Ukraine: Architektur

Die TU Berlin erkundet Kunst und Kultur in der Ukraine

Die Architektur und ihre Verknüpfung mit der politischen Geschichte in der Stadt Charkiw stand am Beginn einer neuen Ringvorlesung.

Charkiw, eine Stadt unter Beschuss. Dieses Foto ist vom 17. April 2022.
Charkiw, eine Stadt unter Beschuss. Dieses Foto ist vom 17. April 2022.imago

Charkiw wurde 1918 von Aufständischen zur Hauptstadt einer sozialistischen Ukraine erklärt, was es nach der blutigen Unterwerfung der Unabhängigkeit 1921 durch die Rote Armee blieb. Bis 1934 aber gelang hier ein Um- und Neubau einer Stadt, der in den Dreißigerjahren internationales Aufsehen erregte. Die Wettbewerbe für das Theater und den Sportpalast wurden weltweit publiziert, oft grandiose Fotoreportagen und Filme machten den gewaltigen Staudamm mit seinem riesigen Stromkraftwerk, die ausufernden Plätze und Gebäude, die für die neuen Staats- und Industrieverwaltungen errichtet wurden, zu Synonymen für die neue Sowjetmacht. Dass diese Stadt nicht längst auf der Welterbeliste steht, für die es die Ukraine bis zum russischen Überfall 2014 vorsah, ist ein Rätsel.

Wie faszinierend Charkiw sein muss, wurde schon am Freitagnachmittag beim ersten Vortrag einer im Internet zu verfolgenden Ringvorlesung zu „Kunst und Kultur in der Ukraine“ deutlich. Mit ihr versucht die Technische Universität Berlin, die auch politisch so verheerende Unkenntnis der Kultur in der Ukraine in Deutschland anzugehen.

Wohnviertel nach deutschem und niederländischem Vorbild

Die Architekturhistorikerin Svitlana Smolenska, die kürzlich aus Charkiw nach Berlin fliehen konnte, skizzierte begeistert, wie diese 1918 noch ganz agrarisch geprägte Stadt eine Industrie- und Forschungsmetropole wurde, mit Zeitungen in vielen Sprachen, Theatern, Arbeiterklubs im damals von Stalin noch nicht als „bürgerlich“ oder „formalistisch“ verfolgten radikalen Sowjetischen Konstruktivismus, neuen Wohnvierteln nach niederländischen und deutschen Vorbildern. Immer neue und immer gigantischere Pläne versuchten, das immense Bevölkerungswachstum – weit größer als jenes in Moskau oder Leningrad – in den Griff zu kriegen.

Allerdings fiel auf, wie sehr Smolenska dieses gigantische Bauprogramm regelrecht entpolitisierte, nicht als Teil der Diktatur der Kommunisten und Stalins erscheinen zu lassen, sondern als generellen Anschluss an die internationale Moderne-Debatte. Selbst der Begriff Holodomor für die fürchterliche Hungersnot 1931/32, die Stalin nutzte, um den Unabhängigkeitswillen in der Ukraine zu brechen, fiel dem Vernehmen des Berichterstatters nach erst in der durchaus heftigen Debatte nach dem Vortrag. Dabei wurde letztlich in Moskau, nicht in Charkiw entschieden: 1934 beschloss Stalin, die Hauptstadt in das ehrwürdige Kiew zu verlegen.

Smolenska konnte dafür keine genauen Gründe angeben. Aber in der Debatte wurde angedeutet, dass Kiew weit weniger von der Schande des Versagens angesichts des Hungers belastet war und den Anschluss an den Russland-Imperialismus des Kaiserreichs symbolisieren konnte. Jedenfalls begann dort neuerlich das gesamte Bauprogramm einer neuen, sozialistischen Hauptstadt – nun aber nicht in den Formen einer internationalen Avantgarde, sondern denen des stalinistischen Imperial-Monumentalismus.

Ringvorlesung bis 15. Juli freitags ab 16 Uhr, für alle zugänglich per Zoom. Nächste Termine 13.5.: Kunst im Kontext der Kriegsikonografie; 20.5.: Ukrainischer Stil oder gesamtrussische Form? Das komplette Programm ist hier zu finden.