Ob Ente, Gänsebraten, Würstel oder Karpfen – bald können wir wieder aufatmen. Die Weihnachtstage sind (fast) geschafft und damit auch das schwere, fleischlastige, deutsche Traditionsessen. Auch die vielen Weihnachtsgerüche sind dann verweht.
Seit Tagen etwa riecht es bei uns im Haus nach Gewürznelken, Zimt und Sternanis, weil mein Vater damit den Wildfond für sein Rehgulasch an Heiligabend ansetzt. Danach, wie ich weiß, geht es weiter mit der Gänsebratenluft, die der Ofen schon frühmorgens am ersten Weihnachtsfeiertag von der Küche durchs Haus bläst. Die Tage darauf sind dann für Angebratenes reserviert. Denn dann ist Resteessen angesagt, was bei uns meist in der Pfanne aufgewärmt wird.
So wunderbar das alles auch schmeckt und duftet, spätestens nach dem zweiten Weihnachtsfeiertag muss ich raus. Mir steht der Sinn nach anderen Aromen. Je fremder, desto besser. Auch will ich mal nicht selbst Hand anlegen müssen. Ich träume etwa vom dezenten Geruch einer vietnamesischen Pho-Suppe, die mir mit viel Koriander serviert wird, oder einem beißenden Thai-Curry. Und sogar von indischem Essen, obwohl die indische eigentlich nicht zu meinen Lieblingsküchen zählt.
Ghost Kitchen: Keine Gäste, nur Lieferservice
Doch kürzlich habe ich in Berlin ein paar Mal so gut indisch gegessen, dass ich allein schon den nach Kardamom duftenden Reis nicht mehr aus der Nase kriege. Schuld daran, oder besser verantwortlich dafür ist das Tiffin, eine Delivery Only-Marke mit herrlichen Gerichten wie ein Auberginen-Curry namens Baingan Ka Salan, cremigen Palak Paneer und Murgh Rogani, ein würziges, mit Tomate geschmortes Huhn. Tiffin wurde kurz vor dem Lockdown als Berlins erste echte Ghost Kitchen gefeiert.
Bekanntlich ist eine Marktlücke eine gute Voraussetzung für Erfolg. Sachin Obaid und Suleman Aslam, die beiden Gründer von Tiffin, haben gleich mehrere entdeckt: Erstere, die wichtigste, betrifft die Tatsache, dass die deutsche Hauptstadt zwar inzwischen zum Top-Food-Ziel in Europa zählt, die Qualität der indischen Küche hier aber nach wie vor unterirdisch ist. Und das muss sich ändern, schließlich sind Inder und Pakistani die derzeit größte Einwanderungsgruppe nach Deutschland. Und sie alle wollen gut essen.
„Warum schmeckt indisches Essen hier so schlecht?“, war Sachin Obaids Ausgangsfrage, als er vor fünf Jahren nach Berlin zog, um das Tiffin zu gründen. In Indien geboren, im Mittleren Osten aufgewachsen und in den USA die High School absolviert, beschloss er nach einem Jahrzehnt im Finanzwesen von New York und London zusammen mit Suleman Aslam, dem einstigen Küchenchef des gefeierten Thai Imbiss Khwan, dies zu ändern. Am besten mit einem für Berlin neuen und ungewöhnlichen Geschäftsmodell: einer Ghost Kitchen eben. Das war die zweite Marktlücke.
Küche in Berlin-Weißensee und kleines Liefergebiet
In asiatischen Ländern und den USA sind diese „Küchen, die es gar nicht gibt“, wie man zu Ghost Kitchen sagen könnte, schon viel länger ein Hype. In Berlin haben sie sich erst seit der Pandemie dazu entwickelt. Tiffin war der Prototyp, der bewiesen hat, dass man sich mit hervorragendem Essen einen Restaurant- und Markennamen machen kann, auch wenn es keinen Ort für Gäste gibt, in dem sie sitzen und speisen können.
