Im Kino

Berlinale-Tagebuch: Zwischen Schnarchern, Niesern und einer Schokoladenesserin

Beobachtungen im Saal abseits der Leinwand. Kinozuschauerinnen und -zuschauer, ob mit oder ohne Akkreditierung, sind auch nur Menschen.

Dieser schöne Saal gehört zum Kino International, einem der Festivalorte
Dieser schöne Saal gehört zum Kino International, einem der FestivalorteSabine Gudath

Dadurch, dass die Berlinale nur einmal im Jahr stattfindet, gerät auch die schönste Regel des Festivals über die Monate in Vergessenheit: Essen und Trinken sind im Kino verboten. Die einen sind erleichtert, weil das Filmerlebnis nur Kalorien verbraucht und dem Körper keine zuführt. Die anderen, die sich sonst ohnehin zusammenreißen oder gar Snackverächter sind, genießen die Zeit ohne Popcornduft, Lakritzgeruch und Nachokrachen.

Verbote fordern zur Übertretung heraus. Aber wie die Frau links neben mir eine ganze Tafel Schokolade essen konnte, während Lena Dunham in dem bewegenden Film „Treasure“ von Julia von Heinz ebenso Schokolade in sich hineinstopfte, war mir ein Rätsel. Die Mittdreißigerin Ruth reist mit ihrem Vater Edek (Stephen Fry) an die Orte seiner Kindheit in Lodz. Sie fährt mit ihm nach Auschwitz, wo bis auf seine Frau sämtliche Familienmitglieder umgebracht wurden. Die Schokolade ist für Ruth ein Trauma-Medikament, dessen Einnahme sie nach jeder Attacke bereut.

Kinozuschauer sind auch nur Menschen, ob es sich nun um das traditionell cinephile Berliner Publikum handelt oder um all die Leute mit Akkreditierten-Ausweis. Und wenn ein Film erst spät gezeigt wird und sich dann langsam über die Leinwand schleppt, verlockt das uns Menschen zum Nickerchen. Manche schlafen allerdings hörbar. Wie das jedoch bei einem so rasanten Film wie dem Wettbewerbsbeitrag „La Cocina“ passieren konnte, ist mir schleierhaft. In einer hektischen New Yorker Restaurantküche spielen sich Lebenstragödien ab, Messer werden nicht nur fürs Fleisch benutzt, Hektoliter von Cherry-Cola landen nicht nur in den Gläsern. Kellnerinnen schreien, Köche prügeln sich, Vorgesetzte drohen. Und der Herr mit den leuchtend weißen Schuhen rechts neben mir schnarcht gegen den Küchenlärm an.

Zu sehen und zu hören gibt es viel in diesen Tagen. Und manchmal wirkt dann ein Film, der eben noch historisch schien, höchst aktuell. „Hors du temps“, die Lockdown-Sommer-Studie von Olivier Assayas im Wettbewerb, hatte einen Widerhall im Cinemaxx-Saal 4. Die jeweils vierfache Niesfolge im ersten und im dritten Drittel des Films passierte ansteckungsmäßig zwar relativ weit weg von mir, unterstrich aber unheimlich die Corona-Angst der einen Hauptfigur Paul, der zugleich die Erzähler-Rolle hat. Morgen gehe ich mit Maske, vielleicht. Und einen Schokoriegel nehme ich auch mit, zur Sicherheit.

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