Nachahmung der Sonne auf der Erde

Durchbruch in der Kernfusion: Bis zum Kraftwerk ist es noch ein weiter Weg

US-Forschern ist es gelungen, erstmals mittels Kernfusion Energie zu gewinnen. Doch der Aufwand ist sehr hoch. Echte Fusionskraftwerke liegen noch in weiter Ferne.

Blick in die Versuchsanlage des Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien, wo die Kernfusion gelang.
Blick in die Versuchsanlage des Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien, wo die Kernfusion gelang.dpa/Damien Jemison/Lawrence Livermore National Laboratory

Wissenschaftler in den USA haben einen Durchbruch auf dem Feld der Kernfusion erzielt. Erstmals sei beim Verschmelzen von Atomkernen mehr Energie gewonnen worden, als man hineingesteckt habe, verkündete US-Energieministerin Jennifer Granholm am Dienstag in Washington.

Der Erfolg mit der Kernfusion gelang Wissenschaftlern der National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien, einem großen Militärforschungszentrum. Sie nutzen für ihre Experimente eine ganz besondere Technologie, Trägheitsfusion genannt. In einer riesigen Halle zielen 192 Laser auf eine winzige Kapsel, die mit Wasserstoff gefüllt ist. Dabei werden in der Kapsel so viel Hitze und Druck erzeugt, dass Wasserstoff-Atomkerne unter Energiefreisetzung zu Helium verschmelzen. Also eine Sonne im Miniformat.

„Erstmals haben Forschende gezeigt, dass man die Sonne tatsächlich auf die Erde holen und mit der Fusion netto Energie erzeugen kann“, erklärte am Dienstag auch die Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). Doch der Weg zu einer Nutzung als Energiequelle ist noch sehr weit.

Kernfusionsforschung gibt es seit mehr als 70 Jahren

An Technologien für die Kernfusion wird seit mehr als 70 Jahren geforscht. Für die Kernfusion spricht, dass man damit Energie klimaneutral, ohne Ausstoß von Treibhausgasen und mit geringen Mengen radioaktiven Abfalls produzieren könnte. Auch seien nach Aussagen der Befürworter kaum schwere Unfälle zu befürchten. Weil für die Kernfusion extrem hohe Temperaturen nötig seien, würde im Falle einer Störung die Temperatur einfach fallen und die Reaktion abbrechen.

Während bei herkömmlichen Kernkraftwerken schwere Atomkerne gespalten werden, um Energie zu gewinnen, werden bei der Kernfusion Atomkerne zu größeren verschmolzen – ähnlich wie es auf der Sonne geschieht. Als „Brennstoff“ dient Plasma – ein sehr heißes Gasgemisch. Es gibt Versuchsreaktoren verschiedener Art. Auch in Deutschland. 

Im Fusionsreaktor Wendelstein 7-X in Greifswald wird das Plasma zum Beispiel auf 50 Millionen Grad Celsius und mehr aufgeheizt und durch ein sehr starkes Magnetfeld in der Schwebe gehalten. Das Grundproblem ist, die Reaktion am Laufen zu halten und tatsächlich zusätzliche Energie zu gewinnen. Bisher betrug die Energieausbeute in Fusionsreaktoren weltweit höchstens 70 Prozent der zugeführten Energiemenge. Man verlor also 30 Prozent.

Der „Heilige Gral“ der Fusion soll tatsächlich erreicht werden können

Am LLNL in Kalifornien sei aber nun erstmals eine echte Energieausbeute erreicht worden, heißt es. Man habe am 5. Dezember per Laser zwei Megajoule an Energie erzeugt und die Fusionsausbeute betrage drei Megajoule, wie am Dienstag verkündet wurde. Dies sind 50 Prozent plus. In der Anlage wird allerdings kein superheißes Plasma in ein ringförmig verdrilltes Magnetfeld eingeschlossen. Die thermonukleare Reaktion wird ausgelöst durch den Beschuss einer pfefferkorngroßen Kapsel mit sehr starken Laserblitzen. Sie erzeugen Hitze von vielen Millionen Grad und sehr hohen Druck – Bedingungen wie im Inneren eines Sterns. Im Inneren der Kapsel kommt es zur Fusion von schwerem und überschwerem Wasserstoff (Deuterium und Tritium) zu Helium. Allerdings in winzigen Mengen.

