Hunde in Berlin

Hundetrainerin: „Ein Hund muss nicht jedem anderen Hund Hallo sagen“

Berlins Corona-Hunde sind in der Pubertät. Das bringt auch Probleme. Was sich durch Erziehung erreichen lässt und worauf zu achten ist, erklärt eine Hundeexpertin.

Berliner Hundetrainerin Vanessa Bock sagt: „Zu denken, ein Hund sei schlecht sozialisiert, nur weil er mal an einem anderen vorbeiläuft, das ist Quatsch.“
Berliner Hundetrainerin Vanessa Bock sagt: „Zu denken, ein Hund sei schlecht sozialisiert, nur weil er mal an einem anderen vorbeiläuft, das ist Quatsch.“Illustrationen: Roshanak Amini für Berliner Zeitung (5)

Seit Corona sind die Berliner Hundeparks voller, Hundefutter ist ausverkaufter und das Bellen in den Hinterhöfen der Stadt ist lauter. Sich einen Welpen zuzulegen, war in den letzten zwei Jahren für viele Berlinerinnen und Berliner ideales Heilmittel gegen Einsamkeit und Langeweile. Doch nach der Welpenzeit kommt die Pubertät – und gute Erziehung ist gefragt. Nur wenige der neuen Hundehalter bringen die nötige Erfahrung mit, wie man in dieser Phase mit den eigenwilligen Vierbeinern umgeht. Wir haben mit einer professionellen Hundetrainerin über Hundepubertät und die Lage in Berlin gesprochen. Vanessa Bock arbeitet bei der Berliner Hundeschule Cookie & Friends.

Berliner Zeitung: Während der Pandemie haben sich viele Menschen einen Hund angeschafft. Wie erleben Sie als Hundetrainerin die letzten zwei Jahre?

Vanessa Bock: Wir bieten neben dem Training auch Dog Walking an. In beiden Bereichen überschlagen sich seit Monaten die Anfragen. Gerade Leute, die jetzt anfangen, wieder regulär ins Büro zu gehen, merken plötzlich, dass sie jemand brauchen, der ihren Hund ausführt.

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Von Anja Sokolow

24.08.2022

Glauben Sie, viele haben es sich leichter vorgestellt und sind mit der Situation überfordert?

Definitiv, die meisten Leute unterschätzen das. Sie stellen sich einen Hund zu halten in der Regel romantisch vor, dass man eben dreimal am Tag spazieren geht und das wars. Dann merken sie: Training braucht Zeit und Geduld. Auch das mit dem Alleinbleiben klappt nicht immer sofort. Dennoch: Die meisten Leute, mit denen ich in Kontakt bin, geben sich wirklich Mühe.

Vanessa Bock: „Die meisten Leute stellen sich vor, dass man eben dreimal am Tag spazieren geht und das wars.“
Vanessa Bock: „Die meisten Leute stellen sich vor, dass man eben dreimal am Tag spazieren geht und das wars.“

Halten Sie den Hundeführerschein, den es in Berlin seit 2019 gibt, für sinnvoll?

Wer seinen Hund in Berlin ohne Leine ausführen will, sollte einen Test ablegen. Irgendeine Form allgemein festgelegter Reglementierung finde ich schon nicht schlecht. Das muss kein Führerschein sein im engeren Sinn, aber eben ein Nachweis, dass man zum Beispiel einen Welpenkurs besucht hat, einen Grunderziehungskurs gemacht, dass man mit dem Hund gearbeitet hat, das halte ich für sehr sinnvoll.

Viele der sogenannten Corona-Hunde kommen in die Hundepubertät. Was passiert da? Wie verändert sich das Verhalten?

Es ist ein bisschen wie beim Menschen, wenn aus Kindern Teenager werden. Hunde kommen in die Geschlechtsreife, Hormone werden ausgeschüttet. Hündinnen werden läufig, Rüden beginnen das Bein zu heben. Die Hunde fangen an, sich anders für andere Hunde zu interessieren. Der Hund wird auch eigenständiger, will die Welt für sich entdecken, fängt an, Grenzen neu auszutesten. Also die Grenzen zu Hause, aber auch die gegenüber anderen Hunden. Hunde probieren sich dann plötzlich in allen möglichen Bereichen aus und sind auf einmal nicht mehr handsam wie als Welpe. Gleichzeitig können in der Pubertät auch Unsicherheitsphasen auftreten. Dadurch, dass die Synapsen neu verknüpft werden, können Dinge, die eine Woche vorher noch völlig okay erschienen, plötzlich als gruselig und angsteinflößend empfunden werden. Ein sonst braver oder unscheinbarer Hund fängt dann womöglich an, Leute zu verbellen, nur weil sie einen Regenschirm tragen.

