Eine Grenzstadt wie Görlitz leide gerade extrem, sagt der Schriftsteller Lukas Rietzschel in einem Interview mit dem MDR zur neuen deutsch-polnischen Grenzpolitik. Geduldig und viel zu langsam aufgebaute Strukturen des Austauschs zwischen Görlitz und Zgorzelec, die zu dem Gefühl führen könnten, dass man in einer Stadt mit einem Fluss in der Mitte lebe, würden nun gehemmt. „Die Grenzkontrollen, die zunächst seitens der deutschen Bundesregierung beschlossen wurden, sind das eigentliche Problem. Das müssen wir erst mal feststellen. Görlitz lebt vom Austausch.“ Rietzschel hat seinen Wohnsitz in Görlitz und engagiert sich als SPD-Mitglied auch in der Lokalpolitik unter anderem für die Beziehungen zwischen den beiden Teilen der Grenzstadt.
Der Osten verkümmert unter diesem Blick
Er kritisiert die Maßnahmen als symbolisch und stellt fest, dass der Blick der deutschen Politik wie so oft nach Westen orientiert sei und da versuche, Brücken zu bauen. „Der sogenannte Osten, der europäische Osten, der verkümmert unter diesem Blick. Und das ist fahrlässig. Meine These: Wenn Frankreichs Präsident Macron in gleicher Weise darauf bestanden hätte, die Grenzkontrollen bitte wieder zurückzunehmen, wäre dem längst gefolgt worden.“
Das mit dem Brückenbauen ist ausnahmsweise mal buchstäblich gemeint. Die Neißestadt hat lediglich eine Brücke, über die der Pkw- und Busgrenzverkehr abgewickelt werden kann. Als Beispiel nennt Rietzschel das Birkenstock-Werk. „Da arbeiten viele Polinnen und Polen. Wenn die nach Hause wollen, ist natürlich Rushhour.“ Die ganze Stadt komme zum Erliegen. „Auf dieses strukturelle Problem, also dass seit Jahrzehnten versäumt wurde, eine weitere Brücke zu bauen, trifft jetzt diese Grenzpolitik, die sowohl in Deutschland als auch in Polen durch innenpolitische Debatten getrieben ist und den Rechten auf den Leim geht.“

