Porträt

Behzad Karim Khani: „Hey, ich erzähle euch mal, wie es wirklich ist“

Als Flüchtlingskind kam er nach Deutschland, als Barbetreiber hat er Erfolg. Als Schriftsteller veröffentlicht Behzad Karim Khani einen sehr guten Berlin-Roman.

Behzad Karim Khani, der Autor von „Hund Wolf Schakal“.
Behzad Karim Khani, der Autor von „Hund Wolf Schakal“.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Er habe das Buch nicht als Soziologe geschrieben, sagt Behzad Karim Khani. Das ist der Punkt, da in unserem Gespräch die Realität des heutigen Berlin und das Leben seiner Figuren verschwimmen. „Hund Wolf Schakal“ spielt in dieser Stadt, in Neukölln und Kreuzberg, zeigt Straßen, Plätze und Gebäude wiedererkennbar. Wir befinden uns am Landwehrkanal, irgendwo hier überfällt Saam im Buch eine Apotheke, ein Wendepunkt des Romans. Wie konnte das passieren? Warum landen manche Jungs, junge Männer, deren Eltern doch das Beste wollten, im Knast? So wie Saam und sein jüngerer Bruder Nima im Roman ist Behzad Karim Khani selbst als Flüchtlingskind mit seinen Eltern aus dem Iran gekommen.

Sein Buch gehört zu den aufregenden Neuerscheinungen in diesem Literaturherbst, der noch im Hochsommer beginnt. Es ist gar nicht leicht, mit ihm einen Termin zu finden, er ist ein gefragter Interviewpartner, vermutlich auch, weil man sich eine Legende zurechtspinnen kann, bevor man überhaupt mit ihm spricht. Behzad Karim Khani, 1977 in Teheran geboren, gehörte zum Gründungsteam der dem Techno verpflichteten Bar 25 am Friedrichshainer Spreeufer, er betreibt die Lugosi Bar in der Reichenberger Straße in Kreuzberg. Nachtleben und Literatur im Leben, Neukölln und Kriminalität im Buch, Kunst kontra Klischee.

Die Schubladen schließen

Wir treffen uns an einem Vormittag, er hat das Restaurant Spindler am Paul-Lincke-Ufer vorgeschlagen. Eine leere Tasse und ein Glas zeigen, dass er schon eine Weile da war. Das Buch, das er vom Tisch nimmt, ist nicht „Hund Wolf Schakal“. Er habe den Roman nicht als Chronist oder Sprachrohr eines Milieus geschrieben, sondern als Schriftsteller, sagt er ziemlich bald. So ein Satz lässt darauf schließen, wie ihm bereits begegnet wurde. Behzad Karim Khani will schnellstmöglich die Schubladen schließen, die schon geöffnet worden sind.

„Zehnmal besser als jedes ,4 Blocks‘“, heißt es im Zitat auf dem Buchrücken; der Hinweis auf die TV-Serie, die im Neuköllner Drogen- und Kriminalitäts-Milieu spielt, weckt wiederum Erwartungen. Auf die antwortet Behzad Karim Khani konkret. Es habe ihn oft wütend gemacht, „wie sich dieses Land an dieser einen Straße Sonnenallee so abarbeitet. Da dachte ich: Hey, ich erzähle euch mal, wie es wirklich ist. Meine Geschichte ist tausendmal näher dran als jede Doku auf RTL2.“ Damit spielt er sogar im Buch. „Sobald RTL2 auftaucht, sind sie alle Clanchefs“, sagt einer, fährt aber fort: „Meinst du, wer Geld hat, lebt hier? Guck dich mal um.“

