Zeitgeschichte

Schriftsteller in der Nazi-Zeit: So ist die neue Doku von Dominik Graf

Mit seinem Dokumentarfilm „Jeder schreibt für sich allein“ schaut Dominik Graf auf die Grauzonen von Schriftsteller-Biografien.

Szene aus dem Dokumentarfilm „Jeder schreibt für sich allein“, der am 24. August im Kino anläuft
Szene aus dem Dokumentarfilm „Jeder schreibt für sich allein“, der am 24. August im Kino anläuftPiffl Medien/epd

Mit diesem Film verwandelt sich das Kino auf gewisse Weise in einen gemütlichen Lesesaal. Über fast drei Stunden führt der Regisseur Dominik Graf durch Lebensstationen und das Werk von acht Schriftstellern und einer Schriftstellerin: „Jeder schreibt für sich allein“. Es geht um die Jahre 1933 bis 1945. Es geht um die Rolle der Literaten im Nationalsozialismus. Allerdings wählt der Regisseur eine ungewöhnliche Form des dokumentarischen Erzählens, die stark auf Reflexion setzt. Die ersten Bilder und Aussagen umkreisen das Thema noch weiträumig, geben dabei einen Ton der Anteilnahme vor und ziehen auf diese Weise den Zuschauer stark hinein.

Fünfhunderttausend Menschen sahen sich unter der Hitler-Regierung gezwungen, aus Deutschland zu emigrieren. Darunter waren etliche Schriftsteller, deren Werke von den Nazis verbrannt wurden, deren Leben in Gefahr war, weil sie Juden waren, Autoren, die nichts mehr publizieren konnten, weil sie in Opposition zu dem Regime standen. Bertolt Brecht, Heinrich und Thomas Mann, Anna Seghers und Else Lasker-Schüler, Franz Werfel und Gabriele Tergit und viele, viele mehr. Die Flucht war gefährlich, schwierig; im Exil waren sie von ihrer Sprache abgeschnitten und damit von ihrem Publikum und Verdienstmöglichkeiten. In den vergangenen Jahren gab es einige Spielfilme, die davon handeln, wie Maria Schraders „Vor der Morgenröte“ oder in Christian Petzolds „Transit“. Was nun aber Dominik Graf erzählt, der zuletzt mit seiner Dramatisierung des Romans „Fabian“ von Erich Kästner beeindruckte, bleibt in Deutschland.

„Jeder schreibt für sich allein“: Das falsche Schlagwort „innere Emigration“

Kästner gehört dabei sogar zu den zentralen Figuren. Sein „Fabian“ wurde auch auf den am 10. Mai 1933 in den deutschen Universitätsstädten inszenierten Bücherverbrennungen den Flammen übergeben. Kästner stellte sich wohl die Frage, ob er Deutschland verlassen müsse und entschied sich dagegen. Er hatte sein Auskommen, weil er unter Pseudonym Unterhaltungsliteratur schrieb und Drehbücher für die Ufa verfasste; das Schlagwort „innere Emigration“, das man für ihn später benutzte, passte nicht so richtig. Er hat mehr Zugeständnisse gemacht, als er es nach dem Krieg zugeben wollte. Im Film wird er dafür nicht verurteilt, aber die Graustufen seiner Biografie treten deutlicher hervor. 

„Jeder schreibt für sich allein“, das einen Titel von Hans Fallada paraphrasiert, war zunächst ein Sachbuch. Anatol Regnier, Gitarrist, Chansonnier und Schriftsteller, im Jahr 1945 hineingeboren in eine berühmte Schauspielerfamilie – seine Eltern waren Pamela Wedekind und Charles Regnier –, begab sich im hohen Alter auf die Suche nach Schriftstellern, die dageblieben waren. Er wollte wissen, wie Dichter und Denker es in dem Staat aushielten, der den freien Geist als „undeutsch“ brandmarkte; wie sie es schafften, sich von der Reichsschrifttumskammer anerkennen zu lassen, um publizieren zu können. Er sichtete Nachlässe und Korrespondenzen, suchte überlebende Verwandte auf und sprach mit ihnen.

Der Regisseur Dominik Graf stellt dieses 2020 bei C.H. Beck erschienene Buch samt seiner Entstehung nach: Er begleitet den Autor mit der Kamera zu Recherchen, die der eigentlich bereits zuvor gemacht hat. Das hat manchmal etwas unglücklich Inszeniertes, wenn Anatol Regnier sich etwa im Deutschen Literaturarchiv Marbach Räume aufschließen lässt und über Manuskriptblätter beugt, die er staunend kommentiert. Meistens aber, in Gesprächen, die der Regisseur mit ihm führt oder wenn er selber Fragen stellt, überzeugt er durch sein Auftreten. Anteilnahme, Verwunderung, Erschrecken zeigt er vorsichtig dosiert. Er weiß schon so viel, aber er möchte es dann noch genauer wissen. Und das eint Autor und Regisseur bei diesem Filmprojekt: das Interesse an den einzelnen Personen.

Kluge Expertenstimmen in Dominik Grafs „Jeder schreibt für sich allein“

Gottfried Benn, Hanns Johst, Will Vesper oder Ina Seidel andererseits, die ihre Sympathie für die Nazis zeigten, agierten und vor allem schrieben doch unterschiedlich. Kästner und Fallada waren irgendwie dagegen, aber nicht mutig. Jeder Fall ist anders, jede Biografie wird hier anders in Kurzfassung erzählt. Es gibt wenige historische Filmaufnahmen, aber doch eine Menge Fotos, es werden Orte besichtigt und vor allem außenstehende Gesprächspartner mit einbezogen. Florian Illies, der sich für sein Buch „Liebe in den Zeiten des Hasses“ intensiv mit der Zeit beschäftigt hat, tritt zum Beispiel auf; zudem die Wissenschaftshistorikerin Julia Voss und die Schriftstellerin Gabriele von Arnim. Der Filmproduzent Günter Rohrbach, 1928 geboren, erzählt, wie er als Jugendlicher zu lesen anfing und damals geradezu zwangsläufig an Nazi-Literatur geriet, aber bald davon abgestoßen war.  

Dieser Wechsel der Erzählformen lässt die knapp drei Stunden nicht zu lang werden, allerdings braucht der Film nicht unbedingt die große Leinwand. Wenn er in den Kinos nicht mehr gespielt wird, sollte er bald ins Fernsehen und die Mediatheken exportiert werden. Wer sich für Literatur interessiert, wird ihn dankbar sehen.

Jeder schreibt für sich allein. Dtl. 2023, Regie Dominik Graf, 167 Minuten.

Vorstellung in Anwesenheit von Anatol Regnier und dem Produzenten und Co-Regisseur Felix von Boehm 24.8., 18.30 Uhr, Delphi Lux