Bei Tiffin kann nur bestellt werden, was einem nach den Feiertagen gerade recht kommt. Kein Geschirr, kein Abwasch. Tiffin bezeichnet in Indien übrigens das, was bei uns als Henkelmann bekannt ist, also ein mehrteiliger Blechbehälter für warme Mahlzeiten. In Indiens größter Stadt Mumbai liefern abertausende sogenannte Dabbawalas darin das meist von den Ehefrauen gekochte Mittagessen tagtäglich an die Arbeitsstätte der Ehemänner. Eine logistische Meisterleistung, mit der jede deutsche Behörde heillos überfordert wäre.
Bei Tiffin kocht nicht die Frau, sondern ein Team um den verantwortlichen Küchenchef Suleman Aslam. Geliefert wird nicht mittels Dabbawalas, sondern mit Wolt über deren Plattform Huuva. Glücklicherweise liegt mein Zuhause im Liefergebiet, das bisher nur einige Kilometer um die Produktionsküche in Weißensee umfasst. Tiffin expandiert derzeit gewaltig, bald werden Filialen in anderen Stadtteilen eröffnet.
Indisches Essen wird immer besser, je öfter man es aufwärmt
Als ich den Pappdeckel vom Reistöpfchen nehme, atme ich tief durch. Basmati, zumal wenn so locker, trocken und warm, riecht einfach wunderbar, finde ich. Auch duftet der Kuminsamen, mit dem der Reis gekocht ist. Das Gute an indischem Essen ist: Kaum eine Küche eignet sich besser zum Liefern. Das Papadam, das hauchdünn frittierte Fladenbrot aus Urbohnenmehl, ist zwar zu Bruch gegangen. Doch die Konsistenz der allermeisten Gerichte erleidet kaum Verluste.
Viele indische Gerichte köcheln über Stunden. Was die Aromen angeht, würde ich behaupten, verbessert sich ein Curry sogar, je öfter man es aufwärmt.
Die Reste des Murgh Rogani etwa, das ich mir bestellt habe, könnte ich sicherlich noch nach Tagen im Kühlschrank aufgewärmt ohne Geschmacksverlust essen. Das Problem ist nur: Es ist so gut, dass nichts übrig bleibt: Das ausgelöste, zarte Fleisch der Hähnchenschenkel hat sich mit der von Koriander-, Kurkuma- und Chili-Aromen strotzenden Tomatensauce auf einzigartige Weise verbunden. Die Säure der cremig gekochten Tomaten verleiht dem Gericht Frische, die Schärfe ist perfekt zum luftigen Reis, der geschmacklich der neutralisierende Gegenspieler ist.
Wunderbar auch Palak Paneer, der Klassiker: Indischer Hüttenkäse in einem maximal cremigen Spinat. Häufig schmeckt das einfach nur nach einem sahnigen Einerlei. Bei Tiffin nimmt man den Spinat als Spinat wahr, und der weiche Käse bleibt sowohl in der Konsistenz als auch aromatisch klar unterscheidbar.
Tiffins Biryani in der Markthalle Pfefferberg
Nicht ganz so angetan bin ich vom Daal Makhni, auch ein Klassiker: schwarze Linsen mit Butter und Sahne auf kleiner Flamme gekocht. Als einziges Gericht bleibt es geschmacklich fad. Eine absolute Ausnahme, selbst die beim Inder oft lieblos mit auf den Tisch gestellte Minz-Joghurtsauce entfaltet bei Tiffin eine Geschmackswucht.
Sachin Obaid hat übrigens schon die nächste Marktlücke entdeckt: Die Ghost Kitchen, deren geheimnisumwobene Aura anfangs den Hype auslöste, wird jetzt ab und an sichtbar, mit regelmäßigen Pop-ups. Ganz unten auf der Webseite von Tiffin kann man sich anmelden, ab Februar soll wieder Tiffins Biryani in der Markthalle Pfefferberg serviert werden. Biryani gilt als das Königsgericht in Indien, entwickelt in den royalen Küchen des Mughal-Reiches.
Ich durfte das bereits einmal essen und kann sagen: Allein den Duft dieses Reisgerichts, das mit Teig versiegelt über Stunden in einem Topf zusammen mit unzähligen Gewürzen, Fleisch, Fisch, Gemüse oder auch Früchten wie Aprikosen gedämpft wird, werden Sie nie vergessen.