Die Hundetrainerin rät prinzipiell zu einer Beratung <em>vor</em> dem Hundekauf.
Die Hundetrainerin rät prinzipiell zu einer Beratung vor dem Hundekauf.

Gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen Hunderassen, was die Pubertät angeht?

Kleinere Rassen kommen in der Regel früher in die Pubertät, das kann schon im Alter zwischen fünf bis sechs Monaten anfangen. Bei größeren ist das etwas später, ab acht bis neun Monaten. Wann sie genau anfängt, wie stark die Pubertät auffällt und wie lange sie dauert, ist von Hund zu Hund sehr individuell.

Stimmt es, dass die Pubertät bei einem größeren Hund in etwa ein Jahr dauert?

Ja, wobei wir auch sehen, dass Pubertät in Phasen vor sich gehen kann. Bei manchen Hunden etwa wird es für ein paar Monate besser und plötzlich fängt die Pubertät quasi von vorn an. Im Zeitraum von circa zwei Jahren passiert da hormontechnisch sehr viel.

Manche kaufen sich einen Hund im Welpenalter. Andere adoptieren ältere aus dem Tierschutz. Wozu raten Sie?

Ich würde zu keiner der beiden Optionen generell raten. Ich denke, man muss das Für und Wider hier genau abwägen. Ein Welpe ist mit sehr viel Arbeit verbunden, es kostet in der Regel mehr Zeit und Geld. Und ein Hund aus dem Tierschutz bringt eben eine ganz eigene Geschichte mit. Da muss man im Zweifel Kompromisse schließen und sich arrangieren, ob das was ist, was sich bei dem eigenen Lebensstil wirklich bewerkstelligen lässt. Als Trainerin würde ich prinzipiell zu einer Beratung vor dem Hundekauf raten. Auch mit Blick auf Alter oder Rasse. Die Beschreibungen der Rassen werden online leider meist stark beschönigt. Wenn da steht: „Ein arbeitswilliger Border Collie, der sich schön in die Familie einfügt“ – das sind Aussagen, die mit Vorsicht zu genießen sind, weil nicht jede Person den Anforderungen der Rasse wirklich gerecht werden kann. Im Gespräch kann man sich den Alltag der Person angucken und überlegen, was passt. Leider wird das so gut wie gar nicht in Anspruch genommen. In der Regel kommen die Leute immer erst, wenn es bereits Probleme gibt.

Kann ich mit Hundetraining denn auch im späten Hundealter einsteigen?

Meine eigene Hündin kam mit vier Jahren zu mir, sie wusste damals nicht einmal, was eine Leine ist. Innerhalb eines Jahres hat sie alles Wichtige gelernt. Einem älteren Hund auch noch etwas beizubringen, ist herausfordernd und sicher nichts für jeden, aber ich habe auch Hunde, die mit acht Jahren zu mir kommen und noch sehr lernfähig sind.

Ein Trainer sollte sich nicht nur gut mit Hunden auskennen, sondern auch mit Menschen.
Ein Trainer sollte sich nicht nur gut mit Hunden auskennen, sondern auch mit Menschen.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten Herausforderungen in der Hundeerziehung?

Die größten Herausforderungen sind Probleme wie die, dass der Hund auf der Straße andere Hunde oder Menschen anbellt. Wenn Dinge in der Öffentlichkeit passieren, ist der Leidensdruck der Leute größer. Auch das Alleinbleiben ist ein großes Thema. Und eben Grunderziehung. Viele Hundehalter wissen überhaupt nicht, wie man an die Sache herangeht, wie man dem Hund versucht beizubringen, an der Leine zu laufen.

Wenn man Ihnen so zuhört, klingt das ein bisschen, als ginge es eher darum, die Halter zu erziehen anstatt die Hunde.

Ich arbeite definitiv mehr mit den Menschen als mit Hunden, keine Frage.

Wie finde ich die perfekte Hundetrainerin?

Ein Trainer sollte sich nicht nur gut mit Hunden auskennen. Das Zwischenmenschliche sollte auch stimmen. Als Trainer muss man sehr gut vermitteln können. Egal wie viel ich weiß – wenn ich es nicht verständlich machen kann, bringt das wenig. Man sollte sich bei einem Hundetrainer auch wohlfühlen. Ein Trainer sollte den Halter nicht einfach niedermachen, sodass er sich am Ende schlecht und frustriert fühlt. Mir ist in meiner Arbeit wichtig, Leuten respektvoll zu begegnen. Abgesehen davon würde ich darauf achten, dass ein Hundetrainer sich fortbildet und seine Methoden erweitert.

Was hat sich im Hundetraining denn so getan in den vergangenen Jahren?

