Blick zurück

Heute vor 90 Jahren: Als man in Berlin Kästner, Marx und Mann als „undeutsch“ verbrannte

Das NS-Regime vernichtete am 10. Mai 1933 zentnerweise die Texte unliebsamer Autoren. Warum schon Heinrich Heine wusste, was das bedeutet.

Berlin, 10. Mai 1933: So sieht der Triumph des Neids aus. Studenten und SA-Männer haben sich auf dem Berliner Opernplatz (heute Bebelplatz) „undeutsche“ Druckwerke gegriffen, um sie ins Feuer zu werfen.
Berlin, 10. Mai 1933: So sieht der Triumph des Neids aus. Studenten und SA-Männer haben sich auf dem Berliner Opernplatz (heute Bebelplatz) „undeutsche“ Druckwerke gegriffen, um sie ins Feuer zu werfen.Bundesarchiv, Bild 102-14598/CC BY-SA 3.0

Heinrich Mann soll brennen. Auf dem Berliner Opernplatz, heute Bebelplatz, wartet ein Scheiterhaufen auf ihn. Auch Alfred Döblin, Erich Maria Remarque, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky sollen ins Feuer gehen. Tausende Menschen – Schaulustige, Studenten und Professoren sowie Männer der SA – haben sich am Abend des 10. Mai 1033 hier versammelt, um sich an einem Spektakel zu ergötzen, das nicht zufällig einer mittelalterlichen Hinrichtung gleicht. Die Bücher aller Autoren, die „wider den deutschen Geist“ geschrieben haben und schreiben, sollen in Flammen aufgehen.

Reichspropagandaminister Joseph Goebbels stimmt die Menschenmenge ein. Der studierte Germanist Goebbels (seine Doktorarbeit schrieb er bei einem jüdischen Professor) erklärt das „Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus“ für beendet.

„Jüdisch“ war ein Synonym für „Passt uns nicht“

Die vom Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund organisierten Bücherverbrennungen in Berlin und anderen deutschen Universitätsstädten bilden den Höhepunkt der vierwöchigen Aktion „Wider den undeutschen Geist“, die am 12. April mit der Veröffentlichung von zwölf Thesen der Deutschen Studentenschaft begann. Unter Punkt 7 fordert sie: „Der undeutsche Geist wird aus öffentlichen Büchereien ausgemerzt.“ Die Aktion zielt darauf ab, nicht nur die Werke jüdischer, sondern dem NS-Regime generell unliebsamer Lyriker und Romanciers, Philosophen und Wissenschaftler zu vernichten.

„Schwarze Listen“ werden erstellt und die zu verbrennenden Bücher in Bibliotheken und Buchhandlungen des Landes ausgesondert. Rund 10.000 Zentner Literatur sollen allein in Berlin bis Ende Mai 1933 beschlagnahmt worden sein.

Sogenannte Feuersprüche verdammen so manchen Autor. „Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebensauffassung“, ruft ein Berliner Student. „Ich übergebe dem Feuer die Schriften von Karl Max und Kautsky.“

Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ wurde auch ein Raub der Flammen. Die hier gezeigte Originalausgabe von 1929 mit dem von Georg Salter gestalteten Schutzumschlag bietet dieser Tage ein Schweizer Antiquariat für rund 2600 Euro an.
Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ wurde auch ein Raub der Flammen. Die hier gezeigte Originalausgabe von 1929 mit dem von Georg Salter gestalteten Schutzumschlag bietet dieser Tage ein Schweizer Antiquariat für rund 2600 Euro an.zvab.com/Antiquariat A. Wempe, Sarnen, Schweiz

Erich Kästner, dessen Bücher mit Ausnahme von „Emil und die Detektive“ ebenfalls auf den Schwarzen Listen stehen, wird Zeuge der Bücherverbrennung. „Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners (Goebbels, Anm. d. Red.)“, erzählt er später. „Begräbniswetter hing über der Stadt. Der Kopf einer zerschlagenen Büste Magnus Hirschfelds stak auf einer langen Stange, die, hoch über der stummen Menschenmenge, hin und her schwankte. Es war widerlich.“

Die Schwarzen Listen führen im Mai 1933 die Namen von 131 Autoren der „Schönen Literatur“ und 141 der „Politik- und Staatswissenschaften“. Ein Jahr später umfassen die Listen mehr als 3000 Titel verbotener Bücher und Schriften. Die betreffenden Autoren bekommen Berufsverbot. Mehr als 2000 gehen ins Exil, darunter Anna Seghers und Else Lasker-Schüler; einige, darunter Stefan Zweig und Walter Benjamin, nehmen sich dort das Leben.

Heinrich Heine, dessen Bücher in Halle-Wittenberg brannten, veröffentlichte 110 Jahre vor 1933 das Trauerspiel „Almansor“. Darin kommt eine Szene vor, in der christliche Ritter nach der Eroberung von Granada den Koran verbrennen. Heines Protagonist Hassan sagt dazu: „Das war ein Vorspiel nur. Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“