Mit dem Buch kann man sich umgucken. Karim Khanis Sonnenallee erinnert an den gleichnamigen Song von Rio Reiser von 1990, verspielt und hart zugleich, auf jeden Fall: arm. Als er vor zwanzig Jahren nach Berlin kam, sei er auch nicht gern durch Neukölln gegangen, sagt Behzad Karim Khani. „Aber nicht, weil da irgendwelche Araber an der Ecke stehen, sondern weil jeder Deutsche, der mir entgegenkam, ein schwerer Alkoholiker war mit nem Pitbull.“ In Deutschland habe man sich an bestimmte Arten des Prekariats gewöhnt. An der Schule seines Sohnes gebe es „diese Kevins“, die eine Tüte Chips zum Frühstück mitbekommen und die vor dem Supermarkt literweise Cola trinken. „Das ist viel mehr eine Klassenfrage als eine kulturelle.“ Den soziologischen Blick hat er durchaus.

Dieses Framing: Parallelgesellschaft, Ehrenmord, Clans

Formulierungen wie „dieses Land“ oder „in Deutschland“ benutzt Behzad Karim Khani häufiger. Er zieht damit eine Grenze, auch wenn er erklärt: „Ich finde es gut, wenn wir mal unsere eigenen Geschichten erzählen.“ Die Betonung liegt auf „wir“ wie in dem Satz: „Bei vielen politischen Themen, die uns total betreffen, sind wir total unbeteiligt.“ Wir – die Zugezogenen, Emigrierten, Kinder der Gastarbeitergeneration. Er nennt die Idee der Integration gescheitert, schlägt vor, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden: „Wir sollten versuchen, miteinander auszukommen, ohne immer unser Werte gegeneinanderzuhalten.“

Das heißt aber nicht, dass er kratzbürstig wäre. Behzad Karim Khani ist ein angenehmer, höflicher Gesprächspartner. Und so rasant und sogar brutal manche Szenen in seinem Buch sind, hat man den Eindruck, dass er eine große Zärtlichkeit für seine Figuren empfindet. Er bringt das Kunststück fertig, dass man noch Verständnis übrig hat, wenn der Mann, den man als Jungen kennengelernt hat, die mit Rasierklingen gespickten Fäuste ausfährt.

Behzad Karim Khani erklärt es mit dem Schärfe-Unschärfe-Prinzip, das uns Menschen eigen sei. Wenn wir jemanden mögen, schauen wir genauer hin. Auch die Mutter eines Mörders sehe noch Gutes in ihrem Kind. Ohne Sympathie würden die Muster gröber. Auch beim Blick auf die vermeintlichen Bewohner der Sonnenallee: „Das Framing, mit dem sich dieses Land diesen Leuten nähert: Parallelgesellschaft, Ehrenmord, Verschwiegenheit, Clans übernehmen ganze Stadtteile. Es ist doch gar nicht so. Es sind viele große Familien hier und einige Mitglieder dieser Familien sind kriminell. Die machen diese ganzen Sachen mit ihren Cousins. Das sind keine Clans, das ist nicht Mogadischu, das ist nicht Neapel.“

Mit Framing, also Zuschreibungen, begann Khanis eigene Geschichte in Deutschland. In München, wo die Familie ankam, wollte sie nicht bleiben. „Das war die Strauß-Zeit in der CSU, als Politiker noch in der Öffentlichkeit Türkenwitze machten. Wir hatten Horrorgeschichten gehört von Bayern“, sagt Behzad Karim Khani. In Nordrhein-Westfalen hatten sie Bekannte. Sie landeten in Bochum-Hustadt, einer Siedlung, die der Gropiusstadt ähnelt.

Er wurde in der Schule ausgelacht, als er noch Schwierigkeiten mit der Sprache hatte. Bald ging es um „Markenklamotten und andere Dinge, die Geld voraussetzen, das aus dem Elternhaus kommen muss. Dann steht man da mit seiner C&A-Jacke und nicht der 300-Mark-NafNaf-Jacke wie die anderen. Und dann lernt man einen kennen, der die Sachen klaut, oder jemanden, der weiß, wo die Sachen vom Lkw fallen. Dann hat man ein Butterfly-Messer oder eine Schreckschusspistole und dann fragt einer: Sag mal, kannst du Hasch besorgen.“ Eine Abwärtsspirale, auch im Buch.

