Berlin wird immer teurer. Auch wenn die Stadt im Vergleich zu London, Paris oder Kopenhagen immer noch viel günstiger ist, die Preise in den Restaurants ziehen gewaltig an. Man hat das Gefühl, dass sich die deutsche Hauptstadt auf den langen Marsch gemacht hat, die anderen Metropolen preislich in Siebenmeilenstiefeln einzuholen.
Man bezahlt in Berlin inzwischen in besonders hippen und alternativen Lokalen für fast identische Gerichte (gedörrte Rote Bete, Stangen-Brokkoli, irgendwas mit Linsen) ziemliche Phantasiepreise. Der Grund dafür: Diese Läden haben nur vor kurzem zugereiste Expats und junge coole Schnösel als Kundschaft. Das treibt die Preise in die Höhe und sorgt für nervige Gesprächsthemen.

In Paris oder Marseille etwa sitzt in jedem noch so hippem Restaurant immer ein Rentnerehepaar aus dem Viertel. Klar, in Frankreich hat Essen eine gesellschaftliche Bedeutung. Aber nicht nur das ist der Grund. Vielmehr fehlt in Vierteln wie Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Teilen von Neukölln eine gesunde Altersstruktur. Oder haben Sie schon mal Rentner in der Kollwitzstraße gesehen? Die gibt es dort schon lange nicht mehr.
Keine Rentner, hohe Preise: das gilt für Berlins Gastronomie
Und so zahlt man bei so manchem coolen Italiener (ich nenne natürlich keine Namen) inzwischen mal 18 Euro für eine langweilige Pasta, oder für eine labberige Pizza mit Büffelmozzarella 13,50 Euro. Sowas wäre in Italien eine Sünde. Dort gilt ja immer noch die magische Marke von 1o Euro, die eine Portion Pasta (die sich oft zwei Gäste als Vorspeise teilen) nicht überschreiten darf.
Und wir finden das (vor allem für den Mittagstisch) eine rigide, aber sinnvolle Regel. Und daher wollen wir den Bewohnern von Kreuzberg zeigen, wo man eine große und leckere Portion Spaghetti Carbonara und eine eiskalte Cola für unter 10 Euro bekommt. Klar, die Kenner (und die jungen Leser) werden jetzt natürlich sofort Ripieno rufen. Und es stimmt: Wirklich ausgezeichnete Tagliatelle mit Pilzen, Salsiccia und Trüffeln kosten hier gerade mal 8,50 Euro.

Das Problem ist nur, das Ripieno in der Monumentenstraße hat gefühlt immer zu. Vergangene Woche stand ich zum dritten Mal in Folge vor verschlossener Tür. Zuverlässig geht anders. Ein Laden allerdings, der immer geöffnet hat und sich an die goldene 10-Euro-Regel hält, ist das Tirelli’s gleich um die Ecke in der Kreuzbergstraße. Der Grund ist, dass es sich wirklich um den unprätentiösesten Italiener Berlins handelt.
Ein schmuckloser Italiener mit guter Preis-Leistung
Das Tirelli’s ist ein schmuckloser Italiener mit einem pinkfarbenen Plastikwindfang auf dem Gehweg. Eigentlich besteht der Laden nur aus fünf kleinen Tischen für je zwei Personen und einem großen Herd mit acht Gasflammen und einer riesigen Dunstabzugshaube. Einzige Deko: ein eigenwilliges, selbst gemaltes Wandfresko eines Olivenbaums. Nicht schön, aber wir sind ja auch nicht wegen der Einrichtung gekommen, sondern wegen der Nudeln.
Und die sind schnell ausgesucht. Die kleine, laminierte Karte ist ein Baukasten. Man kann wählen: Pesto, Bolognese, Amatriciana, Norma, Tonno und noch einige andere Soßen, die man sich nicht zu merken braucht. Dazu gibt es dann wahlweise Pappardelle, Tagliatelle, Tagliolini, Rigatoni oder Gnocchi. Ein Set kostet 7 Euro. Die Auswahl ist groß, aber eigentlich bestellen alle immer nur die riesige Portion Carbonara (7+1 Euro). Denn diese Nudel hat der Koch, der oft mit großen Bose-Kopfhörern schunkelnd die Pasta zubereitet, am besten drauf.

Keine Experimente: Alle bestellen Carbonara!
Die Soße ist dank frischem Ei, Parmesan und Pastawasser schön gelb und seidig, und am Ende gibt’s noch goldbraune knusprige Guanciale-Stückchen oben drüber. Wunderbar einfach und gut. Und einen Kniff bekommt man nur hier zu sehen: Während die Nudeln in der Pfanne noch die Soße aufsaugen, präpariert die Bedienung schon mal die Teller mit reichlich Olivenöl, Parmesan und Salz. Dann kommt die Pasta drauf und dann wieder Öl und Parmesan. Keine schlechte Idee, so ein Pasta-Sandwich.
Und weil echte Künstler eben auch nicht alles können, sollten Sie die Pasta mit roten Soßen (etwa Amatriciana) und die ausgefallenen Sachen (Steinpilze und so) nicht bestellen. Die schmecken eher langweilig, und Sie landen damit (+4 Euro) wieder deutlich über der 10-Euro-Grenze.

Bleiben Sie bei den einfachen Dingen. Auch weil man damit nichts falsch machen kann. Die Steinpilze (für die Banausen) sind natürlich TK-Ware, und der Weißwein zum Ablöschen kommt aus dem Tetrapack. Das ist nicht schlimm, das machen ja alle Gastronomen. Bei einer Carbonara brauchen sie ja einfach nur ein Stück Speck, Parmesan und Eier. Die Zutaten könnten zwar auch alle Top-Qualität haben, nur fürs Mittagessen braucht man das nicht. Zumal der Mann mit den Kopfhörern alles rausholt aus den Zutaten.
Carbonara und Cola für 10 Euro
Die Rechnung ist am Ende einfach addiert. Eine Tagliatelle Carbonara (8 Euro) und eine Cola (2,50 Euro) macht zusammen 10,50 Euro. Zu empfehlen sind auch die Rigatoni mit Pesto. Denn die grüne Pampe wird im Tirelli’s selbst angerührt. Ein Schluck Sahne sorgt für einen vollmundigen Geschmack. Top!
Die Vorspeise brauchen Sie allerdings nicht zu bestellen. Das sind Mini-Mozzarella-Bälle mit kleinen Broten und Oliventapenade. Den Nachtisch haben wir noch nicht probiert. Das Tiramisu (4,50 Euro) ist selbstgemacht. Also einen Versuch wert. Fürs nächste Mal.

Insgesamt kommt das Tirelli’s auf hervorragende 3 von 5 Punkten. Das ist für einen günstigen Mittagstisch ja die Höchstnote. Schließlich will man sich für das Abendessen noch steigern.
Bewertung: 3 von 5 Punkten!
Tirelli’s. Kreuzbergstraße 29, 10965 Berlin, täglich 12–15 und 18–22 Uhr, Kartenzahlung erwünscht (Applaus!).