Es hat sich so einiges verändert! Früher gab es die klassische Alpha- Theorie. Dass man dem Hund zeigen muss, wer der Chef ist, dass man ihn unterwerfen muss. Davon ist man heute abgekommen. Insbesondere von der Idee, körperliche Gewalt anzuwenden. Das ist verboten, so ist das inzwischen auch im Tierschutzgesetz verankert. Zudem weiß man heute, dass Hunde mit Menschen kooperieren wollen, und versucht daher eher, auf diese Kooperationsfähigkeit aufzubauen. Sicher, man muss dem Hund Regeln vorgeben und Grenzen setzen. Aber man arbeitet eben heute mehr mit positiver Bestärkung und weniger mit Unterwerfungsakten.

Was halten Sie von Cesar Milan, dem berüchtigten Hundetrainer, der ja teilweise für seine autoritären Erziehungsmethoden kritisiert wird?

Man muss das, glaube ich, im Kontext einer TV-Produktion verstehen. Das ist in erster Linie auf Action ausgerichtet und entsprechend aufgeputscht. Daher fiele es mir schwer, da ein objektives Urteil über die Methoden abzugeben.

Vanessa Bock: „Kein Hund muss sich mit jedem anderen Hund verstehen.“
Vanessa Bock: „Kein Hund muss sich mit jedem anderen Hund verstehen.“

Der Beruf Hundetrainer wirkt traditionell männlich dominiert. Hat sich das inzwischen verändert?

Ich selbst bin noch nicht seit Jahrzehnten in dem Geschäft, aber das ist meinem Eindruck nach ziemlich gemischt. Klar, der Hundetrainer-Beruf war früher männerdominierter, auch weil er aus der Jagdhundausbildung stammt. Da ging es darum, Polizeihunde oder Militärhunde auszubilden. Heute sehe ich sehr viele Frauen, die als Hundetrainerinnen arbeiten.

Was sind in Ihren Augen die Basics, die jeder Hund beherrschen sollte?

Das kommt stark auf meinen Alltag an. Wenn ich auf dem Land wohne und mein Hund die ganze Zeit frei laufen darf, muss er womöglich nicht perfekt an der Leine laufen können. Wenn ich in der Stadt wohne und erst mal über eine Straße muss, um in den Park zu kommen, sollte er durchaus an der Leine laufen können. Eine gewisse Zeit lang alleine bleiben, dass sollte jeder Hund können. Selbst wenn ich im Homeoffice arbeite, werde ich in Situationen kommen, wo ich mir nicht erlauben kann, dass der Hund die gesamte Nachbarschaft verheult. Ich bringe Leuten, die zu mir kommen, als Erstes immer ein Aufmerksamkeitssignal bei. Etwas, das dazu führt, dass er mich anschaut und bei mir bleibt. Und dann ist da natürlich auch der Rückruf.

Also dass er stehen bleibt? Oder dass er wirklich direkt zu mir zurückkommt?

Sicherer Rückruf heißt, dass der Hund ohne Verzögerung zu mir kommt und erst mal auch bei mir bleibt, so lange, bis ich sage: „Du darfst jetzt wieder los.“ Das ist schon eine komplexere Übung.

Infobox image
Vanessa Beck, Cookie and Friends Berlin
Zur Person
Vanessa Bock, 29, arbeitet seit Anfang 2022 als Hundetrainerin und Dog Walker bei der Hundeschule und dem Auslaufservice Cookie and Friends Berlin. Nach einem Grundstudium in Biologie beschloss sie, sich intensiver mit Tieren auseinanderzusetzen, und studierte Verhaltensbiologie in Wien. 2019 absolvierte sie eine Ausbildung zur Hundetrainerin und arbeitet seitdem in dem Bereich.

Was sind gängige Mythen in der Hundeerziehung, die wir hinter uns lassen sollten?

Der Klassiker, den man fast jeden Tag auf der Straße beobachten kann, ist, dass Leute denken, ihr Hund sollte anderen Hunden immer jederzeit Hallo sagen können. Ich würde sagen: Kein Hund muss sich mit jedem anderen Hund verstehen. Zu denken, er sei schlecht sozialisiert, nur weil er mal an einem anderen Hund vorbeiläuft, das ist Quatsch. Und eben die veraltete Alpha-Denkweise.

Was müssten Berliner Hunde besser machen?

Ich selbst komme aus Bayern und habe vor Berlin in Wien gelebt. Bei Berliner Hunden habe ich insgesamt sehr wenig schlechte Erfahrungen auf der Straße gemacht. Ich denke, die meisten kommen sehr gut klar. Nur das ständige Hallosagen an der Leine, das ist etwas, was ich den Leuten wirklich gern abgewöhnen würde.