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„Tender Hearts“ mit Friederike Kempter und Heike Makatsch: Smarte neue Welt

Kann man eine intelligente Maschine lieben? Das und mehr fragt diese grandiose neue Sci-Fi-Serie bei Sky, in der den Zuschauern schon einiges bekannt vorkommt.

Kann das Liebe sein? Mila (Friederike Kempter) und ihr Lovedroid „Friendly Bo“ (Madieu Ulbrich)
Kann das Liebe sein? Mila (Friederike Kempter) und ihr Lovedroid „Friendly Bo“ (Madieu Ulbrich) Sky Deutschland/Odeon Fiction/Nik Konietzny

Die Zukunft ist verdammt smart. Der Kühlschrank weiß genau, wann es an der Zeit ist, Hafermilch nachzukaufen, der Badezimmerspiegel zeigt Textnachrichten an, zum Online-Meeting geht man als Avatar. Genau genommen ist die auffallend pastellfarbene Welt, die die Auftaktfolge der Sci-Fi-Serie „Tender Hearts“ entwirft, so futuristisch nicht. Vielmehr wird weitergedacht, verdichtet und überspitzt, was wir bereits aus unserer schon ziemlich „versmarteten“ Gegenwart kennen.

Wahrscheinlich ist die achtteilige Sky-Produktion nach einem Konzept von Autorin Eva Lia Reinegger deswegen auch ganz ohne dystopischen Grundton bisweilen so bedrückend. Schließlich wissen wir bereits, dass „Smartness“ vor allem noch mehr ständige Verfügbarkeit und absolute Messbarkeit bedeutet. Nicht nur, weil wir uns schon jetzt von „Smart Watches“ durchleuchten lassen und der Alltag durch zum Beispiel virtuelle Sprachassistenten vermeintlich effizienter gestaltet werden kann. Sondern auch, weil die Furcht vor einem unterkühlt-funktionalen new normal zuletzt in zahlreichen Filmen und Serien verhandelt wurde, wohl am prominentesten im Netflix-Hit „Black Mirror“. Weitaus mehr hat „Tender Hearts“ jedoch mit Filmen wie Spike Jonzes „Her“ oder Alex Garlands „Ex Machina“ gemein. Hier wie dort liegt das Hauptaugenmerk auf der Liebe in Zeiten der durch Technologie vorangetriebenen Entfremdung. Mehr noch: dem scheinbar überbrückbaren Widerspruch zwischen einem derart undurchdringlichen Gefühl und dem neoliberal-rationalistischen Zeitgeist. Wie schon in Maria Schraders „Du bist mein Mensch“, in dem sich eine Wissenschaftlerin (Maren Eggert) in den charmanten humanoiden Roboter Tom (Dan Stevens) verliebt, ist das Maschinelle hier aber eben nicht nur Problem, sondern gleich auch potenzielle Lösung.

„Friendly Bo“ ist auf Romantik spezialisiert

Auch Mila (Friederike Kempter) hat in „Tender Hearts“ als etwa 40-jährige Videospielentwicklerin einen spannenden Job und wohnt in einem eindrucksvollen Apartment in Berlin. Dennoch trägt sie ihr Single-Dasein wie ein Missgeschick vor sich her und leidet nach einer traumatischen Trennung unter der Einsamkeit. Nach einem weiteren ernüchternden Beinahe-Abenteuer via Dating-App beschließt sie, sich einen sogenannten „Lovedroid“ bei dem titelgebenden Unternehmen „Tender Hearts“ zu bestellen.

Das verspricht eine „echte Erfahrung“ – mit von künstlicher Intelligenz gesteuerten männlichen Robotern. Milas Wahl fällt auf „Friendly Bo“ (Madieu Ulbrich), ein besonders charmantes, auf Romantik spezialisiertes Modell. Geliefert wird der programmierte Traummann wie Dornröschen in einem an einen Sarg erinnernden Karton, geladen wird er über einen Anschluss am Bauchnabel.

