Gesundheit

Berliner Klinik säuft bei Starkregen ab: „Sinnbildlich fürs Gesundheitssystem“

Intensivpfleger Ricardo Lange hat ein Video gepostet. Es zeigt einen Klinikkeller, der im Wasser versinkt. Lange prangert den Zustand deutscher Kliniken insgesamt an.

Das Urban-Krankenhaus in Kreuzberg ist in die Jahre gekommen.
Das Urban-Krankenhaus in Kreuzberg ist in die Jahre gekommen.Carsten Thesing/imago

In den sozialen Medien geht gerade ein Video viral. Es zeigt einen Klinikkeller unter Wasser, notdürftig geflickte Fußbodenbeläge, Baumängel. Es soll sich um das Untergeschoss des Urban-Krankenhauses in Kreuzberg handeln. Entsprechende Informationen erhielt die Berliner Zeitung aus Mitarbeiterkreisen. Auf Twitter gepostet hat das Video nun Ricardo Lange, Intensivpfleger und Kolumnist der Berliner Zeitung. Im Interview spricht er über die Hintergründe.

Herr Lange, das Video zeigt Bilder, die aus einer Klinik in einem Krisengebiet stammen könnten. Was sagen Sie dazu?

Die Aufnahme steht sinnbildlich dafür, wie in Deutschland mit Kliniken umgegangen wird. Man lässt sie absaufen.

Sie sind in der Berliner Klinikszene gut vernetzt. Was wissen Sie über die Hintergründe?

Ich habe das Video seit zwei Monaten. Es wurde an einem Tag aufgenommen, als es in Berlin ein Starkregen-Ereignis gab. Damals wurde es zum ersten Mal in den sozialen Medien hochgeladen. Ich habe das Video über persönliche Verbindungen erhalten, kann allerdings weder zum Urheber etwas sagen noch über den Ort.

Warum nicht?

Erstens, um den Urheber des Videos zu schützen. Zweitens, um auch weiterhin in Berlin arbeiten zu können.

Okay, reden wir also über „ein Berliner Krankenhaus“. Warum haben Sie das Video heute veröffentlicht?

Weil mir heute noch mal ganz krass klargeworden ist, dass im Gesundheitswesen vieles nicht zusammenpasst.

Was denn zum Beispiel?

Karl Lauterbach …

Der Bundesgesundheitsminister von der SPD …

Genau der. Er hat heute getwittert, dass er gerade in Indien ist und sich dort über die KI informiert, wie in Indien Künstliche Intelligenz zum Beispiel bei der Behandlung von Schlaganfällen genutzt wird. Er schrieb, dass das vielleicht auch eine gute Idee für Deutschland wäre.

Ist es das nicht?

Doch, aber ich habe daraufhin geschrieben: Warum macht die Politik immer den dritten Schritt vor dem ersten?

Ricardo Lange: Kliniken arbeiten noch mit Faxgeräten

Was meinen Sie damit?

Wir haben noch analoge Patientendaten herumzuliegen in den Kliniken. Wir dokumentieren teilweise noch mit Bleistift und Papier. Wir haben überall Faxgeräte. Als Leasingkraft komme ich ja herum, habe einen guten Überblick, bekomme hautnah mit, dass Digitalisierung hier ein Fremdwort ist. Und dann redet der Minister schon von KI.

Was hat das jetzt mit dem abgesoffenen Keller im Urban-Krankenhaus zu tun?

Eine Menge, finde ich. Mir fehlt in der Politik der Realitätsbezug. Wo war denn Herr Lauterbach, als es in diese Klinik hereingeschifft hat? Warum unternimmt er nichts gegen den maroden Zustand deutscher Krankenhäuser? Er kennt doch die Probleme?

Aber für die Investitionen in Krankenhäuser müssen doch die Bundesländer aufkommen, oder?

Stimmt, es gibt aber seit Jahren einen Investitionsstau, allein in Berlin in Millionenhöhe. Da kann sich ein Bundesminister nicht hinstellen und sagen: „Damit habe ich nichts zu tun.“ Er muss Druck auf die Länder ausüben, mehr Geld für Kliniken in die Hand zu nehmen.

