Innerhalb Europas ist Berlin vermutlich die vegan-freundlichste Stadt. Das fällt einem erst auf, wenn man reist. Nach Lissabon beispielsweise, eine durch und durch hippe Stadt, die in der Vergangenheit oftmals mit Berlin verglichen wurde. Kürzlich wollte eine Bekannte, sie ist Veganerin, dort bei einem im Guide Michelin als „gehoben-trendig“ gelisteten Restaurant vegan essen. Der portugiesische Koch guckte sie vollkommen überfordert an. Zuerst fragte er, ob sie Obst und Gemüse mag. Sie bejahte. Dann wollte er wissen, wie es mit Reis und Nudeln aussehe. Oder ob sie auch Salat esse?
Während ich bereits an einem perfekt gegrillten Iberico-Schwein säbelte, bekam meine Freundin endlich auch einen Teller: Obenauf war er mit Bananen und anderen Früchten dekoriert, darunter fanden sich Blätter von Pflücksalaten und schließlich eine Basis aus gekochtem Reis sowie Nudeln. Serviert wurde alles ohne Sauce. Das Gericht war praktisch ungenießbar.
So etwas passiert in Berlin zum Glück nicht mehr. Kein Veganer wird hier mehr auf Beilagen reduziert. Jedes anständige Restaurant hat inzwischen zwei bis drei rein vegane Gerichte auf der Karte. Jeder Berliner Burger-Shop bietet mindestens ein veganes Patty aus Soja, Seitan, Pilz, Erbsen oder Bohnenmus als Alternative an. Und von der Flut der rein veganen Imbisse á la Yoyo, Vedang und Vöner, die in den letzten Jahren eröffnet haben, ganz zu schweigen.

Ich mag Comfort Food mit Butter, Sahne und Käse
Auch ich verzichte oft aus tierische Lebensmittel: Eine Falafel hier, eine vegane Reis-Bowl da. Das ist für mich kein Problem, sondern eine großartige Abwechslung. Leider merke ich immer wieder: Wenn ich abends im Restaurant sitze, stehe ich doch arg auf Comfort Food, das in der Regel jede Menge Butter, Sahne, Eier, Käse oder eben auch Fleisch als Zutaten braucht. Um dieses vollmundige, Umami-reiche und oft cremige Mundgefühl so hinzukriegen, dass es nicht nach Ersatz schmeckt, muss die Küche viel Arbeit reinstecken.
So etwa wie es im Kopps, Frea oder Lucky Leek gelingt. Alles rein vegane Restaurants, die aber natürlich ihren Preis haben und nichts für jeden Tag sind. Doch veganes Comfort Food jenseits der Imbiss-Kultur, das sich jeder im Alltag leisten kann? Das ist schwer zu bekommen.
Die Macher des Froindlichst, das kürzlich in meinem Viertel, dem Winskiez, eröffnet hat, haben jedenfalls die Marktlücke gesehen und die Herausforderung angenommen. Sie wollen die vollmundige, vegane Küche von ihrem grünen und elitären Image befreien und gleichzeitig die Lücke zum veganen, oft ungesunden Fast-Food schließen. Ein Ansatz, der mich neugierig macht.

Das alte Muse im Winskiez wird wieder mit Leben gefüllt
In Hamburg gibt es bereits zwei Froindlichst-Restaurants und eine dazugehörige Bäckerei. Es ist also ein Franchise-Konzept. Sven Dörner, ein Freund der Hamburger Gründer, betreibt nun den Berliner Laden. Er fand die perfekte Location dafür: Er übernahm das ehemalige Muse, ein über Jahre sehr beliebtes Restaurant, das ursprünglich aus einem Supper Club hervorgegangen war, und in dem ein britisch-schwäbisches Paar bereits acht Jahre lang feinstes Comfort Food auftischte, wenn auch nicht vegetarisch oder vegan.
