Ein Sanitär- und Heizungsfachhändler, der zum Gastronom wird, weil er keinen Pächter für seinen Laden findet? Und sich dann gleich an einem Fine Dining-Restaurant in Falkensee probiert? Das glauben Sie nicht? Wer ein bisschen etwas von gehobener Gastronomie und ihren Tücken versteht, wird nachvollziehen, dass auch ich skeptisch bin.
Natürlich ist bei mir auch eine Portion Berliner Arroganz mit im Spiel. Und dann noch in Falkensee? Wer bitteschön soll dafür quer durch Berlin bis hinter Spandau über die Stadtgrenze hinaus fahren, wo es in Berlin doch Dutzende solcher Restaurants gibt? Und können die Falkenseer so etwas überhaupt würdigen?
Sagen wir mal so, als ich die Einladung für das Restaurant Sawito in meinen Mails sah, dachte ich nicht gleich: Oh ja, wunderbar, da muss ich hin. Ich zögerte also, bis ich zusagte. Dafür sprach, dass es hieß, der ehemalige Sous Chef des Berliner Restaurants Duke, Marco Wahl, habe die Küche übernommen. Dagegen sprach – wie schon angedeutet – der Weg nach Falkensee, und dass ich über die Eigentümer des Sawito Folgendes las: Bevor sie das Wohnhaus mit Gastronomie im Erdgeschoss bauen ließen, sei an Ort und Stelle ihr Lieblingsitaliener „Da Pippo“ gewesen.

Ein Restaurant hinter Spandau! Kann das gut gehen?
Früher war dieser Laden für die Eigentümer und viele Falkenseer ein zweites Wohnzimmer, weshalb sie gerne wieder einen italienischen Pächter im Neubau gehabt hätten. Nur leider sei der in der Corona-Hochphase, als das Gebäude fertig war, plötzlich abgesprungen. Jetzt also gehobene Küche.
Als ich an der Adresse ankomme, zweifle ich mehr denn je, ob sich meine 50-minütige Fahrt wirklich lohnen wird: Ich parke hinter einem frei stehenden, allerdings sehr schönen Wohnhaus. Das Sawito liegt im Erdgeschoss neben einem Autohändler, gegenüber ist ein Acker und vor der Restaurantterrasse, getrennt durch eine Glaswand, führt die Hauptstraße von Falkensee entlang.
Doch auf der abgeschirmten Terrasse, die mit Wildgräsern begrünt ist, überkommt mich sofort eine Art Oasengefühl. Auch der Schankraum ist ansprechend gestaltet. Alles ist aufgeräumt-modern, ohne kühl zu wirken. Dafür sorgen indirekte Lichtquellen und warme Holzelemente.

Das Küchenteam des Sawito kommt aus dem Duke
Die Eigentümer Sabrina und Thomas Wruck, die im selben Haus auch das Büro für ihre 30 Mitarbeiter zählende Sanitärfirma haben, begrüßen mich mit festem Händedruck. Der Serviceleiter Patrik Schwabe bringt einen hervorragenden Strawberry Daiquiri, der Küchenchef Marco Wahl einen ersten, lässigen Gruß: frittierte Ährenfischchen auf Zeitungspapier, die man im Ganzen zu hausgemachten Kartoffelchips mit Estragon-Kapern-Salsa und Zitronenmayo wegknabbern kann. Fish & Chips a la Sawito sozusagen.
Das fünfköpfige Küchenteam bringt die Teller selbst raus zu den Gästen, weil Servicepersonal eben derzeit überall sehr schwer zu finden ist, erzählen die Besitzer. Darum haben sie einfach in der Küche aufgestockt, die meisten Mitarbeiter sind Marco Wahl aus dem Duke hierher nach Falkensee gefolgt. Gern würde ich an dieser Stelle länger ausführen, was die Eigentümer so unglaublich sympathisch macht. Es wäre aber schade, wenn das Menü zu kurz kommt.
Daher glauben Sie mir einfach, dass die Wrucks, die das Sawito nach den Initialen ihrer Vornamen und dem ihres Sohnes William benannt haben, das Restaurant aus purer Lust und Neugierde führen. Sie müssen ihr Geld nicht unbedingt damit verdienen. Immer Freitags zum Beispiel kommt die ganze Belegschaft ihrer Sanitärfirma zum Mittagessen. Der Küchenchef nutzt das, um an den Klempnern neue Ideen auszuprobieren.
Und Freitags kommen die Klempner ins Restaurant
Nicht ausschließlich wirtschaftlich rechnen zu müssen, hat also auch seine Vorteile, vor allem für den Gast. Unglaublich, was man beim 5-Gänge Menü für 89 Euro so alles bekommt. Ich hoffe sehr, der Wareneinsatz wird hier nie so richtig nachgerechnet. Es sind exzellente, saisonale Produkten und rare Schätze der Kräuter-, Pilz- und Blumenhändler aus der Umgebung.
Die aktuelle Vorspeise ist ein Hummer mit Tupfen aus Miso-Gel, einem geeisten Gurken-Passionsfrucht-Granité, Ölrettich und Olivenkraut. Nicht nur salzig, süß und sauer werden hier perfekt ausbalanciert, sondern auch die oft vergessene Bitternote durch den senfigen Ölrettich nicht vernachlässigt. Der Teller ist filigran angerichtet, aber dennoch keine verkopfte Konzeptküche, weil genug von allem drauf ist und ölig-krosse Brotwürfel dabei sind.
Mit richtigem Comfort-Food geht es weiter: außen kross gebackene, innen fluffige Gnocchi, die mit aromatischem Steinpilz, einer Blumenkohl-Kerbel-Creme und Parmesanschaum kombiniert sind. Um die Geschmacksknospen weiter anzuregen und das Sättigungsgefühl zu verringern, schiebt Marco Wahl ein Sorbet dazwischen. So ungewöhnlich wie genial: aus Tagetes hergestellt, auch Studentenblume oder türkische Nelke genannt. Das Sorbet schmeckt herrlich bitter, beinahe scharf, was auch vom Gin kommt.
Ein Schweinchen, nur mit Eicheln gefüttert
Dann folgt mein Lieblingsgang. Ein Pluma, spanisch für Nackenstück vom Ibaiama-Schwein, eine fast vergessene baskische Schweineart: Es ist so saftig und aromatisch wie nur Fleisch von mit Eicheln gefütterten, frei lebenden Schweinen schmecken kann. Vom Grill bekam es Röstaromen, die feine Fettstruktur im Inneren ähnelt der des Wagyu-Rindes. Wahl reicht dazu ein Bohnengemüse, Aprikose, schwarzen Knoblauch und Salbei.
Auch das Kirsch-Dessert, mit Fichtensud angegossen und Quinoa sowie weißer Schokolade kombiniert, ist hohe Kochkunst, die hier aber zugleich aus dem Bauch kommt. Kreiert hat es Pâtissier Eric Ohlmann, der auch vom Duke ins Sawito gewechselt ist.
Fast bin ich ein wenig geschockt, wie gut es hier ist. Die Anreise ins Sawito lohnt sich, mehr noch: Wir Berliner können ein bisschen neidisch nach Falkensee blicken, weil sie hier so ein grandioses Restaurant haben.
Preisangaben: Vorspeisen 14–18 Euro, Hauptgerichte 20–48 Euro, Desserts 10–14 Euro, 4-Gang-Menü 79 Euro, 5-Gänge 89 Euro, Weinbegleitung 36 Euro bzw. 42 Euro






