Keine der Betroffenen kann die späte Rache genießen. Als die Frauen ertrugen, wie Picasso mit ihnen umging, war von einer solidarischen und politisch starken #MeToo-Bewegung noch nicht die Rede. Und keine von all jenen, die den Jahrhundertmaler liebten, die ihm dienten mit Leib und Seele, die sich von ihm als „Göttinnen“ anbeten – oder aber, wie er es nachweislich selbst zitierte, als „Fußabtreter“ demütigen – ließen, lebt heute noch.
Allein die über 100-jährige, seit über 50 Jahren in Kalifornien lebende Malerin Françoise Gilot, Mutter seiner Kinder Claude und Paloma, hatte in den 1960er-Jahren die Courage, selbstbestimmt mit ihm Schluss zu machen, ihren eigenen Weg zu gehen – und sich damit allerdings die Rache des Verlassenen zugezogen. Denn die Schmach ihrer Entscheidung hat er ihr nie verziehen. Er sorgte sogar dafür, dass die Pariser Kunsthändler ihre Bilder nicht mehr verkauften. Die Gilot kehrte Frankreich den Rücken und wurde glücklich sowie reich in Kalifornien an der Seite des Mediziners Jonas Salk, des Erfinders des Polio-Impfstoffs.
Ein Mann seiner Zeit?
Dass Picasso seinen zahllosen Geliebten, Affären und auch zwei Ehefrauen – der Tänzerin Olga Chochlowa und Jacqueline Roque, die er als 79-Jähriger heiratete – gegenüber ein Egoist vor dem Herrn war, ist in der Literatur ausführlich beschrieben. Bezeichnenderweise hat das seinen Ruhm als Maler, aber auch als Macho und Sexist, dem wegen seiner Kunst – allem voran wegen des hochpolitischen Wandbildes „Guernica“ – alles zu verzeihen sei, ein halbes Jahrhundert lang nur umso bedeutender gemacht. Selbst die Suizide seiner zerbrechlichen Gefährtin Marie-Thérèse Walter und seiner zweiten, ihm scheinbar ergebenen Gattin Jacqueline nährten bislang noch die Legende des Idols. Es gehörte gewissermaßen dazu, als Subtext zu den ungenierten Akten von Fernande, die zunächst klaglos mit dem jungen Picasso in einer erbärmlichen Montmartre-Bude im Taubendreck lebte, bis zu den kubistisch zerlegten Frauenakten, den „Weinenden Frauen“.
Nun aber soll sich alles ändern. Die #MeToo-Bewegung kratzt am hohen Sockel des Malers. Das Idol wird löchrig. Cécile Debray, Chefin des Pariser Picasso-Museums, sprach dieser Tage darüber mit Schmerz in der Stimme in einem Gespräch mit der französischen Nachrichtenagentur AFP, offensichtlich in Sorge um den Rang ihres Hauses. Zweifellos geschehe das umso heftiger, da Picasso schließlich die berühmteste Figur der Moderne sei. Debray reagiert zerrissen: Behauptungen von #MeToo-Aktivistinnen bezeichnete sie als anachronistisch und zu pauschal. Es fehlten die historischen Bezüge und Belege. Indes, betont sie, kehre ihr Museum das Thema nicht unter den Teppich; die Debatte sei notwendig. Darum befasse sich gerade eine Schau der Pariser Malerin Orlan mit der Serie „Les femmes qui pleurent sont en colère“ („Frauen, die weinen, sind wütend“). Da könne sich das Publikum ein eigenes Bild machen.
Gewalttätig und zart
Merkwürdig hingegen ist schon, wie viel Zeit vergangen ist, ehe auch der Welt berühmtester Maler an die Reihe kam, als Sexist geoutet zu werden: Schon vor fünf Jahren kam das Buch „Picasso, der Minotaurus“ heraus, in dem die Journalistin Sophie Chauveau den Schöpfer von Meisterwerken, etwa „Guernica“, zwar als „genialen“ Künstler, aber auch – welch eine Jekyll-and-Hyde-Figur – als „gewalttätigen, eifersüchtigen, perversen und zerstörerischen“ Mann beschreibt.
Ebenso unversöhnlich urteilte Picasso-Enkelin Marina Picasso (Tochter des ersten Picasso-Sohnes Paolo, des berühmten kleinen Harlekin von 1924) schon vor Jahren über den Großvater. Der hatte ihr die finanziellen Mittel versagt, Medizin zu studieren, ihr stattdessen boshaft an den Kopf geworfen, es sei gut genug für sie, in einer Bar zu arbeiten. Marina schrieb: „Er unterwarf die Frauen seiner animalischen Sexualität, zähmte sie, betörte sie, nahm sie in sich auf und zerquetschte sie auf seiner Leinwand.“
Doch Olivier Widmaier-Picasso warnt davor, den Künstler zum Monster zu erklären, er sei auch in dieser Hinsicht ein Mann seiner Zeit gewesen. Die Emanzipation der Frauen sei ein langer, sozialer wie politischer Prozess gewesen, bis heute. Auch würde ein solches Urteil all jenen Frauen, die den Maler hingebungsvoll liebten, jegliche Handlungsmacht absprechen. Sie wären dann nur noch Objekte. So urteilt ausgerechnet der Sohn von Picasso-Tochter Maya, deren Mutter die an dem Ego zerbrochene Marie-Thérèse Walter war. Keine andere seiner Frauen hat Picasso derart oft gemalt – als weinende Frau. Für #MeToo-Aktivistinnen gilt dies als Beleg für Picassos Sadismus gegenüber der Schwachen. Der Enkel aber meint, Picassos Werk zeige zwar etwas von dieser Komplexität, es müsse aber in Gänze, mit allen Widersprüchlichkeiten, betrachtet und bewertet werden. Denn es gebe gewalttätige Werke und sehr zärtliche und weiche.
