Das Foto schrieb Geschichte. Ein schwarzer Mann sitzt mit dem Rücken zur Kamera. Er stemmt die Hand in die Hüfte, hält die Augen geschlossen. Über den Rücken wuchern Narben, vom Hals bis zum Steißbein, gewachsen über tiefe Wunden einer Peitsche. Das Bild des Mannes, der später als „Whipped Peter“ bekannt wurde, avancierte 1863 zum Symbol für die Brutalität der Sklaverei und veränderte womöglich die Geschichte der Vereinigten Staaten. In „Emancipation“ inszeniert Action-Regisseur Antoine Fuqua („The Equalizer“) seine Version von Peters Weg, seinem Martyrium, das auch mit dem Foto noch nicht zu Ende war.
Die Dreharbeiten zum Film endeten kurz vor der vergangenen Oscar-Verleihung. Diese hätte ein Höhepunkt in der Karriere von Will Smith werden können – er bekam den Preis als bester Hauptdarsteller für seine Rolle als Vater von Serena und Venus Williams in „King Richard“. Doch das Gegenteil war der Fall. Will Smith teilte eine Backpfeife aus, deren Knall um die Welt ging. Einstecken musste sie der Moderator des Abends, Chris Rock, nachdem er einen Witz über Smiths Ehefrau Jada Pinkett Smith gerissen hatte.
Apple kaufte die Rechte für 130 Millionen Dollar
Auch für die Macher von „Emancipation“ war der Abend eine Katastrophe. Der Film, dessen Auswertungsrechte Apple vorher für 130 Millionen Dollar erworben hatte, wurde als Oscar-Hoffnung für 2023 gehandelt, er ist sicher das ambitionierteste Werk in Fuquas Œuvre. Doch plötzlich galt der Hauptdarsteller, der in seiner Rolle eines Opfers systematischer Brutalität die Sympathien des Publikums gewinnen soll, selbst als Schläger, oder zumindest als unberechenbarer Grobian. Apple stand vor einem Problem, entschied sich schließlich aber doch für eine Veröffentlichung in diesem Jahr – auch auf Drängen des Regisseurs.
„Sind 400 Jahre Sklaverei und Brutalität nicht wichtiger als ein schlechter Moment?“ fragte Fuqua die Verantwortlichen, wie er im Interview mit dem amerikanischen Branchenmagazin Variety erzählte. Und natürlich ist es absurd, eine Parallele zwischen einer Ohrfeige und der Behandlung amerikanischer Sklaven zu ziehen. Doch in einer Medienwelt, in der der Kampf um Aufmerksamkeit härter geführt wird als je zuvor und in der die Zuschauer mit einem derartigen Überangebot konfrontiert sind, wundern solche Bedenken seitens der Produktion nicht. Wie gut der Film ist, spielt schließlich keine große Rolle mehr, wenn ihn all diejenigen, die von Smith genervt sind, schlicht nicht anklicken. Geschweige denn ein Abo dafür abschließen, wie es sich Apple vom Kauf der Auswertungsrechte sicher erhoffte.
Alle, die es nun doch tun, werden die Ohrfeige nach ein paar Minuten vergessen haben. Denn vom ersten Bild an erschaffen Fuqua und sein Kameramann Robert Richardson eine Welt, die fast so schwarz-weiß ist, wie sie auch in den Köpfen der Südstaatler des Neunzehnten Jahrhundert war. Und so tranceartig grauenvoll, dass man sich in einem zweistündigen Albtraum wähnt, aus dem man nicht erwachen darf, bevor man das verstanden hat.
Will Smith hätte für „Emancipation“ seinen zweiten Oscar verdient
Bevor Peter sich auf den Weg in die Freiheit macht, muss er allerdings erstmal tiefer in die Hölle. Der Besitzer der Baumwollplantage und der Menschen, die dort arbeiten, hat ihn verkauft, was nicht nur eine Trennung von seiner Familie bedeutet, sondern auch ein Dasein, das noch schlimmer ist als jenes auf der Plantage, das ihm schon die Narben auf dem Rücken beschert hat. Mit der Kette um den Hals wird er dorthin geführt, vorbei an schwarzen Köpfen auf Spießen. Diese soll er sich genau anschauen, dann heißt es wieder „Augen runter!“. Wer nicht spurt, spürt die Peitsche, Tritte oder Kugeln. Menschen, die versucht haben zu fliehen, werden hinter galoppierenden Pferden an ihm vorbeigeschleift.
Der Menschenjäger Jim Fassel (Ben Foster) beaufsichtigt das Geschehen, er gibt den anmutigen Teufel hinter den sadistischen Fratzen der übrigen Weißen, die die Sklaven zum Bau von Eisenbahnschienen treiben. In ständiger Todesangst müssen die Arbeiter damit den Weg bereiten für Waffenlieferungen, die jene Soldaten aus den Unionsstaaten zurückdrängen sollen, die das Ende der Sklaverei durchsetzen wollen. Als Peter von Präsident Lincolns Emanzipationsproklamation hört, gibt ihm das neuen Mut für einen Fluchtversuch durch die Sümpfe von Louisiana. Fassel verfolgt ihn tagelang mit seinen menschlichen und tierischen Bluthunden.
Diese Jagd bildet das Herzstück des Films. Foster brilliert, doch es ist vor allem Smiths Darstellung, die in Erinnerung bleibt. Die seelischen und physischen Schmerzen, die Peters Leben bestimmen, sind in seinen Körper eingebrannt und immer dann sichtbar, wenn er sich gebückt in Richtung Lincolns Truppen schleppt. Doch in seiner Mimik dominiert der Glaube – an Gott und an sein Recht auf eine Identität als Mensch und nicht als „Ding“, wie ihn die Weißen nennen, seit er denken kann.
Smith hätte dafür sicher einen Oscar verdient. Er wird ihn nicht bekommen und auch nicht an der Verleihung teilnehmen dürfen. Doch vielleicht führt all das Drama am Ende noch dazu, dass mehr Menschen diesen Film sehen, anstatt weniger. Es wäre zu begrüßen.




