Interview

„Ich mag Figuren, die ein bisschen schief ins Leben gebaut worden sind“

Christoph Maria Herbst über Schopenhauer, alte weiße Männer, die deutsche Komödie an sich und den Lubitsch-Preis, den er am heutigen Dienstag in Berlin verliehen bekommt.

Christoph Maria Herbst in seinem natürlichen Lebensraum: dem Kino.
Christoph Maria Herbst in seinem natürlichen Lebensraum: dem Kino.imago

Christoph Maria Herbst spielt in Sönke Wortmanns „Contra“ mal wieder den Kotzbrocken: einen egozentrischen Juraprofessor namens Richard Pohl, der die von der jungen Berlinerin Nilam Farooq gespielte Studentin Naima im voll besetzten Hörsaal rassistisch und sexistisch beleidigt. Als ein Video von dem Vorfall im Netz landet, droht ihm der berufliche Ruin, und er muss schauen, wie er die Sache wieder geradebiegt. Hierfür muss er ebendiese Studentin Naima auf einen Debattierwettbewerb vorbereiten.

Für seine Rolle wird der 56-Jährige am heutigen Dienstagabend in der Astor Film Lounge am Kurfürstendamm gemeinsam mit Nilam Farooq mit dem Ernst-Lubitsch-Preis ausgezeichnet. Obwohl er gerade im Drehstress ist, hatte die Berliner Zeitung die Möglichkeit, mit ihm – wenn auch fernmündlich – zu diesem Anlass zu sprechen.

Herr Herbst, wo erwischen wir Sie gerade?

Auf der Autobahn. Ich bin grad auf dem Weg zurück Richtung Köln. Unser Gespräch wird mir den Stau bestimmt verkürzen.

Ihre Filmfigur Richard Pohl ist nicht nur zynisch, empathiefrei und erhebt sich über andere, sondern äußert sich auch misogyn und rassistisch. Trotzdem ist er ein brillanter Rhetoriker. Mögen Sie den Professor Richard Pohl eigentlich?

Als Schauspieler musst du die Figur, die du spielst, immer lieben, weil du sie sonst lediglich vorführst. Manchmal ist es eine Hassliebe. So zumindest habe ich auf Richard geguckt: Du verabscheust von außen, was er von sich gibt, von innen musst du ihn dann aber mit Fleisch und Blut ausstatten, sonst bleibt der Charakter ein Strichmännchen.

Kennen Sie „Richard Pohl“ aus dem wirklichen Leben?

Leider blieb mir die akademische Laufbahn versagt, da mich die Schauspielschulen alle nicht haben wollten. Pohl als Professor ist mir also nicht bekannt. In meiner Gymnasialzeit hatte ich aber durchaus Lehrer, die mit einer ganz schönen Hybris ihren Intellekt zur Schau stellten, auch um uns kleinzuhalten. Sprache, Wortwahl, Ausdruck, sogar Kleidung sind wunderbare Mittel, sich über andere zu erheben. Da habe ich schon meine Erfahrungen gemacht. Der Herr Pohl ist ja neben all seiner Brillanz und skalpelligen Art auch immer wie aus dem Ei gepellt. Ich hatte also das eine oder andere Erlebnis, das mir sehr lebendiges Vorbild für meinen Prof. war.

Sollte jemand wie Richard Pohl an einer Hochschule unterrichten dürfen? 

Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass „Contra“ Fiktion ist und keine Doku. Ein solcher Universitätsprofessor hätte in der Realität hoffentlich keine Chance, sich zu halten. Der Film handelt aber eben auch von alten weißen Männern, die gemeinsam hinter verschlossenen Türen Strippen ziehen, und der eigentliche Strippenzieher ist der Dekan. Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass eine stabile Demokratie beziehungsweise Institution sich eben erst dann als stabil erweist, wenn sie andere Meinungen nicht nur aushält, sondern als Befruchtung empfindet. Aber der Grat ist schmal. Zugegeben.

Zur Person
Christoph Maria Herbst kam 1966 in Wuppertal zur Welt. Bekannt wurde er nicht zuletzt für die Rolle des „Stromberg“ in der gleichnamigen Comedy-Fernsehserie. Im Kino sah man ihn zuletzt u. a. in „Der Vorname“ (2018) und „Es ist nur eine Phase, Hase“ (2021). Für die Darstellung des misogynen Universitätsprofessors Richard Pohl in Sönke Wortmanns Komödie „Contra“ bekommt er am Dienstagabend im Berliner Astor-Kino gemeinsam mit Nilam Farooq den Ernst-Lubitsch-Preis für die beste komödiantische Leistung verliehen. Er lebt in Köln.

Haben Sie eigentlich Schopenhauer ganz gelesen für die Rolle?

(hüstelt) Natürlich. Fast ganz. Auf jeden Fall liegt das ganze Büchlein „Die Kunst, Recht zu behalten“ nach wie vor auf meinem Nachttisch. Die Beschäftigung damit war in jedem Falle spannend. Die dort gemachten Empfehlungen haben in mein Leben aber keinen Einzug gehalten.

Nehmen Sie ansonsten etwas aus Ihrer Rolle als Richard Pohl für Sie persönlich mit – so jenseits des Lubitsch-Preises?

