Interview

Carsten Ovens von Elnet: „Israelbezogener Antisemitismus ist am wirkmächtigsten“

Carsten Ovens leitet das Berliner Büro des European Leadership Network (Elnet). Gegründet wurde Elnet, um die europäisch-israelischen Beziehungen zu stärken.

Die Skyline von Tel Aviv: Auch hier gibt es ein Elnet-Büro.
Die Skyline von Tel Aviv: Auch hier gibt es ein Elnet-Büro.CSP slidezero/Imago

Die Bekämpfung von Antisemitismus ist einer der Arbeitsschwerpunkte von Elnet. Es sei wichtig, zwischen legitimer Kritik an Israel einerseits und andererseits der Delegitimierung, Dämonisierung sowie der Anwendung doppelter Standards in Bezug auf Israel zu unterscheiden, sagt der Leiter des Berliner Büros, Carsten Ovens. Am 28. März lädt Elnet zu der Konferenz „Actions Matter“ nach Berlin ein.

Berliner Zeitung: Wer hat Elnet gegründet und was sind die Ziele?

Carsten Ovens: Das European Leadership Network wurde 2007 von Europäern und Amerikanern mit dem Ziel gegründet, eine unabhängige Organisation zu schaffen, um die europäisch-israelischen Beziehungen zu stärken. Eine Organisation, die parteiübergreifend in Politik und Gesellschaft hineinwirkt, die man am besten als Denkfabrik oder Thinktank beschreiben würde und die gleichzeitig eine Netzwerkorganisation ist. Heute haben wir Büros in Berlin, Brüssel, Paris, London, Warschau sowie in Tel Aviv. Wir publizieren, wir informieren, wir erarbeiten politische Handlungsempfehlungen, und wir vernetzen Entscheider aus Europa mit Entscheidern in Israel. Dazu richten wir Dialogformate wie Delegationsreisen und Konferenzen aus. Unser Fokus liegt auf Außen- und Sicherheitspolitik, der Bekämpfung von Antisemitismus sowie der Förderung von Innovation.

Es verfolgen nur 14 der 27 EU-Mitgliedstaaten nationale Strategien gegen Antisemitismus. Was für Gründe gibt es dafür?

Das hat historische Gründe. Warum Deutschland oder Österreich einen bemerkenswerten Beitrag leisten, liegt auf der Hand. In 15 von 16 Bundesländern gibt es Beauftragte für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus. Es gibt die Polizeirabbiner in Baden-Württemberg oder das Militärrabbinat der Bundeswehr. Und es gibt eine stärkere Sensibilisierung für das Thema Antisemitismus, auch aufgrund der leider zunehmenden Zahl von Übergriffen und Straftaten. In anderen Ländern wurde der Handlungsbedarf möglicherweise noch nicht ausreichend erkannt. Wichtig jedoch ist, dass es eine EU-Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus und Förderung jüdischen Lebens gibt, die in alle Staaten hineinwirkt. Wir arbeiten deshalb mit Katharina von Schnurbein zusammen, der Antisemitismusbeauftragten der Europäischen Kommission. Sie wird auch Ende März zu unserer Konferenz „Actions Matter“ nach Berlin kommen.

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Foto: Tobias Koch
Carsten Ovens
Seit März 2019 leitet Carsten Ovens das deutsche Büro des European Leadership Network (Elnet) als Executive Director. Gemeinsam mit Elnet gründete er 2020 das German Israeli Network of Startups & Mittelstand (Ginsum) und 2021 das German Israeli Health Forum for Artificial Intelligence (GIHF-AI). Beide Projekte werden von der Bundesregierung gefördert.

Carsten Ovens war in der Unternehmensentwicklung und Unternehmensberatung tätig, außerdem hat er viele Jahre lang an verschiedenen Hochschulen gelehrt und geforscht. Von 2015 bis 2020 war er Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, zuständig für Wissenschaft, digitale Wirtschaft und internationale Beziehungen.

Was ist das Ziel dieser Konferenz?

„Actions Matter – The International Antisemitism Summit“ soll Experten vernetzen und einen Zehn-Punkte-Plan mit Handlungsempfehlungen zu vier Themenbereichen erarbeiten: Bildung und interreligiöser Dialog, Antisemitismus online und in Kunst und Kultur sowie gegen die Delegitimierung des Staates Israel. Wir sind Bundespräsident a.D. Christian Wulff sehr dankbar, dass er die Schirmherrschaft übernommen hat. Die Empfehlungen sollen nicht nur an die deutsche Politik gerichtet sein, sondern alle Teilnehmer, die aus ganz Europa, den USA und Israel zur Konferenz kommen, sowie natürlich die Europäische Union, bei ihrer Arbeit für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus unterstützen.

Es gibt unterschiedliche Definitionen für Antisemitismus. Welche ist denn Grundlage für Ihre Arbeit?

Elnet hat sich der Definition der IHRA, der International Holocaust Remembrance Alliance, verschrieben, wie auch Bundestag und Bundesregierung sowie die meisten europäischen Länder. Diese Definition schließt israelbezogenen Antisemitismus ein – die laut Experten wirkungsmächtigste Form von Antisemitismus. Deshalb ist es so wichtig, dass wir zwischen legitimer Kritik an Israel einerseits und andererseits der Delegitimierung, Dämonisierung sowie der Anwendung doppelter Standards in Bezug auf Israel unterscheiden. Darüber informieren wir mit Publikationen und Workshops. Zudem zeichnen wir seit 2021 einmal im Jahr mit den Elnet Awards herausragendes Engagement gegen Antisemitismus aus. Der Bundesminister Cem Özdemir hat in diesem Jahr die Schirmherrschaft inne.

