Vor einigen Tagen machte ein Foto von Papst Franziskus die Runde durch die digitalen Dauerschleifen der Social-Media-Plattformen. Er ist darin in einer Art Halbprofil zu sehen und läuft an der Kamera vorbei, die ihn aus wenigen Metern Entfernung einfängt.
Das Besondere: Seine wuchtige, weiße Daunenjacke. An der Taille ist sie durch ein ebenfalls schillerndes weißes Band zusammengebunden, das sogenannte Zingulum. Der Papst in poppiger Soutane. Ein Anblick, der Spott und Begeisterung hervorrief, auf jeden Fall aber reichlich Aufmerksamkeit.
Allein, das Oberhaupt der katholischen Kirche hatte die Jacke nie getragen. Es gibt sie nicht einmal. Vielmehr ist das Bild eines der Produkte eines künstlichen Bildgenerators, die spätestens seit dem Launch des OpenAI-Tools Dall-E im vergangenen Jahr immer wieder Schlagzeilen machen. Ein Foto von Donald Trumps vermeintlicher Verhaftung etwa löste eine kurze, aber heftige Debatte aus.
Und Franziska Giffey ließ sich gar auf einen Video-Call mit einem als Vitali Klitschko getarnten Betrüger ein. Das Foto von Papst Franziskus ist dem gegenüber ungleich harmloser. Dennoch – oder gerade deswegen: Es ist eines der ersten Male, dass ein künstlich erschaffenes Foto derart viral geht und als Fälschung derart lange unentdeckt bleibt. Es wirft die Frage auf, was in Zukunft von der echten Fotografie eigentlich bleibt?
Völlig neu ist das alles nicht. Aus medienhistorischer Sicht sind berechtigte Zweifel an der Beschwörung des nie Dagewesenen geboten. Zum einen sind die heutigen Bildgeneratoren nur eine weitere Stufe auf der hohen Leiter von Bildmanipulationstechniken. Vor allem aber ist die bloße Beweiskraft von Fotos schon immer fragiler als häufig angenommen. Dies aber weniger durch die Möglichkeiten der nachträglichen Bearbeitung von Bildern als durch die Wahl von Augenblick und Ausschnitt.
Erst durch das Drumherum bekommen Fotos ihre Bedeutung
Wie mühselig, mithin unmöglich es gerade in politisch heiklen Kontexten ist, vom einzelnen Foto auf die repräsentierte Situation zu schließen, lässt sich ein ums andere Mal in den langen abwägenden Berichten des Recherchenetzwerks Bellingcat nachlesen. In ihnen wird deutlich, wie wenig ein einzelnes Foto tatsächlich beweist.
Vor allem zeigen sie, wie sehr unsere Bildwahrnehmung von ihrer Rahmung abhängt. Von je her betrachten wir Fotos im Zusammenspiel mit ihrer Umgebung – dem Album, der Anrichte, der Schlagzeile, der Timeline. Das auf Kurt Tucholsky zurückgehende Bonmot des Bildes, das mehr sagt als tausend Worte, stimmt nicht ganz. Die Gleichung, so der Autor und Fotograf Teju Cole, gehe nicht recht auf. Erst durch das Drumherum bekommen Fotos ihre Bedeutung. Verquere Nachrichten sind oftmals gar nicht auf mutmaßlich gefälschte Bilder angewiesen. Es reicht schon völlig, sie ihrem Kontext zu entreißen.
Und doch deutet sich mit der rapiden Verbreitung von KI-generierten Fotos etwas grundlegend Neues an. Clemens Setz schrieb vor ein paar Monaten in der Süddeutschen Zeitung, dass seine Tochter in eine Welt aufwachse, in der reale und digital errechnete Bilder nicht nur kaum mehr auseinanderzuhalten seien. Der Unterschied selbst werde wohlmöglich als „altmodisch und überwunden“ gelten. Was würde das für das Wesen, für die Wirkweisen der echten Fotografie bedeuten?
