50. Todestag:

Picasso: Es ist an der Zeit, von König Blaubarts Frauen zu sprechen

Pablo Picasso ist das unbezweifelte Malergenie des 20. Jahrhunderts. In seinem 50. Todesjahr wird am Denkmal gerüttelt. Grund ist sein Umgang mit Frauen.

Pablo Picasso
Pablo PicassoKeystone

Am 8. April 1973 starb das Jahrhundertgenie Pablo Picasso. Weltweit gibt es ein Feuerwerk von Ausstellungen. In Paris,  Wien,  New York, in seiner Geburtsstadt Málaga, in Madrid. Vor seinem 1981, sechs Jahre nach dem Ende der Franco-Diktatur, aus dem MoMA in die spanische Hauptstadt gelangten Gemälde „Guernica“ werden regelrechte Messen zelebriert.

Und weltweit wimmelt es bei Kundgebungen gegen Russlands Ukraine-Krieg nur so von seinen Friedenstauben. La Paloma, gemalt 1949 als Symbol aus Picassos kommunistischer Phase und Name seiner damals geborenen Tochter. Nun ist die weiße Taube abermals universales Zeichen – gegen die Aggression des russischen Diktators.

Picasso, der Maler mit dem Röntgenblick, war und bleibt der Held, das Idol einer modernen Kunst, die in ihrer Größe, ihrer Wandlungsfähigkeit, ihrer humanistischen Haltung und ihrer zeitgeistigen Innovation gegen jeden Zweifel erhaben ist. „In der Malerei ist alles möglich, aber du darfst dich nicht wiederholen“, war seine Maxime. Spanischen Boden hat der 1881 im andalusischen Málaga geborene Künstler, der über 50.000 Bildwerke hinterließ und bei seinem Tod fast siebenhundertfacher Millionär war, wegen Diktator Franco nie mehr betreten.

Gebrochene Frauen pflastern Picassos Weg

Seit einiger Zeit freilich redet die Welt auch von einer anderen Seite des Genies. Von der Hybris. Die #MeToo-Bewegung ist nicht länger gewillt zu schweigen: Gebrochene Frauen pflastern Picassos Weg. „Ich war Blaubarts siebte Frau“, schreibt Françoise Gilot, Mutter seiner Kinder Claude und Paloma, in ihren Lebenserinnerungen. „Und die anderen Frauen vor mir hingen alle an der Wand ...“

Das Maleridol erscheint nun auch als „Jekyll and Hyde“-Figur – als laut Gilot mitunter „gewalttätiger, eifersüchtiger, zerstörerischer Mann“, der sich Frauen nahm und wegwarf, wie es ihm beliebte, der nicht loslassen konnte, weil sein Ego es nicht zuließ. Nun, keine der Betroffenen kann die späte Rache genießen. Nicht die junge Fernande, die dem aufstrebenden Künstler im erbärmlichen Montmartre-Quartier stets zu Diensten war. Auch nicht seine zahlreichen sonstigen Geliebten und die zwei verzweifelten Ehefrauen.

Sie alle ertrugen, wie das Malergenie mit ihnen umging, aus ihnen kubistisch zerlegte „Weinende Frauen“ machte. Damals war von einer solidarischen und politisch starken Bewegung gegen die Allmacht sexistischer Männer noch nichts zu spüren. Und keine von all jenen, die Picasso abgöttisch liebten, ihm mit Leib und Seele dienten, sich von ihm als „Göttinnen“ anbeten – oder aber, wie er es nachweislich selbst sagte, als „Fußabtreter“ demütigen – ließen, lebt noch. Allein die über 100-jährige, seit 60 Jahren in Kalifornien lebende Malerin Françoise Gilot hatte in den 1960er-Jahren die Courage, ihn zu verlassen, ihren eigenen Weg zu gehen. Doch seine Rache für die Majestätsbeleidigung reichte weit. Er sorgte dafür, dass Pariser Kunsthändler ihre Bilder nicht mehr verkauften.

Picasso war ein Macho

In der Literatur ist beschrieben, dass Picasso seinen zahllosen Geliebten, Affären und  Ehefrauen gegenüber ein rücksichtsloser Macho war, das gilt auch für die Tänzerin Olga Chochlova und Jacqueline Roque, die er als 79-Jähriger heiratete. An seinem Ruhm hat das nicht gekratzt. Nicht einmal die Suizide der zerbrechlichen Gefährtin Marie-Thérèse Walter, der leidenschaftlichen Dora Maar und seiner sklavisch ergebenen letzten Gattin Jacqueline sägten an seinem Thron. Darauf waren der disparate Picasso-Clan, die Hüter und Sammler seiner Werke sowie alle an der Picasso-Vermarktung Partizipierenden sehr bedacht.

Härter als die Gilot urteilte nur Enkelin Marina Picasso, Tochter des ersten Picasso-Sohns Paolo, über den Großvater: „Er unterwarf die Frauen seiner animalischen Sexualität, zähmte sie, betörte sie, nahm sie in sich auf und zerquetschte sie auf seiner Leinwand.“ Andere, die kürzlich verstorbene Tochter Maya, deren Sohn Olivier und auch Claude und Paloma, Picassos Kinder mit Françoise Gilot, differenzieren: Picassos Werk zeige zwar etwas von dieser Komplexität, müsse aber in Gänze, mit allen Widersprüchlichkeiten bewertet werden. Wahrlich, ohne Frauen ist Picassos einzigartiges Werk wohl nicht denkbar. Und seine Werke gehören weder auf den Index noch verdienen sie einen Bildersturm. Dennoch ist es an der Zeit, in die frenetische Picasso-Verehrung auch die kritische Rezeption seines Umgangs mit Frauen einzubeziehen.

Das schmälert nicht die Bedeutung des Werks in seinem Widerspruch aus Lebensgier und Melancholie, als Bestätigung der Feststellung Oscar Wildes, dass „doch jeder tötet, was er liebt“. Ja, es sind gewalttätige Werke, in denen Picasso die Liebe als todbringende Sexualität ausdrückte. Aber da sind auch zärtliche, weiche Motive. Insbesondere, wenn er frisch verliebt war. Und wenn er seine Kinder malte. Sohn Claude Picasso erinnert sich daran. Und doch hat er sich, wie er uns bei einem Besuch in der Berliner Nationalgalerie verriet, einen weniger distanzierten Vater gewünscht. Einen, der am Strand mit ihm Sandburgen gebaut, Fußball gespielt und herumgetollt hätte.