Wo beobachten Sie in Deutschland israelbezogenen Antisemitismus?

Unsäglich ist in Berlin immer wieder die Al-Quds-Demo, gesteuert vom Islamischen Zentrum Hamburg, welches seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Unter dem Deckmantel der Israel-Kritik wird hier zur Vernichtung des jüdischen Staates aufgerufen. Dass so etwas mitten in Berlin am Brandenburger Tor stattfinden kann, ist eine Schande. Ich setze große Hoffnungen in die neue Landesregierung, dass man sich des Themas Antisemitismus noch stärker annimmt und Polizei sowie Gerichte entsprechend stärker unterstützt. Wir haben uns im vergangenen Jahr auch dafür eingesetzt, dass es bei der Vergabe öffentlicher Fördermittel eine IHRA-Klausel geben sollte. Das tragische Beispiel der Documenta fifteen hat gezeigt, dass mit öffentlichen Geldern mangels Kontrollmechanismen Projekte mit antisemitischen Inhalten gefördert wurden. Das darf nicht passieren. Vor allem nicht in Deutschland.

Wie steht Elnet zur BDS-Resolution des Bundestages?

Wir begrüßen diesen Beschluss, der die BDS-Bewegung ganz klar als antisemitisch einstuft. Der antisemitische Geist der BDS-Bewegung wird immer wieder deutlich. Vertreter dieser Bewegung weigern sich zum Beispiel, an Veranstaltungen teilzunehmen, wenn es auch israelische oder jüdische Teilnehmer gibt, egal welche politischen Positionen diese vertreten. So wurde über BDS bereits der Ausschluss von Personen und die Absage von Veranstaltungen erreicht. In Bremen ist beispielsweise vor ein paar Jahren eine lokale BDS-Gruppe in einen Supermarkt gegangen und hat versucht, Konsumenten darüber zu informieren, dass sie israelische Produkte kaufen. Erreicht werden sollte ein Boykott der Produkte. Das erinnert an das NSDAP-Motto: Kauft nicht beim Juden. Dafür darf es in Deutschland keinen Platz geben. Deshalb unterstützen wir die Politik dabei, Unklarheiten in der Gesetzgebung zu beseitigen, damit es Kommunen künftig möglich ist, antisemitischen Bewegungen die Nutzung öffentlicher Räumlichkeiten zu verwehren.

So wie das Roger-Waters-Konzert in Frankfurt verboten werden soll, weil es in einem Saal stattfinden soll, der der Stadt und dem Land Hessen gehört?

Waters gehört zu den lautstärksten Unterstützern der BDS-Initiative und kämpft unermüdlich gegen Israel. Darauf weisen Experten wie Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, bereits seit vielen Jahren hin. Es ist daher absolut richtig, dass die Stadt Frankfurt seinen Auftritten in öffentlichen Gebäuden keinen Raum geben will. Ich appelliere an alle weiteren deutschen Städte, in denen Roger-Waters-Konzerte geplant sind, beispielsweise Berlin, Hamburg und Köln, diese ebenfalls abzusagen. Antisemitismus darf auch auf deutschen Bühnen keinen Platz finden.

Die Initiative für Weltoffenheit kritisiert den BDS-Beschluss: Durch überzogene Antisemitismusvorwürfe sei die Meinungsfreiheit in Deutschland bedroht.

Ich finde es fragwürdig, wenn eine Initiative den Begriff Weltoffenheit für sich beansprucht und damit allen anderen im Diskurs implizit Ignoranz vorwirft. Man muss sicher unterschiedliche Meinungen aushalten. Das gilt für beide Seiten. Doch die Kritik der Initiative, die klare Benennung von Antisemitismus würde die Kulturfreiheit einschränken, ist überhaupt nicht nachvollziehbar.

In Israel ist vor kurzem eine neue Regierung gewählt worden, der Konflikt mit den Palästinensern eskaliert, eine Justizreform bedroht die Gewaltenteilung. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Es ist richtig, dass Israel sich in einer politischen Krise befindet. Gleichzeitig sehen wir, dass die palästinensische Führung in Ramallah stark geschwächt ist und Terrororganisationen wie die vom Iran unterstützte Hamas im Gaza-Streifen diese Situation nutzen. All diese Elemente verschärfen die Spannungen. Unser Auftrag ist, gerade auch in schwierigen Zeiten für die Beziehung zwischen Europa und Israel zu arbeiten. Wir tun das inzwischen auch über die Politik hinaus, etwa durch Innovationsprogramme wie das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Ginsum, durch welches wir deutsche Mittelständler mit israelischen Start-ups verknüpfen. Wir versuchen auch, dazu beizutragen, dass Israel nicht immer nur als problematischer Konfliktherd gesehen wird. Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten, zudem politisch sehr lebendig und ein facettenreiches Land mit einer starken Innovationsszene. Mit den Abraham-Abkommen hat darüber hinaus eine Normalisierung der Beziehungen mit einigen arabischen Ländern eingesetzt. Diese Entwicklung bietet neue Chancen für die Region, zum Wohle aller dort lebenden Menschen. Hier sollten Deutschland und Europa ansetzen und diesen Prozess aktiv fördern.