Das Muse war für viele Anwohner ein zweites Wohnzimmer. Mal aß man hier einen der leckeren Burger, mal ein Pumpkin-Smash-Sandwich mit Walnusspesto, oder man traf sich zu Käsekuchen und Kaffee. Die Schließung habe ich sehr bedauert, aber ich freue mich auch für die Wirte, die sich nun mit einer eigenen kleine Farm in Spanien den Traum der Selbstverwirklichung erfüllen. Als Zeichen der freundlichen Übergabe drehten sie ein Video, in dem sie ihren Gästen Goodbye sagten und ihren Nachfolger Sven Döring willkommen hießen.
Das Froindlichst startet also auf einem gut bestellten Feld. Optisch hat sich vieles bewahrt: Die Mischung aus Industrial Design und Vintage in der Einrichtung, die vielen Glühbirnen mit einem sehr warmen Licht.
Das Menü ist leider eine Enttäuschung
Der erste Blick in die Karte ist allerdings eine Enttäuschung: Unter Comfort Food wird hier doch wieder nur Burger, Pizza, Nachos und Burrito verstanden und wieder Fleisch, Käse und anderen Tierprodukten hinterhergekocht. Meist mit den üblichen Soja-Ersatzstoffen. Schade.
Ich will dem Laden dennoch eine Chance geben und starte mit einem Pizzabrot sowie dem veganen Ofen-„Keese“, der sich genau so schreibt. Viele Gerichte tragen „lustige“ Namen, etwa „Barbie Kuh“ ist ein Burger mit Soja-Beef-Patty und -Bacon, „Mozzi“ eine Pizza mit Mozzarella-Ersatz und „Billy IBowl“ ein Wildsalat mit rotem Quinoa.
Solange es schmeckt, stört mich sowas nicht. Das Pizzabrot ist vom Teig dann gelungen: dünn, mit griffigem Mehl gebacken, so dass es sehr knusprig ist. Leider hat die Küche etwas zu viel Kräuter der Provence darüber gestreut – eine typische Überwürzung, die ich oft in der veganen Küche beobachte.
Hier werden wohl nur konsequente Veganer glücklich
Der Ofenkäse schmeckt dagegen, wie mein Mann sagt, neutral. Ich habe auf der langen Zutatenliste, die im Restaurant ausliegt, nachgeschaut: Cashewnüsse sind die Basis, dazu kommen Tapiokastärke, Hefeflocken und Liquid Smoke, womit sich das leicht künstliche Räucheraroma erklärt. Die Konsistenz erinnert an klebrigen Kartoffelbrei, nicht an geschmolzenen Käse. Ich würde ihn nicht noch einmal bestellen.
Am ehesten überzeugen noch die Süßkartoffeln und mein Burger. Erstere sind perfekt knusprig frittiert, doch dafür braucht es nicht wirklich einen Koch. Immerhin ist mein Basil-Berry-Burger mit seinem Patty aus roten Linsen gut zusammengestellt: mit Champignons, wieder veganem Käse und Preiselbeeren, was geschmacklich an einen überbackenen Camembert erinnert.
Die Laune meines Mannes allerdings sinkt kontinuierlich. Er kann mit vegan wenig anfangen, wollte aber zumindest das Adjektiv gesund abhaken und hat sich die Billy IBowl bestellt. Was soll ich sagen? Wie Lissabon? Zwar harmonieren die Hauptzutaten Quinoa, Wildsalat, Avocado, Karotten und Süßkartoffelpommes etwas besser, doch fehlt auch hier eine Idee oder wenigstens ein Dressing, das alles zusammenhält: Der zähflüssige Basilikum-Mayo-Dip reicht dafür nicht aus.
Ich will nicht gemein sein, aber vielleicht muss man wirklich konsequent vegan leben, um das Froindlichst zu schätzen. Ich jedenfalls tue mich damit ein bisschen schwer und komme leider so bald nicht wieder.
Preise: Vorspeisen 5,90–12 Euro, Bowls, Burrito und Burger 10,90–14,50 Euro, Desserts 3,20–4,50 Euro.
Froindlichst: Immanuelkirchstraße 31, 10405 Berlin, geöffnet täglich 12–22 Uhr, Samstag und Sonntag ab 9.30 Uhr.