Mit dem Abstand von heute weiß er, wie es besser hätte sein können, wie Menschen sich willkommen fühlen: Ein Teil seiner Familie ist damals nach Holland emigriert. Dort gab es vom Anfang an ehrenamtliche Helfer, die regelmäßig kamen – für Amtsdinge und Behördengänge. Wenn Deutschland gegen die Niederlande Fußball spielt, hält Behzad Karim Khani zu den Niederlanden, aus Prinzip.

Ein Vorbild sein für den Sohn

Studiert hat er Kunstgeschichte und Medienwissenschaft, und als er 2003 nach Berlin zog, wollte er „nicht in diese aggressive Szene rein, wo man gleich mit Gangs und Gewalt zu tun hat“, er wollte einfach nur Kunst machen. Eine Wand zum Besprühen fand sich am Spreeufer. So kam er zur Bar 25, dem Open-Air-Club, „eine wilde und wahnsinnig tolle Zeit“ am Anfang. Als sich die Stimmung änderte, ging er und begann zu schreiben. Drehbücher waren das zunächst, keines wurde bis jetzt verfilmt, die Branche ist schwierig. Zeitungen und Magazine nahmen seine Texte gern.

Als er Vater wurde, wollte er seinem Sohn eine Stabilität geben, die er selbst nicht hatte. „Ich komme aus einer Künstlerfamilie, mein Vater ist Dichter. Ich wollte einen bürgerlichen Anstrich, dass ich Rechnungen zahlen konnte und meinem Schwiegervater sagen: Das ist mein Unternehmen.“ Die Lugosi Bar liegt hier um die Ecke, man muss nur vom Kanal die Manteuffelstraße hoch. An lauen Sommerabenden stehen viele dicht besetze Tische draußen, auch drinnen ist es voll. Schwarz sind die Wände, schwarz das Papier der Karte, viele Drinks, die es auch anderswo gibt, haben ein kleines unerwartetes Detail.

Es war der Pulitzer-Preis für Kendrick Lamar, der Behzad Karim Khani erneut zum Schreiben brachte. „Da dachte ich: Er ist Musiker, Rapper, seine Mutter arbeitet bei McDonald’s und er bekommt diesen Preis.“ Rap war schon „sehr früh sehr, sehr wichtig für mich“, sagt Khani. Mit der hohen Literatur, die sein Vater ihm vermitteln wollte, habe er nichts anfangen können. „Was im Rap gesagt wurde, hatte mit meiner Lebensrealität zu tun.“ An Kendrick Lamars prämierten Album „Damn“ lobt er die „Zerbrechlichkeit, die ich selten woanders gehört habe“.

Die Corona-Pandemie als Chance

Das war 2018. Behzad Karim Khani holte einen angefangenen Text aus einem alten Rechner wieder hervor. Doch wie schreibt man ein Buch, wenn man sich um ein Unternehmen mit fünf Angestellten kümmern muss und um eine Familie? Die Pandemie kam ihm gelegen. Als die Angst überwunden war, was die Schließung der Bar bedeuten könnte, nutzte er die leeren Räume als seine „Schreiboase“.

