Food & Drink

Restaurant-Test: Die Entdeckung des Feuers im Kramer

Berlin-Kreuzberg hat mit dem Kramer ein neues Restaurant, das sich auf eine uralte Tradition besinnt: Das Kochen über offener Flamme. Wir waren da.

Kramer Restaurant: moderner Schick, beim Kochen aber der uralten Tradition des offenen Feuers verhaftet.
Kramer Restaurant: moderner Schick, beim Kochen aber der uralten Tradition des offenen Feuers verhaftet.Fabian Kramer

Der Ort, an dem sich Natur in Kultur verwandelt, ist die Küche. Was haben wir Menschen nicht alles erfunden, um das Feuer zu kontrollieren und die rohen Ausgangsprodukte zu veredeln: Öfen mit Kamera zur optimalen Überwachung, Sous-Vide-Garer mit einstellbarer Kerntemperatur bis zur Nachkommastelle, immer präzisere Induktionsherde, Räucher- und Reifeschränke sowie Grillsets mit von der Nasa entwickelter Keramik.

Das Kochen, zumal in der Spitzenküche, ist eine exakte Wissenschaft. Je gehobener das Niveau, umso anspruchsvoller die Technik. Doch irgendwie war auch klar, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis eine Gegenbewegung kommt. Die Gastroszene hat das Kochen über offenem Feuer wiederentdeckt.

Adlerfisch am Spieß
Adlerfisch am SpießFabian Kramer

Grillen im Versteck

Den Anfang in Berlin machte der junge Koch Tobias Beck mit der Pop-up-Reihe Ember: ein mehrgängiges Menü, jeweils zubereitet an einem offenen Holzfeuer an wechselnden Orten. Statt Egg- oder Weber-Grill schweißt man bei Ember einfache Metallgestelle selbst und befeuert kleine japanische Konro-Grills, mal in einem versteckten Innenhof hinter dem Frankfurter Tor, mal auf einem Seegrundstück nahe der Stadt und derzeit im Innenhof eines alten Umspannwerks im Herzen von Prenzlauer Berg.

In anderen Ländern haben Feuerküchen eine lange Tradition. So verzichtet das Firedoor in Sydney schon länger auf Strom und Gas und setzt aufs Kochen über dem Feuer. In Argentinien, wo das Kochen über offener Flamme zum Kulturgut gehört, sind Restaurants mit quadratmetergroßen Holzfeuer-Grills mitten im Raum keine Seltenheit. Und in Rheinland-Pfalz lodert seit November im Intense in Wachenheim an der Weinstraße ein Feuer, auf dem Tauben aus dem nahen Elsass schmoren.

Dass wir einmal nicht Vorreiter sind und es bis zum ersten Restaurant mit Feuerkoch-Stelle länger gedauert hat, erklärt sich wohl mit der hiesigen Bürokratiehölle.

Die Idee fürs Kramer – ein Restaurant, bei dem eine offene Feuerstelle elektrische Herde ablöst – hatte Fabian Kramer jedenfalls schon 2017. Damals kam er gerade wieder zurück nach Berlin, wo er zuvor bei Matthias Gleis im Volt seine Kochausbildung absolviert hatte. Im Anschluss war der Jungkoch jahrelang durch die Welt getingelt: In Japan lernte er Restaurants mit offenen Feuerstellen lieben. Auf der philippinischen Insel Palawan arbeitete er in einer Bambusküche mitten im Mangrovenwald an offener Feuerstelle. Später in Mexiko kochte er direkt am Strand, dann guckte er sich noch in Spanien um.

 Juan Pablo, Fabian und Fabio in der Küche des Kramer.
Juan Pablo, Fabian und Fabio in der Küche des Kramer.Fabian Kramer

Zurück in Berlin war ihm klar, was er wollte: eine Bambusküche wie auf Palawan, natürlich an hiesige Verhältnisse angepasst. Über vier Jahre hat es gedauert von der ersten Besichtigung der 230 Quadratmeter großen L-förmigen Location in der Pannierstraße bis zur Eröffnung des Kramers im Januar. Viel Zeit, um an Details zu tüfteln: Die tropischen Pflanzen, die dem Kramer sein Dschungelgefühl verleihen, hat Fabian Kramer in seiner 32-Quadratmeter-Wohnung am Kotti gezogen. Für den Chefs Table mit Barstühlen, der die Küche umstellt, hat das ganze Team Gehwegplatten auf Kreuzköllner Baustellen gesammelt, geschliffen und poliert.

