Für gewöhnlich sitze ich zwei- bis dreimal pro Woche in einem Restaurant. Nicht immer abends. Manchmal stoppe ich mittags an einem Laden, der mich interessiert. Mindestens einmal pro Woche findet auch irgendwo ein Tasting, eine Neueröffnung oder ein Presseessen statt. Ich esse folglich häufig für Recherchezwecke, denn Sie lesen nur einmal in der Woche von mir. Was also passiert mit all den anderen Läden, vor allem mit denen, die ich mäßig finde?
Ich schweige darüber, keiner braucht einen so-la-la-Tipp. Oder gar einen Verriss, zumal wenn das betreffende Restaurant selbst nicht viel Aufhebens um sich und seine Küche macht.
Was ich diesmal schreibe, mache ich daher ungern. Doch so hart es klingt, ich fühle fast eine innere Verpflichtung, Sie vor einem Besuch in folgendem Restaurant zu warnen.
Nach mehr als drei Jahren saß ich mal wieder in der Speisekneipe Tisk, die seit Anfang 2020 von einem neuen Team geführt wird und sich mit einem Bib Gourmand sowie einem grünen Stern schmücken darf. Erstere Auszeichnung bekommen seit 1997 Restaurants vom Guide Michelin verliehen, die sich durch „gutes Essen zu einem günstigen Preis“ hervorheben. Dazu muss man wissen: Der Bib wird unter Foodies als Geheimcode verstanden. Will sagen, Feinschmecker wissen, dass sie hier oft aufregenderes Essen für weniger Geld bekommen als in einem Sternerestaurant.
Letzteren, den grünen Stern, hat der Michelin erst vor zwei Jahren eingeführt, um besonders nachhaltige Restaurants zu ehren. Laut Statuten des Michelin nutzen derart Ausgezeichnete nicht nur „lokale, nachhaltige Lieferanten“ und arbeiten daran, ihre „Lebensmittelverschwendung sowie ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren“. Sie bieten ihren Gästen auch „inspirierende und lehrreiche kulinarische Erlebnisse“. Ich zitiere dies so ausführlich, weil ich darauf zurückkommen werde.
Das Tisk hat sich hier offensichtlich hervorgetan, weil es neben dem Neuköllner Ladenlokal im Kneipen-Dining-Stil auch eine eineinhalb Stunden entfernte Farm in Brandenburg betreibt. Kein Text über das Restaurant, in dem der Hof nicht erwähnt wird. Auf der Webseite des Tisk ist zwei Minuten lang ein Drohnenflug über das Gutshaus und die Felder zu sehen, von A-capella-Musik begleitet.
Solche farm-to-table Konzepte sind schon länger sehr beliebt. Jeder Küchenchef, der etwas auf sich hält, will möglichst kurze Wege für seine Ware. Etwas neuer ist die Idee, dass das Restaurant – sozusagen als seinen verlängerten Arm – selbst Obst, Gemüse und Kräuter anbaut und einen Hof betreibt.
Ich finde das ganz toll; zumal auf diese Weise der Kreislauf zwischen Acker und Teller wirklich geschlossen wird und ein Küchenchef ganz anders seine Speisekarte schreiben kann. Nicht das Angebot bestimmt, was er kreiert. Sondern er kann sich frühzeitig Gedanken über alte Sorten, besondere Kräuter und Geschmäcker machen, die er auf seine Teller bringen will.
Ich hatte also zu Recht Erwartungen an meinen Abend im Tisk, das viel tut, um seine Einzigartigkeit zu propagieren. Der Großteil des eigenen Gemüses, heißt es, landet frisch auf den Tellern. Die überschüssige Ernte kann als Kiste bestellt und im Restaurant abgeholt werden.
Meine erste Irritation will ich nicht überbewerten. Ich weiß, wie schwer derzeit geschultes Servicepersonal zu bekommen ist. Das Personal am Abend war nett, aber ahnungslos. Auf keine meiner Fragen hatte die Mitarbeiterin eine Antwort: Sie wusste nicht, welches Gemüse von der Karte tatsächlich von der Farm stammt oder ob dort Hühner herumliefen, da ich das Senf-Ei bestellt hatte. Auch als anstelle eines alkoholfreien Naked von BRLO ein alkoholhaltiges Bier kam, dachte ich noch: Nicht so schlimm, mein Mann ist zum Glück nur Motorradfahrer, nicht trockener Alkoholiker, den schon ein Schluck aus der Bahn werfen kann.
