Erst nach den Petit Fours, dem letzten Akt sozusagen, kommt Ben Gal Moshe aus der Küche des Prism. Mein Bissen vom salzig-süßen Sesam-Miso-Madeleine mit über Holzkohle getoastetem Meringue verklingt gerade. Er lächelt scheu, fragt, ob das Menü gefallen habe. Vor den Gast zu treten, bevor dieser gegessen habe, empfinde er anmaßend, sagt er. So als sei der Küchenchef ohnehin von der Großartigkeit seines Menüs überzeugt. Nein, er komme erst am Schluss. Ehrlich daran interessiert, was der Gast denke.
Dabei könnte Ben Gal Moshe sich ruhig sicherer fühlen. Eine Bestätigung hat der Küchenchef und Inhaber des Prism bereits, quasi die Olympiamedaille für Köche: Auf der weißen Kochjacke prangt über der Doppelreihe aus schwarzen Knöpfen rot eingestickt der Michelinstern. Eigentlich gleicht er ja mehr einer Blume. Eine zweite wird dieses Jahr nicht dazukommen. Kürzlich wurden die Michelinsterne für 2023 bekannt gegeben. Das Prism blieb weiter in der 1-Stern-Kategorie.
Warum, frage ich mich nach diesem Menü, das meine bisherigen Erlebnisse bei Ben Gal Moshe bei weitem übertroffen hat.
Wie ein Kind mit den Gerichten gespielt
Das erste Mal saß ich 2014 bei dem Israeli und Weltmann, der – bevor er nach Berlin kam – bei Gordon Ramsey in England und in Gourmetrestaurants in Tel Aviv und Chicago kochte. Sein erstes Restaurant in Berlin hieß Glass, ein nur dürftig umgebautes Fitnessstudio mit silbrigem Plastikvorhang im Raum, der sich um die dahinter verborgene Küche wickelte. Doch was er daraus hervorbrachte, war mitunter genial. Wie ein Kind spielte Moshe mit seinen Gerichten, vor allem, wenn es um die Geschmacksempfindungen süß, bitter, sauer und salzig ging. Ich erinnere mich etwa an ein warmes, flüssiges Eigelb, das ich aus einer geöffneten Ei-Schale mit saurem Granny Smith und einer geschäumten Ahornsirup-Eiweiß-Mischung löffelte. Serviert wurde es in einem silberfarben angesprühten Eierkarton.
Im Prism dann, seinem heutigen Restaurant, wich geniale Improvisation mehr und mehr der Könnerschaft. Es ist ein in schlichtem Anthrazit gehaltenes Restaurant, in dem wenig von den klaren, farblich inspirierenden Tellerbildern ablenkt.
Bei meinem letzten Besuch im Dezember 2018 waren die einzelnen Gänge noch sehr kleingliederig aufgebaut. Die Küche des Levante mit ihren Zutaten und orientalischen Aromen wie Pulpo, Labneh, Sumach waren der Referenzpunkt, von dem aus der Spitzenkoch Ausflüge in andere europäische Regionen unternahm. Nun hat sich, so mein Eindruck, sein kulinarischer Fokus umgekehrt: Im Zentrum seiner Spitzenküche stehen nun West- und Nordeuropa (und manchmal Asien), und der Levante ist das Ausflugsziel. Auch scheinen mir Moshes Teller konzentrierter, klarer.
Satt einer Vielfalt an verschiedenen Texturen, Elementen und Aromen geht es ihm noch mehr um geschmackliche Tiefe. Ben Gal Moshe scheint mir ein Besessener, der beständig an sich arbeitet.

Kürzlich haben er und sein Team Stockholm besucht und im Frantzén gegessen, erzählt er. Danach habe er das Gefühl gehabt, alles neu machen zu müssen. Dazu muss man wissen: Das Frantzén ist ein Drei-Sterne-Restaurant, das für vergleichsweise einfache Gerichte mit außergewöhnlichem Geschmack steht. Dort werden dem Gast zu Beginn in einem Korb die Ausgangsprodukte präsentiert, eine Idee, die Moshe fürs neue Frühlingsmenü mitgenommen und leicht abgeändert hat.
