Journalismus in Russland

US-Journalist in russischer Haft: „Er ist nicht in einem normalen Gefängnis“

Evan Gershkovich vom Wall Street Journal wurde in Russland wegen Spionage festgenommen. Hier sprechen seine Berliner Kollegen über den 31-jährigen US-Reporter. 

Der Ende März in Russland festgenommene Reporter des Wall Street Journal Evan Gershkovich 
Der Ende März in Russland festgenommene Reporter des Wall Street Journal Evan Gershkovich AFP

Am vergangen Mittwoch ist Evan Gershkovich, ein Reporter der amerikanischen Zeitung Wall Street Journal, in Jekaterinburg im Ural verschwunden. Inzwischen weiß man, dass der 31 Jahre alte Journalist vom FSB festgenommen worden ist, das ist der Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation. Ihm wird Spionage vorgeworfen, sein Arbeitgeber streitet diesen Vorwurf vehement ab. Evan Gershkovich drohen 20 Jahre Haft. Gershkovich arbeitete in Moskau als Korrespondent.

„Wir wissen nichts von ihm“, sagt sein Kollege Bojan Pancevski aus dem Berliner Büro der Zeitung. Er hat mehrmals mit Evan Gershkovich zusammengearbeitet. „Wir wissen nur, dass er in einem berüchtigten Gefängnis des FSB in Moskau sitzt. Wir dürfen nicht mit ihm sprechen, er darf nicht mal mit seinen Eltern oder dem Anwalt telefonieren. Es gibt keinerlei Kontakt zu ihm, seit er verhaftet worden ist.“ Das Wall Street Journal habe Anwälte engagiert, der russische Staat habe einen Anwalt gestellt, aber nicht mal der habe mit dem Journalisten Kontakt gehabt.

„Es ist schlimm, dass ein junger Mensch wegen seines Jobs verhaftet wird und im Gefängnis sitzt. Was mit ihm passiert – wir wissen es nicht, denn die Prozesse sind nicht wirklich transparent. Wir hoffen, dass er frei kommt, wir sind mit der amerikanischen Regierung in Kontakt, wir haben unsere Anwälte, wir haben Berater engagiert. Wir hoffen, dass der russische Staat ihn freilassen wird. Aber wir wissen natürlich nicht, was sie dafür verlangen. In der Vergangenheit haben sie Menschen festgenommen, um sie austauschen zu können“, sagt Bojan Pancevski.

Evan Gershkovich ist in einem Gefängnis des Geheimdienstes inhaftiert

Tatsächlich wurde Ende 2022 die amerikanische Basketballspielerin Brittney Griner gegen den in den USA inhaftierten russischen Waffenhändler Wiktor But ausgetauscht. Die 32-jährige Griner war in Russland wegen Drogenbesitzes zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Sie hatte Vapes mit Cannabisöl im Gepäck.

Wie Evan Gershkovich die Situation  psychisch verkraftet? „Ich glaube, das ist eine sehr schwere Zeit für Evan. Er kennt sich in Moskau bestens aus, er kennt das System, kennt die Problematik. Aber er ist nicht in einem normalen Gefängnis, sondern in einem Gefängnis des Geheimdienstes. Er hat seit Tagen keinen Zugang zu irgendjemandem. Das ist psychisch eine sehr komplexe Lage. Er ist gerade 31 geworden, er ist sehr lebensfroh, sehr kontaktfreudig, er hat auf der Uni Fußball gespielt. Er ist ein sehr aktiver, positiver Typ“, sagt Bojan Pancevski.

Als Mitarbeiter des Wall Street Journal durchlaufe man „Hostile Environment Trainings“, mit dem man sich auf einen Einsatz in Konfliktregionen vorbereite. Man lerne, wie man sich bei Entführungen verhalte, sagt Pancevski. „Aber auf so eine Situation kann man sich nicht vorbereiten.“

Evan Gershkovich ist Sohn jüdischer Emigranten aus Russland

Pancevski glaubt nicht, dass jemand in Russland wirklich glaubt, dass Evan Gershkovich ein Spion ist. „Da ist eine andere Agenda dahinter, aber wir wissen nicht, welche.“ Das werde sich wahrscheinlich mit der Zeit herausstellen.

Evan Gershkovichs Kollege Georgi Kantchev, der ebenfalls im Berliner Büro des Wall Street Journal arbeitet, sagt: „Evan ist mental sehr stark. Deshalb weiß ich, dass er das durchsteht.“ Evan sei der Sohn jüdischer Emigranten aus Russland. In den USA geboren, habe er als Kind von seinen Eltern Russisch gelernt und sich leidenschaftlich mit dem Land, seiner Geschichte und Kultur beschäftigt. „Und er hat viel Erfahrung, er hat ja nicht nur für uns gearbeitet, sondern zuvor für die Moscow Times und die französische Nachrichtenagentur Agence France-Presse. Tatsächlich berichtet Evan Gershkovich seit mehr als fünf Jahren aus Russland, seit Januar 2022 für das Wall Street Journal. Er ist beim russischen Außenministerium als Journalist akkreditiert. Zum Spionagevorwurf sagt Gershkovichs Kollege Kantchev: „Evan ist Journalist und alles, was dagegen spricht, ist kategorisch falsch.“

Natürlich sei es seit dem Beginn des Krieges schwieriger und risikoreicher geworden, aus Russland zu berichten, sagt Georgi Kantchev. „Aber ich kenne Evan als furchtlosen Reporter mit großer Erfahrung, der Risiken abschätzen kann.“ Es sei sehr wichtig, sich nicht nur auf Moskau und St. Petersburg zu beschränken. Und genau das habe Evan in dem vergangenen Jahr getan. „Er hat aus vielen Ecken des Landes berichtet und ein detailliertes Bild gezeichnet. Aber die Gefahr wächst und Evans Verhaftung ist ein Beispiel dafür.“

„Journalismus wird in Russland kriminalisiert“

Das Wall Street Journal hat nun sämtliche Mitarbeiter aus Russland abgezogen. Zuletzt war wohl nur noch die Leiterin des Moskauer Büros vor Ort. „Mit der Festnahme Evans sendet Russland eine Botschaft: ‚Journalismus wird in diesem Land kriminalisiert‘“, sagt Georgi Kantchev. Und Journalisten, die von dort berichten, stehen nicht unter dem Schutz des Gesetzes. Das gilt nicht nur für Evan und das Wall Street Journal, sondern die gesamte freie Presse. Das wird uns aber nicht davon abhalten, an den Standards und unserer Berichterstattung festzuhalten.“

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