Trotz der offenkundigen Nähe zu diversen „Near Future“-Produktionen hat die von Pola Beck („Das letzte Wort“) inszenierte Serie dem altgedienten Sci-Fi-Sujet „Mensch versus Maschine“ durchaus Überraschendes hinzuzufügen. Das liegt vor allem daran, dass die jeweils etwa halbstündigen Folgen ganz unterschiedliche Facetten des Gedankenspiels pointiert durchdeklinieren.

Mit einer viel größeren Detailversessenheit als noch Maria Schraders vielfach ausgezeichnete romantische Komödie widmet sich das Drehbuch etwa den Grenzen und Möglichkeiten einer Beziehung zu einer materialisierten Künstlichen Intelligenz: Gemeinsames Essen? Möglich, dank austauschbarem „Beutel“. Konversation? Ebenso, nur verfällt Bo manches Mal in „Siri“-Sprech und gibt schlicht Informationen wieder. Und Sex? Auf jeden Fall, dank austauschbarem Zubehör, zwischen dem Mila frei wählen und das sie vor dem Akt im Schritt ihres „Lovedroids“ anbringen muss, der sonst eher an eine „Ken“-Puppe erinnert.

Was ist nötig für eine echte Bindung?

Besonders spannend ist „Tender Hearts“ immer dann, wenn sich die Serie gleichermaßen sensibel wie unverblümt den philosophisch gefärbten Fragen abseits technischer Feinheiten widmet. Etwa, wie sich Milas Sexualität verändert, wie viel experimenteller sie wird, sobald sie nicht das Urteil eines potenziell wertenden und stärker in Geschlechterrollen denkenden Menschen fürchten muss.

Oder aber, wie viele Emotionen zu einer Maschine zu entwickeln letztlich denkbar ist – und was es braucht, um die Illusion eines menschlichen Gegenübers aufrechtzuerhalten. Mal wähnt sich Mila im höchsten Glück zumindest echt wirkender Verliebtheit, dann wieder stößt ihre Liebe an Grenzen, wenn sie sich bewusst wird, dass ein eigener Wille eben nicht nur störendes Hindernis, sondern notwendige Herausforderung für eine wahrhaftige Bindung ist.

Die Serie changiert gekonnt zwischen einem ernsten, nachdenklichen und erfrischend witzigen Ton, insbesondere wenn das ungewöhnliche Paar im Beisein anderer miteinander agiert, dabei deren ehrliche Neugier, aber auch offene Abneigung provoziert. Milas nach Status und Schönheit strebende Schwester Anja (Heike Makatsch) etwa lehnt den humanoiden Roboter als Resultat  zwischenmenschlichen Scheiterns ab, verfällt insgeheim aber doch der Verlockung, selbst durch ein vorurteilsfreies Gegenüber aus den erdrückenden Erwartungshaltungen der anderen auszubrechen.

Der beste Freund Toni (Vladimir Korneev), der in einer polyamourösen Beziehung lebt, sollte Milas Unabhängigkeit eigentlich zelebrieren, muss aber bald feststellen, dass seine Predigten von freier Liebe und Selbstentfaltung womöglich nur hippe Tarnung eigentlich ziemlich traditioneller Sehnsüchte nach Zweisamkeit sind. Selbstredend hält „Tender Hearts“, obwohl im Jahr 2039 angesiedelt, damit in erster Linie unserer zu Selbstoptimierung und kosmopolitisch-aufgeklärten Posen neigenden urbanen Gesellschaft den Spiegel vor.

Wie so oft sind es die Maschinen, die am Ende besser wegkommen als die Menschen, die sie nutzen und entwickeln. Schließlich beleuchtet die Serie auch die perfiden Geschäftsmodelle – von halsabschneiderischen Abofallen bis hin zum Handel mit privaten Daten –, die hinter den technischen Versuchungen stecken, mit denen wir uns bereits heute so gerne umgeben und uns dabei so verdammt smart vorkommen. Anders ausgedrückt: In „Tender Hearts“ hat man an nahezu alles gedacht – und noch mehr richtig gemacht.

Tender Hearts. Serie, 8 Folgen, ab 6. April 2023 immer donnerstags in wöchentlichen Doppelfolgen auf Sky Atlantic sowie als komplette Staffel über Sky Q und den Streamingdienst WOW