Das Experiment beweise, „dass das lang ersehnte Ziel, der ‚Heilige Gral‘ der Fusion, tatsächlich erreicht werden kann“, sagt der Plasmaphysiker Jeremy Chittenden vom Imperial College London gemäß dem Science Media Centre. „Es wurde mutmaßlich erstmals mehr Energie durch Fusionsreaktionen freigesetzt, als der Laser eingestrahlt hat“, erklärt Sybille Günter, Wissenschaftliche Direktorin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) in Garching, in einem Statement. Das Ergebnis muss noch genau geprüft werden.

Für ein Kraftwerk sei die verwendete Vorgehensweise jedoch vermutlich zu ineffizient, so Günter. Viele technologische Fragestellungen müssten noch geklärt werden, „bevor man an den Bau eines Kraftwerks denken kann“. Das Ergebnis der US-Forscher sei zwar ein Erfolg der Wissenschaft, „aber noch weit davon entfernt, nützliche, reichlich vorhandene, saubere Energie bereitzustellen“, sagt auch Tony Roulstone, Dozent für Kernenergie an der britischen University of Cambridge.

Ziel: Die Gewinnung der doppelten Menge an Energie

Roulstone erklärt, dass die große Menge Energie, die für die Laseranlage selbst aufgewendet wurde, in der Erfolgsrechnung nicht enthalten sei. Damit mithilfe der Kernfusion irgendwann einmal Elektrizität produziert werden könne, müsse die doppelte Menge an Energie wieder herauskommen – „weil die Wärme noch in Strom umgewandelt werden muss und so wieder Energie verloren geht“.

„Um aus der Fusion eine Energiequelle zu machen, müssen wir die Energiegewinnung noch weiter steigern. Wir müssen auch einen Weg finden, denselben Effekt viel häufiger und viel billiger zu reproduzieren, bevor wir daraus ein realistisches Kraftwerk machen können“, erklärt Jeremy Chittenden, Professor für Plasmaphysik am Imperial College London.

Mit dem Experiment sei es unter sehr hohem Aufwand gelungen, „die Kompressionswirkung der Schwerkraft in der Sonne“ nachzuahmen, sagt Gianluca Gregori, Physik-Professor an der britischen University of Oxford, spezialisiert auf Hochleistungslaser und Fusionsenergie. Zwar handle es sich noch nicht um ein wirtschaftlich rentables Kraftwerk – „die Kosten der Zielvorgaben sind immer noch exorbitant und die freigesetzte Energiemenge noch geringer als die Stromkosten für die Steckdose“. Aber der Weg für die Zukunft sei viel klarer geworden.

Bis zum echten Fusionskraftwerk vergehen wohl noch Jahrzehnte

Eine Ära grüner, sicherer und im Wesentlichen unerschöpflicher kompakter Energie ohne langlebigen Atommüll sei näher gerückt, sagen auch andere Forscher. Nun müssten mehr Mittel in die Kernfusionsforschung fließen, um irgendwann wirklich eine Fusionsanlage ans Netz bringen zu können. 

Die gelungene Kernfusion werde „die Energieversorgung revolutionieren und unseren Energiemix perspektivisch um eine klimaneutrale, verlässliche und wirtschaftliche Quelle ergänzen“, erklärt Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) recht zukunftsfroh. Sie spricht sich dafür aus, den Weg zu einem Fusionskraftwerk zu ebnen, und zwar in einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Forschung und Industrie. „Deutschland hat hier viel beizutragen, insbesondere durch sein Know-how in der Lasertechnik. Das Bundesforschungsministerium fördert die Fusionsforschung bereits seit Jahren und plant, sein Engagement im nächsten Jahr weiter auszubauen.“

Allerdings sagen Fachleute, dass es – wenn es überhaupt dazu kommt – noch Jahrzehnte dauern werde, bis die Technologie in größerem Maßstab eingesetzt werden kann. Manche sprechen davon, dass es nicht vor der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts so weit sein werde. Und ein echtes Fusionskraftwerk, das tatsächlich Strom ins Netz speisen könnte, soll etwa 30 Milliarden Euro kosten. Für die Lösung aktueller Energieprobleme käme die Fusionstechnologie also zu spät – und ebenso für den aktuellen Kampf gegen die Erderwärmung. (mit dpa)


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