Weder „inspirierend“ noch „lehrreich“, wie bei einem grünen Stern zu erwarten, war auch das kulinarische Erlebnis, das auf den Tellern aufwartete. Als „Happen“ sind hier Kleinigkeiten vorweg wie eine Currywurst, Falafel, Mixed Pickles und Senf-Ei aufgeführt. Von der eigenwilligen Mischung mal abgesehen, war das Senf-Ei an diesem Abend noch die gelungenste Kreation. Für sechs Euro ein hart gekochtes Ei im Glas, serviert mit sämiger Senf-Mehlschwitze und einem Klecks Kartoffelbrei am Grund. Die auf der Karte angeführten Blüten und Kräuter entpuppten sich als getrocknete Schnittlauchstreusel, der ebenfalls angeführte Salat fehlte. Auf Nachfrage sagte die Bedienung, er befinde sich unten im Glas. Da war kein Salat.
Geradezu frech teuer war der sogenannte Tisk Farm Tomatensalat. 13 Euro für insgesamt drei halbierte golfballgroße Tomaten, drei halbierte Datteln und neun klitzekleine Kirschtomaten. Die in der Karte angeführte Dashi-Emulsion schmeckte wie Zuckerwasser, lediglich vier Tupfer Mayo mit etwas Miso-Geschmack ließen überhaupt eine kompositorische Idee erkennen. Das Schlimmste: Die Tomaten, auch wenn eigener Anbau, schmeckten wässrig. Jede auf Geschmack hochgezüchtete Datteltomate aus dem spanischen Huelva, die es bei Lidl gibt, schlägt diese Sorten.
Nun aber zum „Berlin Broiler“, unserem Hauptgericht: 35 Euro kostet er, für zwei Personen zum Teilen. Ein Preis, der für ein exzellent zubereitetes Biohuhn im Restaurant absolut gerechtfertigt wäre. Hier kommt jede Beilage extra mit sieben Euro hinzu, und auf dem Teller lag ein kleines, geschrumpeltes Hühnchen, so mager wie ein Suppenhuhn, ohne jede Idee zubereitet. Die Haut war komplett versalzen, das Fleisch an Flügeln und Schenkeln war bei zu großer Hitze faserig und viel zu trocken geworden. Es gab keinen Bratensaft und im Grunde nur einen Geschmack: Salz. Es sei ein Schwarzfederhuhn Label Rouge, hatte die Kellnerin in der Küche erfragt. Was für ein sinnloser Tod. Über die Beilage konnte ich dann nur noch lachen: eine einzelne, trockene Kartoffel, auf die etwas Parmesan gehobelt wurde – sieben Euro.
Es tut mir wirklich leid, dass ich dem Tisk so ein desaströses Zeugnis ausstelle. Ich habe erfahren, dass in Kürze ein neuer Küchenchef anfängt und der Restaurantleiter bei meinem Besuch im Urlaub war. Das mag sein, aber auf der Karte stand ja nicht „Heute nur die Aushilfen da, darum alles zum halbes Preis“. Das ist die Schwierigkeit in der Gastronomie: Einmal ein gutes Menü, das können viele. Angesagten Marketingsprech über Nachhaltigkeit verkünden, das können noch viel mehr. Aber um es mit den Worten meines Mannes zu sagen, für den sich die Welt praktisch immer mit einer Fußballmetapher erklärt: In der Gastronomie liegt die Wahrheit nun mal auf dem Teller. Allerdings gilt auch: Nach dem Gang ist vor dem Gang, und insofern kann sich alles noch drehen.
Preise:
Happen 6–8 Euro; Vorspeisen 13–16 Euro; Hauptgerichte 19–35 Euro; Beilagen je 7 Euro; Desserts 8–9 Euro.
Infos:





