Vom Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg stammt der Satz: „Es gibt keinen Frieden ohne Konfliktfähigkeit.“ Er hat ihn vor 41 Jahren in einem Hotel-Hochhaus am Alexanderplatz ausgesprochen, bei der „Berliner Begegnung zur Friedensförderung“. Wenn die Schriftstellervereinigung PEN Berlin ihren ersten Kongress am Freitag den Titel „Der Trick ist zu reden“ gibt, wirkt das zufällig wie eine späte Antwort auf jenen Satz. Am Tag darauf wird sogar ausdrücklich eine Antwort auf jenes und das Folgetreffen von 1983 in West-Berlin versucht – mit der „3. Berliner Begegnung“ in der Akademie der Künste. Zum Ende des Jahres machen sich also Schriftsteller und Künstler daran, ein paar Planken über die in der Gesellschaft und auch zwischen ihnen aufgerissenen Gräben zu legen.
Der Krieg gegen die Ukraine und der deutsche Streit
Selten war das Bedürfnis, die eigene Meinung auszurufen und damit eine andere Haltung zu verdammen, hierzulande derart auffällig wie seit der Invasion Russlands in die Ukraine. Der Krieg, so entsetzlich seine Auswirkungen für das ukrainische Volk und die ukrainische Wirtschaft sind, so schlimm er auch für den Angreifer Russland ist, war auch ein Treibmittel hiesiger Konflikte. Intellektuelle verfassten offene Briefe für mehr oder weniger Unterstützung der Ukraine, warfen einander öffentlich Empathielosigkeit oder Leichtsinn vor. Auch die tumultartige Tagung des PEN-Zentrums Deutschland im Mai in Gotha war dadurch vorgeglüht, nahm doch eine Gruppe älterer Mitglieder dem noch jungen Präsidenten Deniz Yücel übel, dass er die Verteidigung des Luftraums der Ukraine gefordert hatte. Eine Folge waren nicht nur Austritte aus der Organisation, sondern auch die Gründung des PEN Berlin Anfang Juni.
Doch die Zeit der offenen Briefe ist vorbei. Jetzt wird geredet. Und deshalb sollte man sich die beiden Tage mit einem Kreuz im Kalender versehen, am besten aber hingehen – ab Freitagnachmittag in den Festsaal Kreuzberg oder am Samstagabend in die Akademie der Künste am Hanseatenweg.
Was ist zu erwarten? Simone Buchholz, die gerade den Roman „Unsterblich sind nur die anderen“ (Suhrkamp) veröffentlicht hat und dem Board des PEN Berlin angehört, sagt am Telefon: „Wir wollten schon seit der Gründung möglichst bald so etwas wie eine große Party veranstalten.“ Für eine Vereinigung, die sich um verfolgte Kolleginnen und Kollegen kümmert, bedeute dies vor allem Debatte und Dialog. Zwar gibt es am Abend ein Konzert von Muff Potter und anschließend den Programmpunkt „Disko Inferno“, wenn Party auch Tanzen heißt. Davor sind drei Podien angesetzt und eine Rede des Präsidenten von PEN America Ayad Akhtar, dessen böse-komischer Roman „Homeland Elegien“ auch in Deutschland viel gelesen wurde.
Gespräch als Demokratieschutz
Der „Poesie des Scheiterns“ ist das erste Gespräch gewidmet, zum Beispiel mit Jackie Thomae und Jo Lendle, moderiert von Simone Buchholz, es geht um das öffentliche Denken und Schreiben. Die Dichterin Ursula Krechel, der Publizist Michel Friedman und die aus der Türkei geflohene Meral Simsek sind dabei, wenn die nächste Runde Gewalt, Erinnerung und Literatur zusammenbringt. Anschließend, da sitzen etwa der Journalist Jan Fleischhauer und die Autorin Manja Präkels auf der Bühne, wird über die Freiheit des Wortes geredet, dem Motto des Kongresses entsprechend. „Wir haben da Werkzeuge an der Hand, mit der Mitgliedschaft und den öffentlichen Dialogen, mit denen wir einen Beitrag zum Demokratieschutz leisten können“, sagt Simone Buchholz.
Und was steht am nächsten Tag an, wenn eine viel ältere Vereinigung von Künstlern und Intellektuellen zum öffentlichen Gespräch einlädt? Initiiert von den Dokumentarfilmern Thomas Heise und Helke Misselwitz und der Theatermacherin Nele Hertling, soll die „3. Berliner Begegnung“ an die damals von Stephan Hermlin angeregten und in West-Berlin von Günter Grass und Walter Höllerer fortgesetzten Treffen anknüpfen. Keiner der angekündigten Akademiemitglieder wie Jürgen Böttcher, Friedrich Dieckmann, Helke Sander, Kathrin Schmidt, Ingo Schulze, Klaus Staeck oder ihrer Gäste wie Daniela Dahn und Svetlana Lavochkina war damals dabei. Doch alle sind alt genug, sich zu erinnern, dass die Treffen eine starke Wirkung hatten. Weil offen gesprochen wurde, ohne allzu viel Rücksicht auf das, was in der DDR den Vorgaben entsprach. Nun soll es erst recht, so die Ankündigung, „darum gehen, vorurteilsfrei miteinander zu sprechen und einander zuzuhören, Gegensätze und Widersprüche zu thematisieren und auszuhalten“.
Bettina Huber von der Akademie der Künste beschreibt die Bedingungen: Das Treffen werde nicht im großen Veranstaltungssaal abgehalten, um kein Gefälle zwischen Bühne und Zuschauerreihen zu haben. Man werde das Foyer bestuhlen, mit Mikrofon-Plätzen ausstatten. Viele Teilnehmer haben Beiträge angekündigt, auch Fotos und kurze Videos werden gezeigt. Doch soll es möglich sein, aufeinander zu reagieren, dazwischenzufragen. Friedrich Dieckmann sagt am Telefon, dass er den Bezug zu 1981/83 als ein Zeichen verstehe. „Im Moment findet kaum noch eine Diskussion über die Möglichkeit eines Friedens statt.“ Die anderen Krisen beunruhigten ihn auch, und wiederum vor allem der Umgang damit – so „die Barbarei gegen Kunstwerke im Interesse des Klimaschutzes“.
Blättert man in den Protokollen der ersten Treffen, fällt beim eingangs zitierten Adolf Muschg auf, wie er eine große Demonstration in der Schweiz schildert: „Da war auf einem Plakat zu lesen: Der Krieg hat längst begonnen. Wir sind im Krieg.“ Gemeint hätten die jungen Demonstranten die Zerstörung der Lebensgrundlagen im allerweitesten Sinne, vieles, was „noch immer unter ,Wachstum‘, ,Produktivität‘ läuft, die Achtlosigkeit im Zerreißen der Netze, die nicht nur unser Leben, sondern auch die Qualität unseres Lebens, die Umgangsformen miteinander garantieren“. So wurde damals schon über äußeren sowie inneren Frieden und das Klima zusammen gedacht.
PEN Berlin: Der Kongress, Fr. 2. 12., ab 14 Uhr Gespräche, 20.30 Uhr Festrede, danach Musik. Festsaal Kreuzberg, Am Flutgraben 2. Tel. 030/61 10 13 13, www.penberlin.de/kongress/




