„Mein Herz bricht“, sagt mir ein Freund am Freitag via WhatsApp-Call aus Kiew, „ich möchte nur noch weinen“. Es ist gerade mal ein Tag nach der – inzwischen offiziellen – Militärinvasion in der Ukraine, die nun auch deren Hauptstadt erreicht hat. Die Verzweiflung und Panik auf den Straßen sei überall spürbar, sagt er, und berichtet von Bombeneinschlägen, die er Minuten zuvor gehört hat, unweit des Regierungsviertels, einen Steinwurf vom Maidan entfernt, dort, wo 2014 über 100 Protestierende starben, als sie gegen Korruption und die politische Anbiederung der damaligen ukrainischen Führung an Russland demonstrierten.
In Berlin gibt es in den letzten Tagen viele Proteste gegen Russlands Krieg – in Solidarität mit der Ukraine. Um die 4000 Menschen versammelten sich am Donnerstagabend im Regierungsviertel, das Brandenburger Tor wurde symbolisch blau-gelb angestrahlt, in den Farben der ukrainischen Flagge. Mehrere weitere solcher Demonstrationen sind über das Wochenende in Berlin geplant. Die schwedische Reporterin Emma Bratt, die derzeit als Korrespondentin für die Berliner Zeitung am Wochenende arbeitet, war am Freitag auf einer dieser Berliner Demonstrationen und hat dort mit Menschen gesprochen.
„Es macht mir Angst, und es macht mich auch wütend“
Zahlreiche Ukrainerinnen und Ukrainer drückten ihr gegenüber tiefe Verzweiflung darüber aus, was gerade in ihrer Heimat passiert und wie tatenlos die Weltgemeinschaft in ihren Augen bleibt. Viele von ihnen sagten, sie hofften, die russische Botschaft und die deutsche Regierung würden durch die Demonstrationen Druck verspüren und zum Handeln bewegt werden. Die Ukrainerin Mikhelyeva Ludmilla erzählte von Freunden und ihrer Familie in der Ukraine. „Es ist ganz einfach Putins politisches Spiel“, sagt sie.
Anastasia, die aus dem Osten der Ukraine stammt, sagt, sie könne noch immer nicht fassen, dass jetzt tatsächlich Krieg in ihrem Land herrsche. „Meine Eltern müssen sich im Keller verstecken und Essensvorräte einkaufen gehen, sie können nicht schlafen, ständig ertönt Alarm. Ich bin einfach sprachlos, es tut mir richtig weh, darüber nachzudenken.“ Niemand, sagt Anastasia, habe ernsthaft erwartet, dass es so weit kommen würde. Dennoch: „Meine Eltern wollen die Ukraine nicht verlassen. Meine Freunde, die auch Kinder haben, versuchen zu fliehen, aber im Moment dürfen nur Frauen und Kinder das Land verlassen.“
Anastasias beste Freundin – die beiden kennen sich aus Berlin – hat russische Wurzeln. Sie glaube, eine Demonstration wie diese hier sei der einzige Weg für Russen wie sie zu zeigen, dass sie dagegen sind, was derzeit in der Ukraine passiert. „Dieser Krieg geschieht nicht in unserem Namen, das ist nicht unsere Regierung. Es ist wichtig, dass die Welt das versteht.“
„Wer jetzt nichts sagt, unterstützt Putin“
Giorgi Kapanadze steht am Rand der Demonstration, er hält eine ukrainische Flagge in den Händen, eine georgische hängt über seiner Schulter. „Ich bin hier, weil ich viele ukrainische Freunde habe. Sie flüchten an die polnischen Grenzen oder verstecken sich in U-Bahn-Schächten.“ Wer jetzt nichts sage, unterstütze Putin, so Kapanadze. Er selbst glaubt nicht daran, dass die Sanktionen etwas daran ändern können, Putin von seinem Kurs abzubringen. Das hätten die Konflikte der Vergangenheit gezeigt.
Das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst reagierte am Donnerstag auf die Ereignisse in der Ukraine. Es holte die deutsche, die russische und die belarussische Flagge ein. Jetzt weht vor dem Gebäude nur eine ukrainische Fahne.
Auch online ist der Ukrainekrieg seit Tagen das bestimmende Thema. Von vielen Seiten wurde auf Social Media Kritik an der teils reduktionistischen Medienberichterstattung laut, wonach es seit 1945 keinen Krieg mehr in Europa gegeben habe – eine Aussage, die sich leicht widerlegen lässt. Man denke nur an die kriegerischen Auseinandersetzungen um Bergkarabach oder an den Völkermord von Srebrenica während des Bosnienkriegs. Von manchen wurde auch die moralische Entrüstung kritisiert, die in keinem Verhältnis zu andauernden Konflikten in anderen Teilen der Welt stehe, die von westlichen Ländern teils gänzlich ignoriert würden.
Trotzdem: Der Vorstoß Putins ist eine tektonische Plattenverschiebung von geopolitischem Ausmaß, die uns sicher noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte beschäftigen wird. Dass Deutschland nach dem von ihm verübten Menschheitsverbrechen des Holocaust auch eine gewisse historische Verantwortung für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger der Ukraine vor autokratischem Imperialismus hat, sollte man eigentlich nicht extra betonen müssen. Es bleibt zu hoffen, dass deutsche Politiker diese Verantwortung ernst nehmen.


