Kino

Film macht Vaterschaftstest überflüssig: Olaf Schubert als Mick Jaggers Sohn

Der Pseudo-Dokumentarfilm „Olaf Jagger“ mit Olaf Schubert, Toni Krahl und Flake konstruiert einen wilden Plot und kommt am Ende bei der Wahrheit raus. Eine Kritik.

Olaf Schubert ist seiner Herkunft auf der Spur.
Olaf Schubert ist seiner Herkunft auf der Spur.Neue Visionen Filmverleih

Der Comedian Olaf Schubert hat es durch den ironischen Einsatz karrierekillender Attribute – überkämmte Glatze, Argyle-Muster-Pullunder und vor allem sächsischer Akzent und mithin ostdeutsche Herkunft – auf den Kleinkunstbühnen und im Fernsehen zu Erfolg gebracht. Sogar in der „heute-show“ darf er als ethnisch legitimierter Ossi-Experte politische Unkorrektheiten mit dezentem Ekelfaktor verbreiten. Ein selten gelungener und schwer verdienter Fall der Ruhmerlangung von unten.

Freischaffender Betroffenheitslyriker

Natürlich ist Olaf Schubert eine Kunstfigur, geschaffen von dem 1967 im südwest-sächsischen Plauen geborenen Michael Haubold, der nach einer Ausbildung zum Wirtschaftskaufmann ein Musik- und Architekturstudium aufnahm und seine Bühnenkarriere als Schlagzeuger und Sängerin Gabi Schubert bei der Spaßcombo Dekadance begann.

Es bleibt nicht aus, dass die Biografien von Olaf und Gabi Schubert sowie Michael Haubold so ein bisschen verschwimmen und die Pointen des selbsternannten „Mahners und Erinnerers“, „freischaffenden Betroffenheitslyrikers“ und „zweitwichtigsten Wahrheitsbewahrers nach dem Papst“ ihren Saft aus der Pseudoauthentizität ziehen.

Mit dieser Art von Authentizität spielt auch der Film „Olaf Jagger“ von der bisher vor allem als Dokumentaristin in Erscheinung getretenen Regisseurin Heike Fink, der zeigt, wie brüchig, anfällig und leicht zu verpfuschen Biografien und Selbstbilder sein können – nicht nur die von Olaf oder seinen DDR-Zeitgenossen, die allesamt einen Plot-Twist miterlebt haben.

In einer Szene hat Schubert sehr schlechte Laune beim Bad in der Menge, beim Selfie-Gewähren und Autogramme-Geben. Er weiß, dass er nur Beifang ist, eigentlich belagern die Leute das Hotel, um möglicherweise einen Blick auf Mick Jagger zu erhaschen. Auch Schubert sucht Kontakt zu dem älteren Rockstar, aber eine andere, verbindlichere Art von Kontakt: Er will Jagger mit der aus zufälligem Kellerfund abgeleiteten These konfrontieren, dass sie Sohn und Vater sind – oder sein könnten.

Die Spur auf dem Orwo-Tonband

Schuberts gestorbene Mutter war beim DDR-Jugendsender DT 64, durfte in den 1960ern über die Mauer zu einem Konzert der Stones reisen und bekam, wie den eingestaubten Orwo-Tonbändern aus besagtem Keller zu entnehmen ist, ein exklusives Interview.

Dass es dabei nicht blieb, geht unter anderem aus den IM-Berichten hervor, denn die Stasi war natürlich mitgereist. Ist man erst einmal auf den Trichter gekommen, muss man Olaf Schubert eigentlich nur angucken, um zu wissen, dass die Geschichte rund ist. Letzte Gewissheit könnte dann der Vaterschaftstest bringen.

Olaf Schubert führen seine Recherchen auch ins ehemalige Stasi-Hauptquartier.
Olaf Schubert führen seine Recherchen auch ins ehemalige Stasi-Hauptquartier.Neue Visionen Filmverleih

Was zunächst nach einer platten und zugleich verbastelten Handlung klingt, erweist sich als ein lohnendes Spiel mit den Wirklichkeitsschichten. Denn bei der Recherche trifft Schubert auf authentische Zeitzeugen – unter anderem auf den Sänger von City, Toni Krahl, der erzählt, wie er es fast mal zur Stones-Vorband geschafft hat. Der Rammstein-Keyboarder Flake Lorenz tritt in reinem Gold auf, scrollt schnell mal durch seine Kontakte und spricht in sehr grob gehobeltem Englisch direkt bei Mick auf den Anrufbeantworter.

Auch auf der DDR-Kulturfunktionär, Liedermacher („Sag mir, wo du stehst“) und Oktoberklub-Leiter Hartmut König kommt zu Wort und die DT-64-Moderatorin Christine Dähn führt in Stöckelschuhen Olaf Schubert durch die Ruine des Rundfunkgebäudes in der Nalepastraße.

Diese Szenen sind organisiert, aber offensichtlich nicht durchgescriptet – Heike Fink feiert im Presseheft das Improvisationstalent von Olaf Schubert, der seine Texte selbst erfunden habe. Diese Begegnungen mit echten Figuren geben innerhalb der fiktiven Konstruktion ein viel weniger verstelltes und organischeres Gefühl für die DDR-Geschichte als die meisten gängigen Backflip-Zeitzeugensendungen mit ihren nostalgischen Listen und Legenden. Man blickt schärfer durch ein Prisma der Skepsis.

Die Identität ist eine fadenscheinige Jacke

Das funktioniert auch bei den Szenen mit seinen gegenwärtigen Kollegen Oliver Welke und Alexander Schubert, der mit seinem in der DDR allbekannten Vater Günter das Zu-große-Fußstapfen-Problem kennt. Olaf gewinnt zunehmend an Selbstsicherheit und heteronormativem Sex-Appeal, statt Strickware trägt er Leder, dazu eine Sonnenbrille und ordentlich Testosteron in Haltung und Blick – sympathischer wird der dadurch nicht unbedingt. Aber da ahnen wir schon längst, wie leicht man aus der fadenscheinigen Jacke der Identität zu schütteln ist.

„Ich bin doch auch wer“, sagt Olaf Schubert, als er in der erwähnten Szene vom Hotelpersonal daran gehindert wird, zu seinem vermeintlich leiblichen Vater Mick Jagger vorzudringen. Aus dem distinguierten „Ich bin wer“, mit dem man sich von der anonymen Masse abhebt, spricht allerdings nur eine angeschaffte Selbstgewissheit, die sich allein aus der Bekanntheit speist.

Unter dieser Maske arbeiten die eigentlichen Fragen weiter: „Wer bin ich (eigentlich)?“ und „Bin ich (überhaupt) wer?“. Aber auch jenseits der erkenntnistheoretischen, existenzialistischen und identitätsphilosophischen Interpretationsvorschläge, die der Film anbietet, macht er vor allem eins: Spaß.

Olaf Jagger. Fiktionaler Dokumentarfilm, 2023, 95 Minuten, Regie: Heike Fink, mit Olaf Schubert, Franz-Jürgen Zigelski, Ursula-Rosamaria Gottert, Alexander Schubert, Jochen Barkas, Anna Lucia Gustmann, Toni Krahl, Flake Lorenz, Hartmut König u.v.a.