Es ist eine weitere Rolle aus der Reihe „Nicht zum Nachahmen empfohlen“. Allerdings wurde Pohl nicht als Zyniker geboren. Das Leben hat ihm zugesetzt, und nicht geleistete Trauerarbeit, Wut und Enttäuschung haben dafür gesorgt, dass er eine Art Panzer trägt. Das kann man schon mitnehmen aus dieser Figur, dass man durchlässig und offen bleiben möge.

Wie viel bedeutet Ihnen der Ernst-Lubitsch-Preis?

Wenn ich mir die Riege der Geehrten angucke, wird mir schwindlig. Wenn man dann noch weiß, dass die Idee zu dem Preis von Billy Wilder stammt – mein lieber Scholli. Auf jeden Fall ist er eine Megasteilvorlage und kein Lorbeer, auf dem ich mich ausruhen werde.

Sie waren schon öfter in kontrovers diskutierten Rollen zu sehen, etwa als Miesepeter „Stromberg“. Spielen Sie grundsätzlich lieber unsympathische oder sympathische Figuren?

Kann ich so nicht sagen. Was ich sagen kann, ist, dass es mir nie darum geht, möglichst sympathisch rüberzukommen, also in diesem Sinne gut auszusehen. Wenn eine Geschichte, eine Figur in mir was auslöst, versuche ich, mich ihr mit Haut und Haar zu verschreiben. Grundsätzlich mag ich aber schon am liebsten die Figuren, die so ein bisschen schief ins Leben gebaut worden sind.

Was ist Ihre persönliche Lieblingsszene im Film? Neben scharfen und spannenden Debattier-Szenen gibt es noch die phänomenale Tanzszene, wo der sonst stocksteife Richard Pohl einen unerwarteten Habitus von sich preisgibt. Tanzen Sie auch in Wirklichkeit, um Aufregung abzuschütteln?

Meine Lieblingsszene im Drehbuch hat es leider nie in den Film geschafft. Wir hatten sie zwar gedreht. Am Ende wurde sie aber aus rhythmischen Gründen weggelassen: Naima spielt Dieter Bohlen. Danach ist Pohl als Bushido dran. Der Teil fehlt leider. Ansonsten war Tanzen nie so meins, daher wäre es auch nicht mein Weg, Lampenfieber loszuwerden. Es würde mich eher noch mehr aufregen, festzustellen, dass ich auch das nicht kann.

Was empfinden Sie denn als die Kernbotschaft des Films? Entstanden auch hinter der Kamera Differenzen und Debatten?

Wir hatten, wie bei Sönke Wortmann üblich, sehr viele, sehr konzentrierte Leseproben. Daher war das Buch kurz vorm Dreh auf den Punkt, und es gab keinen Anlass zu diskutieren. Einander zuzuhören, nicht nur in Tweets miteinander zu kommunizieren, der Sprache die Ehre zu erweisen – das wären schon mal ad hoc drei schöne Botschaften. Bestimmt nicht die einzigen in diesem Feel-good-Movie.

Wie war die Zusammenarbeit mit Nilam Farooq, die ebenfalls mit dem Lubitsch-Preis ausgezeichnet worden ist?

Hammer. Von Beginn an. Schon beim Casting schossen die Blitze zwischen uns, was für den Funkenflug zwischen diesen Figuren ja sehr wichtig ist.

Die deutsche Filmkomödie hat nicht den allerbesten Ruf. Was macht in Ihren Augen eine gute Komödie aus?

Ist „Contra“ eine Komödie? Ja. Auch. Aber das ist der Punkt: Wenn ich es nicht eindeutig belabeln kann, fühl ich mich wohl. Da hat sich zum Glück einiges getan in Deutschland. Das Genre muss nicht mehr zwingend abgezirkelt sein. Es gibt den schönen Satz: Komödie ist Tragödie plus Zeit. Das trifft es ganz gut. Ich möchte Figuren sehen, die Nöte haben, die glaubwürdig sind, dann kann ich über sie lachen, ohne sie auszulachen.

Würden Sie sich privat als lustigen Menschen einschätzen? Worüber haben Sie zuletzt so richtig gelacht?

Ich bin schon recht lustig. Glaub ich. Vielleicht aber auch nur, weil ich gerne gute Stimmung um mich herum habe. Wer nicht? Mein Lustig-Sein ist aber fast schon eine Haltung. Hat mir zumindest schon des Öfteren im Leben geholfen. Und mich halb totgelacht hab ich zuletzt bei „Ted Lasso“.

Ihr Lieblingsfilm von Lubitsch?

Ich kann leider nicht von mir behaupten, das komplette Schaffen dieses hochtalentierten und -kreativen Ausnahmekünstlers zu kennen. Was aber hängen geblieben ist und von mir immer mal wieder geguckt wird, ist „Sein oder Nichtsein“: Lehrstück eines genialen Drehbuchs, eines großartigen Ensembles und eines Timings, das atemberaubend ist. Hätte ich den gestern noch mal gesehen, wäre meine Antwort, worüber ich das letzte Mal laut gelacht habe, anders ausgefallen.

Ist es nicht ein Skandal, dass in seiner Heimatstadt Berlin noch immer keine Straße nach ihm benannt ist?

Zumindest gibt es am Geburtshaus eine Tafel und einen Stern auf dem Boulevard der Stars. Es ist also nicht alles schlecht.