Dramaturgisch ausgefeilter Auftakt
Im Prism zeigt nun Jacqueline Lorenz, Gastgeberin, Sommelière und überdies mit dem Koch verheiratet, zu Beginn des Abends die Exoten und besonderen Zutaten, die aromatisch den jeweiligen Ton am Teller angeben werden: etwa unreife Mandeln, die zerhackt dem Bernsteinmakrelen-Tartar Säure verleihen. Oder Jameed, ein sonnengetrockneter Joghurtstein aus Ziegenmilch, der wie Parmesan verwendet wird. Oder auch noch grüne Kichererbsen – eine Art arabisches Edamame, das als Knuspereinlage gegrillt im ersten Gang zur geräucherten Königskrabbe in einem satten Chawanmushi-Eierstich versteckt ist.
Doch ich greife vorweg. Den Auftakt machen dramaturgisch ausgefeilte Amuse-Gueule, sechs an der Zahl. Es ist die Spielwiese, bevor es ernster wird. Ben Gal Moshe und sein Pâtissier Lior Tuchfeld hatten sichtbar Spaß, maximalen Geschmack auf kleinstem Raum zu verdichten. In Miniaturgröße und als Doughnut, Tartelette oder im Feuilles de Brick- beziehungsweise Tempura-Teig präsentiert, erwarten den Gast Aromenbömbchen: mal ein salzig-intensives Tartar aus getrocknetem, dann befeuchtetem Kamelfleisch mit Kaviar, cremigem Wachteleigelb, Wasabi und verbrannter Zwiebel. Mal ein Hühnersalat mit eingelegter Zitrone in einer runden Doughnutpraline ausgebacken und von bitter-süßem Blutorangen-Gel und Harissa begleitet.
Nach diesem Fingerfood folgen die ersten drei Gänge, für die man lediglich einen Löffel braucht. Auf die bereits erwähnte Königskrabbe schließt ein am Holzkohlegrill zubereiteter Hummer an, in einem mit Vanilleöl gesättigten fettreichen Dashi. Trotz der wenigen Löffel ein üppiges Gericht, dessen Gefälligkeit mit einem distelartigen wilden Berggemüse aus dem Libanon – Akkoub, geschmacklich einer Artischocke ähnlich – und einem intensiven Lardo aus Lamm gebrochen wird. Nicht mein Liebling, aber interessant.
Danach kommen mehrere französisch anmutende Gänge, handwerklich sehr klug umgesetzt. Zuerst ein fast ausschließlich weißes Gericht: ein perfekt gegrillter, saftiger Adlerfisch mit Lauchpüree darunter und kräftiger Shrimp-XO-Soße sowie unreifen säuerlichen Trauben darauf, alles von einem ebenfalls leicht säuerlichen Beurre Blanc Verjus umflossen. Dann eine Taube, die in Wellington-Art mit Blätterteig umhüllt wird, aber „inversée“, also vertauscht beziehungsweise verkehrt herum. Dies gilt als Königsdisziplin in der Blätterteig-Herstellung, weil die Butter beim Ausrollen auf den hauchdünnen Teigschichten oben aufliegt. Zarter geht es nicht mehr, auch was das Taubenfleisch mit Foie gras darin angeht.
Klassisch französisch ist auch die unfassbar konzentrierte Soße dazu, eine sogenannte Sauce Vierge aus dem mit Tomaten, Zwiebeln und Säure reduzierten Fleischsaft. Schwer zu sagen, ob ich ihr oder der mit Kaffejus versetzten Nussbutteremulsion den Vorzug gebe, die zum folgenden Wagyu nebst einer mit grobkörnigem Couscous gefüllten Mispel folgt.
Egal ob es sich um die Weinauswahl, das Pre-Dessert, das Haupt-Dessert – übrigens ein geniales Avocado-Sorbet mit Texturen von grünem Apfel und einem Pistazien-Ganache – oder die abschließenden Petit Fours handelt, im Prism arbeitet ein Team, das sich beharrlich pusht. Mit Ben Gal Moshe an der Spitze, dessen Anspruch lautet: Sein bestes Gericht muss immer das nächste sein, an dem er gerade tüftelt.
6-Gang-Frühlingsmenü 195 Euro, Weinbegleitung 108 Euro, 6-Gang-Socialmenü zum Teilen pro Person 95 Euro, Weinbegleitung 72 Euro