Auch die Küche ist eine Spezialanfertigung, orientiert an der baskischen Grilltradition: Zum Kochen auf offenem Feuer sind höhenverstellbare Roste über einem Steinofen angeordnet. Befeuert wird er mit Buche, Esche und Birke aus Brandenburg. Klingt einfach, natürlich war für die Genehmigung aber eine komplizierte Abluftanlage mit Filtertechnik und Wärmetauscher nötig.

Vom Chefs Table aus guckt man direkt in die Flammen, deren Magie ich mich den ganzen Abend nicht entziehen kann. Auch liebe ich den Geruch hier: Rauch vom Holz vermischt mit Röstaromen vom Fleisch. Und Zimt, den Fabian Kramer hier als Stangen für die ölfaktorischen Sinne verglüht.

Gegrillte Ananas Ceviche
Gegrillte Ananas CevicheFabian Kramer

Purismus als Konzept

Die Gerichte werden auf grober, erdiger Keramik serviert, die der Küchenchef selbst gefertigt hat. Die Vorspeisen reichen von wilden Austern, Enten-Dumplings in Brühe über verkohlte Beete mit Avocado-Habanero-Dip, scharfen Kimchi in Hollandaise bis zu einem Ceviche aus gegrillter Ananas. Die Mischung erklärt sich durch Kramers Reisen sowie die Zusammensetzung des Küchenteams, deren Mitglieder aus Argentinien, Italien und Japan stammen.

Das vegane Ceviche, das Fabian Kramer sich in Mexiko abgeguckt hat, finde ich schon mal ziemlich genial, weil man den Fisch angesichts der über Feuer gegrillten Ananas kein bisschen vermisst. Normalerweise zählt Ananas nicht zu meinen Lieblingsfrüchten. Dieser hier fehlt jegliche penetrante Süße, neben ihren karamelligen Röstaromen findet auch der junge Sellerie geschmacklich Platz, ebenso wie eine pfeffrige Schärfe und die Leche de Tigre, in der sie gezogen ist. Ihr Geheimnis: Kramer lässt die Tigermilch mit ihren herrlichen Limetten-, Ingwer-, Zwiebel- und Gurkennoten einige Wochen lang reifen.

Nicht ganz so aufregend schmecken die wilden Atlantik-Shrimps, die im gusseisernen Pfännchen im Knoblauch-Chili-Öl serviert werden. Die Kombination mit Romanesco, dieser grünen Blumenkohlart, sowie Lauchzwiebeln und Champignons erscheint mir zu beliebig. Auch vermisse ich wirkliche Grillaromen bei den Shrimps, am offenen Feuer habe ich sie nicht rösten sehen.

In der Küche muss es also auch andere Herde geben. Vermutlich wurden dort auch die Zwiebeln angeschmelzt als knuspriges Topping für die Enten-Dumplings. Sie sind fast verbrannt, was die ohnehin Umami-reichen Teigtaschen in eigener, mit Sternanis und Ingwer gewürzter Brühe noch schmelziger macht und sie in die Nähe von Maultaschen rückt. Ein hübscher Twist.

Verkohlte Süßkartoffel in Tonkacreme
Verkohlte Süßkartoffel in TonkacremeFabian Kramer

Bei den Hauptgerichten im Kramer ist dann eher Purismus das Konzept: Das Feuerkochen erfordert Intuition sowie eine Kombination aus Wissen über das jeweilige Produkt und das Feuer, damit aus delikat nicht ungenießbar wird. Dabei lässt es kaum Kunstgriffe zu, weswegen die Ausgangsqualität von Fisch, Fleisch aber auch Gemüse herausragend sein muss. Vom Iberico-Schwein bin ich in dieser Hinsicht enttäuscht. Die glasierte Kurzrippe ist zwar perfekt gegrillt, doch die Fettstruktur zu grob. Normalerweise zeichnet sich diese Schweinerasse durch ihre feine Fleischmarmorierung und nussigen Geschmack aus.

Anders das Entrecôte aus dem vorderen Rücken eines Müritzer Weiderindes. Es ist vier Wochen trockengereift und im Zusammenspiel aus offener Flamme, Glut und Rauch wunderbar gelungen. Man schmeckt zuerst das Brandige des Feuers, den Rauch des Buchenholzes, dann innen das pure Fleisch, dessen Saft beim Tranchieren als Soße für die Bratkartoffeln herausläuft.

Auch in dieser Küche verwandelt sich Natur in Kultur – nur mit archaischen Methoden, aber keinesfalls ohne Wissen und Präzision.


Snacks und Vorspeisen 8–13 Euro, Hauptgerichte 18–53 Euro, beilagen 7–9 Euro, Desserts 8–9 Euro

Kramer Restaurant. Pannierstraße 41, 12047 Berlin. Di–Sa 18–23 Uhr, Tel: 0174 810 28 76. fabian@kramerberlin.com, www.kramerberlin.com