Die Geschichte ist gut ausgegangen, die Frau hat überlebt. Mehr als zehn Jahre liegt die Diagnose nun schon zurück: Krebs. Es begann mit einem Knoten am Hals, der schnell wuchs. Doch ebenso schnell wurde die Schwellung als Adenokarzinom erkannt und erfolgreich bekämpft. Die Frau war damals Ende 40.
Barbara Kempf hat Mitarbeitern der zwölf bezirklichen Gesundheitsämter Berlins von diesem Fall erzählt, neulich auf einer Fortbildung. Die Geschäftsführerin der Berliner Krebsgesellschaft fand, dass dieses Beispiel den Teilnehmern bei der täglichen Arbeit als Berater helfen kann. Die Geschichte ging nämlich noch weiter. Schließlich ist eine solch schwere Erkrankung nicht mit der akuten Therapie beendet, folgen auf Operation, Chemo oder Bestrahlung weitere Herausforderungen. Darunter Probleme, die Ärzte nicht lösen können, für die Gesundheitsämter und andere Beratungsstellen die ersten Anlaufstellen sind.
„Wir kennen die aktuelle Bedarfslage nicht gut genug und vermuten, dass der eigentliche Bedarf an Beratung höher ist“, sagt die Hämatologin und Onkologin Kempf. Deutschlandweit erhalten pro Jahr mehr als eine halbe Million Menschen die Diagnose Krebs, in Berlin sind es rund 21.500.
„Neben der emotionalen Unterstützung gilt es, die Betroffenen bestmöglich im Umgang mit der Krebsdiagnose aufzuklären und zu informieren“, sagt Kempf. Das wollen sie nun gemeinsam in Angriff nehmen, die Krebsgesellschaft und die Ämter. Deshalb dieses Curriculum, die Fortbildungen, fünf sind es seit Oktober gewesen. Deshalb die Geschichte der Frau mit dem Adenokarzinom, jener Lymphknoten-Metastase, bei der die ursprüngliche Krebsart unklar bleibt.
„Die Patientin hat alle Informationen eingefordert, die verfügbar waren“, erinnert sich Kempf. Es ging um die Strategie der Behandlung, um Heilungschancen, aber auch um eine behinderte Tochter, die körperlich derart eingeschränkt war, dass sie im Bett regelmäßig gewendet werden musste. Die Mutter war zu geschwächt, sie bewältigte diese Anstrengung nicht mehr. Eine Pflegekraft war zu engagieren, die Finanzierung zu regeln.
Armutsrisiko Krebs: Wenn in der Haushaltskasse Ebbe herrscht
„Eine Krebstherapie kann lange dauern“, sagt Kempf. „Menschen, denen nicht viel Geld zur Verfügung steht, geraten durch zusätzliche Kosten in eine Notlage.“ Oft sind es alltägliche Anschaffungen, die ein Loch in die Haushaltskasse reißen. So nehmen viele Patienten durch eine Therapie stark ab, benötigen neue Kleidung, weil die alten Sachen nicht mehr passen. Die Berliner Krebsgesellschaft unterhält einen Fonds für Härtefälle. Kempf sagt: „Die Betroffenen können einmalig finanzielle Hilfe beanspruchen.“ Wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. „Die Gesundheitsämter fragen sie ab.“
Schwer wiegen die psychischen Belastungen. „Ein großes Problem sind die Zukunftsängste der Patienten“, sagt Petra Fenske, leitende Sozialarbeiterin im Gesundheitsamt Friedrichshain-Kreuzberg. 78 Wochen haben gesetzlich Versicherte Anspruch auf Krankengeld. „Wir werden oft mit der Frage konfrontiert, wie sie danach finanziell abgesichert sind“, berichtet Fenske. Kommt eine Erwerbsminderungsrente in Betracht? Welche Nachteile bringt sie mit sich? Was ist eine EU-Rente und wer erhält sie? „Das können sehr langwierige Prozesse sein, die wir manchmal über einen langen Zeitraum begleiten.“
In kaum einer Stadt ist diese Form der Hilfe so wichtig wie in Berlin, der Hauptstadt der Singles. Knapp eine Million Menschen lebt allein. Sie müssen ohne den Beistand einer Familie mit der persönlichen Krise zurechtkommen. Viele Patienten haben die Diagnose noch nicht verarbeitet, hadern noch mit ihrem Schicksal, da sollen sie bereits wichtige Entscheidungen treffen, sind deshalb dankbar, wenn sie jemand dabei unterstützt. „Es ist aus diesem Grund für uns Berater wichtig, mit dem neuesten medizinischen Rüstzeug ausgestattet zu sein, um Menschen mit einer bestimmten Krebsart an die richtigen Stellen weiterzuvermitteln“, sagt Petra Fenske.
An dem Tag, als Onkologin Kempf von der Patientin mit einem Adenokarzinom berichtete, klärte sie die Teilnehmer der Fortbildung auch über ein vertracktes Syndrom auf: Im Körper werden Metastasen entdeckt, der Ausgangspunkt jedoch, der Primärtumor, ist nicht zu finden. Es handelt sich um das sogenannte CUP-Syndrom: Cancer of Unknown Primary. Starker Gewichtsverlust, nächtliches Schwitzen, unklares Fieber, Juckreiz – das können Begleiterscheinungen sein. „Das CUP-Syndrom zählt zu den zehn häufigsten Krebsarten“, sagt die Medizinerin. „Die Erkrankung hat eine ungünstige Prognose.“
Auch andere Krebsarten bringen ein hohes Risiko mit sich. Am häufigsten erkranken Frauen an Brustkrebs, er ist die tödlichste weibliche Tumorerkrankung hierzulande. Bei Männern liegt Prostatakrebs in der bundesweiten Statistik der neu gestellten Diagnosen an erster Stelle. Die durchschnittliche Überlebensrate beträgt hierzulande allerdings 80 Prozent: Derzeit sind rund 1,6 Millionen Menschen auch fünf Jahre nach der Diagnose ohne Befund. Sie haben gute Chancen auf dauerhafte Heilung.
„In der Onkologie ist sehr viel Bewegung“, sagt Kempf. Therapien werden verbessert, neue Behandlungsmethoden entwickelt. Gleichzeitig wächst der Bedarf, weil die Gesellschaft immer älter wird und vor allem Menschen jenseits der 60 an Krebs erkranken. Mit dem medizinischen Fortschritt muss nun auch das gesamte System wachsen, darin sind sich Kempf und Fenske einig. Ein stärkeres Netzwerk soll in Berlin entstehen, das ist die Idee. Es gehe darum, sagt Kempf, „möglichst alle Beratenden im Bereich der Onkologie gut weiterzubilden und miteinander zu verbinden“.