Aber Lauterbach macht doch was. Hat er nicht zum Beispiel einen Hitzeschutzplan aufgelegt?

Ein toller Plan, ja. Da steht zum Beispiel drin, dass man alte Menschen anrufen und bei Hitze warnen soll. Dass man ihnen sagen soll, sie möchten doch mehr trinken. Und dann steht man als Pflegekraft bei mehr als 30 Grad auf einer Intensivstation, schwitzt dich kaputt und sieht, wie die Patienten leiden. Erst gestern ist mir das passiert.

Erzählen Sie mal.

Wir haben eine über 60-Jährige mit COPD auf der Station gehabt. COPD ist eine schwere Lungenerkrankung. Die Frau hat bei der hohen Luftfeuchtigkeit große Probleme bekommen, sie rang nach Luft. Klimaanlage? Fehlanzeige! Die hat totale Panik bekommen. Sie wollte aus dem Bett klettern, hat sich die Kleider vom Leib gerissen. Wir mussten ihr mit Morphium die Todesangst nehmen. So viel zum Thema Hitzeschutz, Herr Lauterbach.

Kommt so etwas häufig vor?

Jedenfalls sind große Belastungen bei Hitze für Patienten nicht die Ausnahme. Ich kann ja nach acht Stunden nach Hause gehen, mich duschen, in den Schatten setzen. Die armen Patienten liegen den ganzen Tag in dieser furchtbaren Hitze, und das über Wochen und Monate.

Was wissen Sie über die Zustände in bewusstem Krankenhaus?

Das, was man im Video sieht. 

Vivantes-Geschäftsführer Johannes Danckert schrieb auf der sozialen Plattform LinkedIn in Bezug auf das Urban-Krankenhaus: „Unsere Mitarbeiter kennen schon lange die Stellen, wo das Wasser bei Starkregen eindringt und wo der Fußboden notdürftig geflickt ist.“ Gibt es da einen Zusammenhang zu dem Video, das Sie gepostet haben?

Herr Danckert hat auch geschrieben, dass trotz der Probleme die Mitarbeiter Tag und Nacht ihr Bestes geben, damit die Patientenversorgung nicht leidet. Ich habe dort ja gelernt und kann das nur bestätigen. Das Urban-Krankenhaus ist und bleibt wichtig. In der Gegend leben sehr viele sozial schwache Menschen, auch viele Drogenabhängige, die darauf angewiesen sind. Das Urban ist außerdem ein richtig geiles Krebskrankenhaus mit einem guten Brustzentrum, Prostatazentrum, in dem viele Menschen arbeiten, die trotz dieser schwierigen Umstände einen super Job machen. Viele Kliniken haben mit baulichen Mängeln zu kämpfen. Es mag ja sein, dass manche Kliniken nicht wirklich benötigt werden, aber dann muss man sie kontrolliert schließen. Es kann nicht sein, dass jede fünfte Klinik vor dem Aus steht.

Was erleben Sie insgesamt an baulichen Mängeln in Berliner Kliniken?

Über die Hitze habe ich ja schon gesprochen, aber das geht ja im Winter weiter: Fehlende Isolierung, undichte Fenster, die Heizungen ballern volles Rohr und du frierst dir trotzdem einen ab. Teilweise kommt es zu Rohrbrüchen, Abwasserrohre sind verstopft. Elektrische Anlagen fallen aus, weil die Leitungen altersschwach sind.

Hat Deutschland aus der Corona-Pandemie nichts gelernt?

Nein, ganz offensichtlich nicht. Es wurde immer betont, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet werden darf und deshalb wurden den Bürgern sehr viele Einschränkungen abverlangt. Es wurde gesagt, man werde nicht hinnehmen, dass an einem Tag zig Menschen sterben. Das galt offenbar nur für ein Virus namens Sars-CoV-2. Das gilt heute offenbar nicht mehr. Es sterben Menschen, weil Personal fehlt. Weil keine Zeit für Hygiene da ist und multiresistente Keime Patienten töten.

Und weil Keller unter Wasser stehen?

Wie gesagt, dieses Video ist sinnbildlich zu sehen: Man lässt das Gesundheitssystem einfach absaufen.