Die ungleichen Brüder, seine Helden, nennt er „zwei Enden meiner eigenen Person. Ich habe Dinge gemacht, die Saam gemacht hat, aber auch wie Nima gelebt, ich war skateboarden und hatte deutsche Freunde aus wohlhabenden Familien. Ich war auf der Straße und gleichzeitig auf dem Gymnasium. Ich habe Abitur gemacht und war vorbestraft. Für mich war das vereinbar.“

Behzad Karim Khani hat das Schreiben beim Schreiben gelernt, er probierte aus, wie seine Figuren sich verhalten: „Als würden sie in einem Aquarium sitzen und ich werfe etwas hinein und gucke, wie sie reagieren. Oder ich nehme den Sauerstoff raus, verändere den pH-Wert.“

Er zog mit ihnen im Kopf nach draußen, auf ihren Wegen. In der Douglas-Filiale suchte er das richtige Aftershave für den einen. Die Charaktere wurden plastisch, weil er immer mehr über sie wusste. Vieles davon verschwand wieder aus dem Manuskript. Einer seiner Schreiblehrer war nämlich der französische Schriftsteller Albert Camus. Dessen aus dem Nachlass veröffentlichtes Buch „Der erste Mensch“ las er einschließlich der Anmerkungen. „Einmal hat er unter ein Kapitel notiert: ,Kapitel schreiben und dann streichen.‘ Das hat mich sehr beeindruckt.“

Seine allererste öffentliche Lesung hatte Khani Ende Juni im österreichischen Klagenfurt beim Bachmann-Wettbewerb. Die Jurydiskussion hakte sich an Details fest, wiederholte Missverständnisse. Das war eine Enttäuschung. Er denkt jedoch gern daran zurück, wie gut sich die 14 Autorinnen und Autoren verstanden, „wie im olympischen Dorf“.

Beim Iran denken die Leute sofort an Mullahs

Ein „D“ wie Deutschland steht in der Klagenfurter Teilnehmerliste hinter seinem Namen. Doch Behzad Karim Khani ist kein Deutscher und möchte nicht so bezeichnet werden. Sein deutscher Pass weise ihn als asylberechtigt aus, der Staatsbürgerschaft nach ist er Iraner. Seine Eltern sind übrigens zurückgegangen. Er sagt, die meisten Iraner erzählten den Deutschen, sie seien Perser, „da haben die Leute eine Assoziation von einer großen Kultur mit Geschichte. Beim Iran denken die Leute sofort an Atomgespräche, Mullahs und Frauen im Tschador.“

„Ich will gar keiner von euch sein“, sagt er, was auch mit seiner weichen Stimme nach Provokation klingt. Die Fragen lassen ihn offenbar wieder eine Etikettierung fürchten. „Ich halte die Widersprüchlichkeit aus.“ Das Angebot, zu sagen, „Ich bin ein Berliner“, findet er kitschig. Wenn überhaupt, dann ein Kreuzberger. „Im 500-Meter-Radius von hier haben wir Schwulenkneipen, Moscheen, eine Synagoge, ein veganes Geschäft neben einem Laden, der nur Fleisch verkauft. Diversität leben wir hier schon immer.“ In Kreuzberg gebe es eine Balance. „Ich denke, wir sind ein ganzes Stück weiter, wenn wir verstehen, dass wir am Ende alle eine Minderheit sind.“ Und er schiebt lächelnd hinterher: „Das ist jetzt nicht mein Vorschlag für die Welt.“ Er ist kein Soziologe, kein Politiker, sondern Autor – mit einem starken Debütroman, der jetzt in die Läden kommt.

Am Tag nach unserem Treffen wird der Schriftsteller Salman Rushdie in den USA durch einen Angreifer lebensgefährlich verletzt. Der Mordaufruf, der vor mehr als dreißig Jahren gegen ihn ausgesprochen wurde, ging vom Iran aus. Was bedeutete diese Nachricht für ihn, Behzad Karim Khani? Auf die Frage per E-Mail schreibt er, er stelle nach jedem Attentat, jedem Verbrechen, jeder Barbarei seine eigene Verrohung fest, wenn er merke, dass sein erster Gedanke lautet: „‚Lass den Täter bitte nicht meine Herkunft, meine Hautfarbe, meinen vermeintlichen Glauben haben.‘ Dann mache ich die Vorhänge zur Straße zu, das Telefon aus und höre auf, Nachrichten zu lesen.“