Am Ende war Ariel Schiff wohl selbst ein bisschen gelangweilt von der Welle, die er losgetreten hat. Wenn er den x-ten Blumenkohl auf der Karte sehe, sagt er, müsse er gähnen. Zwar liebe er ihn, ebenso wie crispy Pulpo und Auberginen, aber irgendwie sei er doch müde davon.
Ich kann ihn gut verstehen. Denn im vergangenen Jahrzehnt eröffnete kaum ein hippes Hauptstadthotel, das nicht die Levante- oder israelische Küche oder Modern Middle Eastern Cuisine, wie sie auch heißt, auf die Karte setzte.
Das It-Potenzial dieser Ottolenghi-Küche, bei der Fusion kein Konzept, sondern gelebte Geschichte ist, hat Ariel Schiff als einer der Ersten erkannt. Der Gründer der Amano-Hotelgruppe setzte seinen weltgewandten Gästen schon vor einer Dekade im Mani Restaurant lässige, aromenstarke Sharing-Gerichte vor, etwa Pita und Challah mit Labneh, Hraime, Huhn mit Harissa und Granatapfel.
Israel trifft Mexiko
Doch Schiff ist auch einer der ersten, der erkennt, wann es reicht. Genug Levante in Berlin, hat er beschlossen. In seinem 2021 von der Amano-Gruppe eröffneten Hotel, dem East Side am Ostbahnhof, setzt er bereits auf Pizza im hoteleigenen Restaurant Mario x Gambino. Die Pizzen, ich kann es aus eigener Erfahrung bestätigen – schmecken sensationell: dicker, fluffiger Rand mit Brandblasen und dazwischen fast suppiger High-Class-Belag. Doch das Rad wird hier nicht neu erfunden. Toni Gambino, der das Restaurant betreut, hatte zuvor das Gambino’s Pizza & Highballs in Friedrichshain gemacht, und die Konkurrenz bei dieser neapolitanischen Pizzavariante ist mindestens so groß wie die bei der Levanteküche.
Für sein Hotel Romy am Hauptbahnhof, dessen Restaurant kürzlich mit zwei Jahren coronabedingter Verspätung, dafür aber mit einer umso wilderen Party eröffnete, sollte ein neues, einzigartiges Gastronomiekonzept her. Ich war natürlich sehr gespannt. Der Name des Restaurants klang schon mal vielversprechend: Amigo Cohen – wie ein guter Freund, wohl eine Kunstfigur.
Auch die Küche scheint mir eine erfundene Fusion. Denn das Konzept heißt: Israel trifft Mexiko. Oder noch exakter: Tulum meets Tel Aviv, wie Schiff und sein neuer Küchenchef Shimon Peretz es ausdrücken. Der kochte zuletzt im Fine Dining Restaurant Prism und davor im Layla. Nun geht es ihm darum, Ungewohntes zu vereinen: Mexiko und Israel hätten zwei weit voneinander entfernte Landesküchen, die trotzdem viel gemein hätten und deshalb gut zueinander passten.

Was das auf den Teller übersetzt bedeutet, umreiße ich beim ersten Blick in die Karte: Beispielsweise trifft hier Schokoladenbrot auf Hummus. Aguachile, das ist die mexikanische Version des Ceviche, wird mit Labneh kombiniert. Und Chili con Carne im Pitabrot mit Tahina serviert.
Kann das funktionieren?
Der Ort, an dem diese Fusion gelingen soll, ist – typische Amano – schon mal laut, lebendig und spektakulär. Tulum und Tel Aviv verbinde das gleiche Lebensgefühl, erklärt Schiff und meint damit: Sonne, Strand, Meer und die Leichtigkeit, die sich an solchen Orten einstellt.
Das Amigo Cohen fängt dieses Gefühl ein. Es gibt knallig bunte Kunst, Kakteen und viele Lampen, die wie filigrane Riesenblumen anmuten. Und gute Musik sowie zwei Bars, die über 80 Tequila, 20 unterschiedliche Mezcal sowie alle erdenklichen Cocktailvariationen führen.
Die Margarita mit Chilisalzrand hat es in sich, sie ist wahnsinnig süffig. Besser man schafft schnell eine Grundlage mit etwas Tortilla-Chips und Guacamole zum Dippen. Dazu rückt Dennis aus dem Service an, der sie aus ganzen Avocados frisch am Tisch zubereitet. Mehr Chilischote, Säure oder Salz? Kein Problem, zwischendrin kann der Gast selbst abschmecken. Auch entscheidet der Gast, ob er Tomaten, rote Zwiebeln oder Koriander will, eine gelungene Interaktion.

Von den Vorspeisen überzeugt mich vor allem das Amigo’s Tartare und das Israeli Aguachile mit Hamachi, weil hier der Fusiongedanke voll aufgeht. Ein würziges Rindertartar mit Zwiebel, klar kennt man. Oder auch die Levante-Version mit Matbucha, einer Tomaten-Minzesalsa, wie es im Mani, dem anderen Amano-Restaurant serviert wird. Hier aber bekommt das fein zerkleinerte Muskelfleisch durch Mais, Bohnen und eine rote Zwiebel-Limettensalsa mal einen völlig neuen Twist. Angerichtet wird es mit Joghurt auf Laffa-Brot, eigentlich ein weiches Pita-Fladenbrot, das hierfür knusprig frittiert wurde und einer Taco-Schale gleicht.
Ähnlich gut funktioniert das Aguachile mit Hamachi, bei dem dieser delikate Fisch nicht stückig, sondern wie ein Carpaccio geschnitten ist. Das Denaturieren des rohen Filets besorgt ein wunderbarer Limetten-Jalapeño-Sud, soweit befinde ich mich auf bekanntem Geschmacksterrain. Ungewöhnlich ist aber der grüne, gesäuerte Labneh dazu, dessen fettreiche Frischkäsenoten dem Teller geschmackliche Tiefe geben. Auf dem ist auch sonst noch jede Menge los: Es gibt geröstete Pistazien und Tortilla-Chips, abgeflämmte Ananas, rote Chili und grüner Koriander; und doch fügt sich alles, als hätte es schon immer zusammengehört.
Bei allem anderen verausgabt
Auch die Amigo-Cohen-Tacos, hier auf weichen, am Grill erhitzten Mais-Tortillas serviert, sind eine gelungene Fusion. Bei der Huhn-Version etwa sorgen Sumach, S´hug und Tahina für den Levante-Touch. Und bei den vegetarischen Tacos mit ihrer Füllung aus Feta und einem typisch arabisch-israelischen Kichererbsensalat assoziiere ich geschmacklich irgendwie auch die sehr mexikanische Bohnenpaste.
Ich wünschte, ich könnte nun schreiben, die Hauptgerichte hier wären ebenso spannend. Die gegrillte Dorade mit einem Dip aus Joghurt neben Blattsalaten oder auch das Sirloin vom Holzkohlegrill mit einer Salsa Verde schmecken sehr solide und haben tolle Grillaromen. Aber irgendwie scheinen hier die Ideen ausgegangen zu sein. Leider ein häufiges Phänomen bei Hauptgerichten. Vermutlich hat sich das Amigo Cohen einfach bei allem anderen schon verausgabt.

Vorspeisen 8–17 Euro, Tacos 8 Euro, Hauptgerichte 23–40 Euro, Desserts 10–12 Euro,




