Xenophobie

Studie zeigt: Rassismus gegen Muslime und Osteuropäer bleibt oft unerkannt

Noch unter der Regierung Merkel wurde ein Rassismusmonitor geschaffen. Die Auftaktstudie zeigt: Viele wissen Bescheid. Vor Diskriminierung schützt das nicht.

Auch ukrainische Flüchtlinge erfahren Diskriminierung in Deutschland.
Auch ukrainische Flüchtlinge erfahren Diskriminierung in Deutschland.dpa/Robert Michael

Rassismus hat viele Gesichter. Er lässt sich kaum in seinem Facettenreichtum erfassen und abbilden – ja oft auch nicht ohne Probleme mit konkreten Zahlen hinterlegen. Der 2020 geschaffene Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) hat es dennoch in einer am fünften Mai erschienenen Auftaktstudie versucht, Licht ins Dunkel der komplexen und oft versteckten Diskriminierungsvorgänge in Deutschland zu bringen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liefern Ergebnisse, die teils ermutigen – und gleichzeitig erneut verdeutlichen, wie weit der Weg noch ist zu einer Gesellschaft, in der Menschen nicht aufgrund ihrer Herkunft und Kultur benachteiligt werden.

22 Prozent haben Rassismus erlebt, 45 Prozent haben Rassismus beobachtet

40 Prozent der Kinder in Deutschland haben Migrationshintergrund, mehr als jeder Zweite ist laut der Studie des NaDiRa bereit Rassismus entgegenzutreten und betrachtet diesen als Problem, das bekämpft werden sollte. 22 Prozent geben an, schon selbst Rassismus erlebt, und 45 Prozent, rassistische Vorfälle beobachtet zu haben. „Nur 35 Prozent der Befragten geben an, sie hätten in ihrem Leben noch keinerlei Berührung mit Rassismus gehabt“, heißt es in der repräsentativen Studie, für die 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer telefonisch befragt wurden.

Kurzum: Rassismus als direkte oder indirekte Erfahrung ist in den Köpfen der meisten Menschen in Deutschland angekommen, und wird von den meisten auch als Problematik anerkannt. Gerade im jüngeren Teil der Stichprobe sei das „Engagementpotenzial“ stark ausgeprägt, erklärte am Donnerstagmorgen die Professorin für Integrationsforschung Naika Foroutan bei der offiziellen Übergabe der Studie an die Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/die Grünen).

Diese Zahlen und Daten sprechen eine ermutigende Sprache, erläutert Frank Kalter, Gründungsmitglied des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), dem der NaDiRa untersteht. Es gebe aber weiterhin unvermindert große Probleme mit Rassismus in Deutschland. Es gäbe zwar inzwischen ein weitverbreitetes Bewusstsein über die Existenz eines Rassismusproblems in Deutschland. „Aber das kann nach Hanau und Halle ja auch praktisch nur noch von Hardlinern abgestritten werden. Die subtileren Formen von Rassismus aber werden von vielen nicht wahrgenommen oder es wird gar als Gefahr für die Meinungsfreiheit abgetan, wenn sie diskutiert werden“, so Kalter. Er will damit auch sagen: Das Problembewusstsein an sich reicht oft nicht aus, um auch sich selbst zu reflektieren und alltagsrassistische Verhaltensweisen abzustellen, die die Lebenswelt der Minderheiten prägen, die die Studie erfasst.

Die Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen, Mitte) stellt den Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor vor. Neben ihr Frank Kalter, Direktor des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), und Naika Foroutan, Direktorin des DeZIM.
Die Familienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen, Mitte) stellt den Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor vor. Neben ihr Frank Kalter, Direktor des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), und Naika Foroutan, Direktorin des DeZIM.www.imago-images.de

Rassismus gegen muslimische und osteuropäische Menschen wird am seltensten erkannt

Schwarze Menschen, Muslim:innen, Asiat:innen, Sinti:zze und Rom:nja, Jüdinnen und Juden sowie Osteuropäer:innen sind die Gruppen, die in der aktuellen Studie des NaDiRa betrachtet wurden. Letztere kamen zwar noch vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine hinzu, in dessen Zuge Hunderttausende Menschen nach Deutschland flohen. Ihre Rassismuserfahrungen in Deutschland nun weiter zu beobachten und zu erfassen werde in der näheren Zukunft aber besonders interessant, so Foroutan.

Schon jetzt beobachtbar ist in Bezug auf Diskriminierungserfahrungen von Menschen mit osteuropäischen Wurzeln in Deutschland, dass sie von Außenstehenden seltener als solche erkannt oder eingestuft werden. Dasselbe Phänomen zeigt sich auch bei Menschen muslimischen Glaubens: Die Teilnehmer der Studie stuften die gleichen hypothetischen Situationen bei diesen beiden Gruppen seltener als rassistische Erfahrung ein, als sie das bei Jüdinnen und Juden und schwarzen Menschen taten.

Rassismus und was wir als rassistisch wahrnehmen, das zeigt sich gerade in diesen Daten, ist immer eine Frage der Bewertung und der Perspektive. Das gilt für die unterschiedliche Sensibilität gegenüber den Erfahrungen bestimmter Minderheiten als auch für die gegenseitige rassistische Behandlung der betroffenen Gruppen. Foroutan: „Man ist dadurch, dass man selbst Rassismus erfährt, nicht automatisch frei davon. Die von uns befragten Minderheiten verhalten sich nicht weniger rassistisch als der Rest der Stichprobe.“

Jährlicher Bericht des NaDiRa soll helfen, Rassismus zu verstehen

Eines der zentralen Ergebnisse der Studie, das sich auch aus den Erkenntnissen zur unterschiedlichen Betrachtung rassistischer Erfahrungen verschiedener Minderheiten speist, ist, dass das durchaus existente Problembewusstsein für Rassismus ungleichmäßig ausgeprägt ist. Weder für alle Formen von Rassismus noch dafür, wo und wie er stattfindet. So werden rassistische Benachteiligungen auf dem Wohn- und Arbeitsmarkt eher als solche benannt als Situationen, in denen sich Betroffene unsicher fühlen oder Witze oder Sprüche als verletzend empfinden.

Eines aber gilt auch für Familienministerin Paus für das Phänomen Rassismus in seiner Gesamtheit: „Auch in Deutschland kostet Rassismus Menschenleben. Durch Stillschweigen und Wegschauen werden wir zu Komplizinnen und Komplizen.“ Auch deswegen soll antirassistische Arbeit in Deutschland, wie im Koalitionsvertrag festgelegt, mit mehr Geld gefördert und die Tätigkeit des NaDiRa verstetigt werden. Jedes Jahr erheben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von nun an in einem bestimmten Lebensbereich, wie beispielsweise im Wohn-, Arbeits- oder Gesundheitssektor, rassistische Erfahrungen.

Alle zwei Jahre wird es einen größeren Lagebericht geben. Das komplexe Problem Rassismus ist auf der Agenda der Politik gelandet und in den Köpfen der Menschen in Deutschland angekommen. Nun soll es auch mithilfe des NaDiRa in der bisher umfassendsten Auseinandersetzung mit Rassismus in Deutschland in seiner Vielseitigkeit beleuchtet und vor allem verstanden werden. Denn zu verstehen und zu lernen gibt es hier noch all zu viel.