucks Bildern und ließ schon seine Zeitgenossen und Kritiker spekulieren. Wahr ist: Erotik war sein Thema. Bedrohlich, mystisch und dämonisch wirkt das Motiv. Die Farbgebung im Bild ist zweideutig. Einerseits wirkt sie durch das äußere Schwarz geheimnisvoll und verschlossen, andererseits steht das innere Weiß des schönen Frauenkörpers für Unschuld. Von Stuck scheint die entblößten Körperteile, die die „Sünde“ der jungen Frau zeigen sollen, bewusst von erdrückender Düsternis eingeschlossen dargestellt zu haben. Meinte er womöglich die damals herrschende patriarchalische, chauvinistische Sicht auf das „schöne“ und so „schwache“ Geschlecht?

Und dann der liberale Max Liebermann, der Holland-Reisende aus Preußen. Sein Secessionismus richtet sich nicht auf weibliche Erotik, Mythen oder Emanzipation. Er malte 1901 ein Landhaus hinter Bäumen. Der Malstil des späteren Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste hatte sich gerade von einem sozial orientierten Naturalismus hin zu impressionistischen Werken mit privaten Sujets gewandelt. So ganz nach dem Vorbild Manets. Das „Landhaus in Hilversum“, 30 Kilometer südlich von Amsterdam, war Domizil der Familie Bredius, deren Oberhaupt der Rembrandtforscher Jan Bredius gewesen ist. Liebermann schuf ein unspektakuläres, Stille und Abgeschiedenheit vom Lärm der Welt betonendes Bild. Vielleicht unbeabsichtigt, wirkt das impressive Motiv auch geheimnisvoll. Hinter den alten Baumstämmen im Park, dem dunklen Blätterdach und den stummen Rechtecken der Fenster, hinter der Tür in der weißen Fassade scheint Liebermann vielleicht ein paar Rätsel versteckt zu haben.

In Bildnis-Büsten zog um 1900 das Moment des Unvollendeten, des Fragmentarischen ein, und in der Malerei wurde der Frühling zum Symbol für Jugend und Aufbruch, ebenso für Eros, Begierde, Tod. Zeitschriften wie Pan und Jugend erschienen. In Wien prangt seither in goldenen Lettern „Ver Sacrum“ als Wahlspruch an der Fassade des Secessionsgebäudes. Werk für Werk können wir es sehen: Für damals aufstrebende Maler wie Corinth, Slevogt, Leistikow oder Munch funktionierten die Secessions-Ausstellungen als Sprungbrett. Im neuen Klima entfalteten sich auch Malerinnen wie Emilie von Hallavanya, Sabine Lepsius, Julie Wolfthorn und nicht zuletzt die unvergleichliche Kollwitz.
Beim Rundgang im obersten Stockwerk der Alten Nationalgalerie sollte man es nicht eilig haben. Die Werke, nicht nur die der drei erwähnten Leitfiguren der Secessions-Bewegung, die aus heutiger Sicht auf die abendländische Kunstgeschichte zu den Avantgarde-Leistungen zählen, verdienen Vertiefung und die Entdeckung von Parallelen. Es ist überdeutlich: Der Secessions-Gedanke war untrennbar mit dem Streben nach Kunstfreiheit verbunden. Es ging innerhalb der Gleichgesinnten um Individualität, um Anerkennung jeglicher Stilrichtung. Man stellte demonstrativ und selbstbewusst aus, was zunächst skandalisiert oder rigoros abgelehnt wurde.