Fake-Fotos: Zu schön, um falsch zu sein
In seiner wegweisenden Studie „Another Way of Telling“ hat John Berger argumentiert, dass Fotografien nicht nur Informationen enthielten – die Familie am Strand, das Abendessen im Restaurant. Sie knüpften diese immer auch an Ideen – Ordnung, Wohlstand und so weiter. Diese Ideen ermöglichten es uns, Momente aus der Ferne und der Vergangenheit mit unserer Gegenwart in Verbindung zu bringen.
In der gleichen Weise können auch KI-Bilder eine Brücke zwischen Fiktion und Wirklichkeit schlagen. Denn das Foto von Papst Franziskus funktioniert längst nicht nur, weil seine Mimik und Gestik täuschend echt aussehen. Vielmehr fügt es sich nahtlos ein in die Vorstellung einer katholischen Kirche, die um eine prunkvolle Inszenierung alles andere als verlegen ist. Und die gerade deshalb oft zum Gegenstand von spöttischen Memes wurde. Der Papst im knalligen Daunenmantel als Motiv für sich ironisch überbietende Kommentare. Es war zu schön, um falsch zu sein.
Dennoch sind Fotos mehr als visuelle Bestätigungen bestehender Gewissheiten. Sie können unsere Verständnisse genauso auch herausfordern und irritieren. Ab und zu können wir etwas in ihnen entdecken, dass wir nicht erwarten, ja das unseren Vorstellungen zuwiderläuft, sie vielleicht sogar auf ganz neue Bahnen lenkt. Punctum nannte Roland Barthes diesen Moment der erhellenden Verwirrung beim Betrachten eines Fotos.
Noch ist die Technik nicht ganz ausgereift
Auch das KI-Bild des Papstes enthält Irritationen. Die Hände sind für einen immerhin 86-jährigen Mann doch erstaunlich glatt. Die Nähte der Pufferjacke verlaufen oberhalb des Zingulums nicht ganz parallel. Und müsste die Kette, an der das Kruzifix hängt, nicht an beiden Seiten erkennbar sein? Das alles sind kleine technische Malheurs. Aber, das ist entscheidend, sie führen nirgendwo hin. Sie erzählen uns nichts, außer dass die Technik noch nicht ganz ausgereift ist.
Genau hier kommt die Künstliche Intelligenz an ihre Grenzen. Ihr Wesen beruht in der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten, ihr Werkzeug ist die Statistik, ihre Welt besteht aus Datenbanken. Das Zufällige, nicht Intendierte (und nicht #-Markierte), das sich in die Übersetzung von Raum und Zeit in Licht und Schatten bzw. in Pixel einschleicht, bleibt ihr zwangsläufig fern. Sie ordnet Altbekanntes anders an. Neues schafft sie dadurch aber nicht.
Das muss nicht immer ein Problem sein. Stock Fotos etwa werden in Zukunft vermutlich immer häufiger künstlich erschaffen werden, auch wenn sich Agenturen wie Getty Images noch dagegen wehren. Auf den Arbeitsmarkt kann dies einschneidende Auswirkungen haben. Als Konsumentinnen und Konsumenten der Bilder aber werden wir den Unterschied bald kaum mehr wahrnehmen können.
Wir brauchen mehr Skepsis gegenüber ihrer Beweiskraft
Für die Fotografie bedeutet die Ankunft der Künstlichen Intelligenz, dass wir zu einem neuen Verständnis ihrer Funktionen und Wirkweisen kommen sollten. Wir brauchen mehr Skepsis, mehr Misstrauen gegenüber ihrer Beweiskraft. Und mehr Offenheit für ihr überraschendes, erkenntnisförderndes Potenzial.
Ganz können wir die Wirklichkeit nie erfassen. Kein Medium führt das so klar vor Augen wie die Fotografie, die immer mehr festhält, als den Beteiligten vor wie hinter der Kamera vorschwebt. Bilder wie das des Papstes mit der strahlenden Daunenjacke hingegen zeigen uns nur, was wir eh schon ahnten. Sie lassen uns glauben, dass wir alles schon gesehen hätten. Das ist vielleicht die größte Illusion.








