Halloween-Kolumne

Geister, Zombies, Psychopathen: Die Halloween-Horrorfilm-Challenge No. 3

Während des Lockdowns sichtete Anselm Neft 100 Horrorfilme in 100 Tagen. Für unsere Halloween-Challenge hat er die 28 gruseligsten herausgesucht. Folge 3 von 4.

Anselm Neft stellt bis Halloween die auffälligsten Horrorfilme vor.
Anselm Neft stellt bis Halloween die auffälligsten Horrorfilme vor.Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dp

Berlin-Während des letzten Lockdowns sichtete Anselm Neft, freier Autor, Schriftsteller und Host des (wie die Redaktion der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung bekennt: kenntnisreichen und unterhaltsamen) Literatur-Podcasts Laxbrunch, 100 Horrorfilme in 100 Tagen. Für unsere „Halloween-Challenge“ hat er die 28 gruseligsten, krassesten und unterhaltsamsten herausgesucht. Wer ist hartgesotten genug und schafft es, bis Halloween alle 28 Filme zu gucken? Jede Woche präsentiert Anselm Neft sieben Horrorfilme. Diese Serie hat insgesamt vier Folgen. Heute: Folge 3.

„Eden Lake“ (England 2008): In diesem Erstling von James Watkins macht ein nettes Normpaar aus der Mittelschicht einen Wochenendtrip zu einem halbwegs unberührten See, an dessen Ufern bald eine Gated Community für die Reichen entstehen soll. Sie treffen auf ein paar Jugendliche gewaltbereiter Eltern der Unterschicht, die nicht geizig sind, wenn es darum geht, Gewalt weiterzugeben. Die dichte, realitätsnahe Inszenierung, die konsequente Gewaltspirale und die beeindruckende Performance von Kelly Reilly („True Detective“) machen den Film zu einem hochkarätigen Nervenzerrer.

„Eraserhead“ (USA 1977): Abgefahrenes Erstlingswerk von David Lynch („Lost Highway“, „Mulholland Drive“), das man besser nicht auf LSD schauen sollte. Ein missgestaltetes Baby schreit ohne Unterlass und versetzt den gut toupierten Protagonisten in einen Zustand zwischen Depression und Psychose. Und das Publikum gleich mit. Die Tonspur gibt auch stumpfen Naturen den Rest.

„Lights out“ (USA 2016): Dysfunktionale Familie schlägt sich mit lichtscheuer Gestalt herum. Ein Horrorfilm, wie ich ihn liebe! Seine primäre Motivation: Furcht erzeugen. Und dabei macht er richtig, was viele andere Filme falsch machen: a) die Geistergeschichte verhandelt reales Grauen, b) die Figuren sind sympathisch, mit Stärken und Schwächen und c) der Geist agiert aus einer Motivation heraus nach nachvollziehbaren Regeln. Schreibt euch das hinter die Ohren, ihr Horror-Regisseurinnen und -Drehbuchschreiber! Konkret: Der Geist hier manifestiert sich nur im Dunkeln. Eine so schlichte wie geniale Idee. Zwar wird der Effekt früh gezeigt und im Laufe des Films ein wenig überreizt, die Nachwirkung ist dennoch beachtlich. Sehen Sie sich das nachts allein in der Wohnung über Kopfhörer an und gehen Sie anschließend zur Toilette. Ohne Licht anzumachen.

„Marebito“ (Japan 2004): Takashi Shimizu wurde 2002 mit „Ju-On: The Grudge“ berühmt. Mir gefällt der oft übersehene „Marebito“ aber noch etwas besser. Der einsame Masuoka streift mit einer Kamera durch eine japanische Großstadt und versucht, das Phänomen der Furcht zu verstehen. Er gerät in ein Tunnelsystem jenseits der U-Bahn-Schächte, befreit ein nacktes angekettetes Mädchen aus dieser Unterwelt und bringt sie in sein Appartement. Sie isst nicht, trinkt nicht, spricht nicht. Ist sie überhaupt ein Mensch? Ein Film jenseits von inhaltlichen und formalen Klischees, der seine Atmosphäre nicht durch einfache Erklärungen zerstört. Prädikat: besonders sick.

„Midsommar“ (USA, Schweden 2019): Nach „Hereditary“ der zweite Horrorfilm von Ari Aster. Ziemlich anders und wieder großartig. Die Doktorandin Dani erlebt einen bitteren Verlust, als ihre Schwester einen erweiterten Suizid begeht und sich selbst und die Eltern tötet. Ihr letzter Halt ist ihr Freund, der sich allerdings von ihr trennen will, ohne es ihr zu sagen. Mit seinen Anthropologen-Kumpels reist er zum Mittsommerfest in eine archaische Kommune in Schweden und nimmt die elternlose Dani eher widerwillig mit. In der Kommune durchlebt Dani eine Wandlung, und aus den überheblich-voyeuristischen Anthropologen werden selbst Studienobjekte. Ein ungewöhnlicher und herausragender Film, der fast komplett im gleißenden Sonnenlicht spielt, eine trippige Atmosphäre entwickelt und hinterrücks einer interessanten Frage nachgeht: Haben „wir“ reaktionären Kulten wirklich so viel entgegenzusetzen? PS: Der Director’s Cut ist mit 171 Minuten noch mal 23 Minuten länger als die Kinofassung.

„Next Door“ (Norwegen, Schweden, Dänemark 2005): Kaum wird der junge Architekt John von seiner Freundin verlassen, da ziehen auch schon zwei Frauen in die Nachbarwohnung. John weiß nicht so recht, ob er die Schwestern vor allem attraktiv oder durchgeknallt finden soll. Dieser kostengünstige norwegische Film erfindet das Mindfuck-Psychothriller-Rad nicht neu, ist aber sehr atmosphärisch und ein fieser Einblick in die ja generell unausgegorene männliche Psyche. Runde Sache für Hartgesottene.

„So finster die Nacht“ (Schweden 2008): Schweden ist nicht nur Bullerbü: Der zwölfjährige Oskar lebt Anfang der Achtziger mit seiner Mutter in einer Sozialbausiedlung am Rande Stockholms. Er ist einsam und wütend, wird gemobbt und lernt ein Mädchen kennen, das sich ausschließlich von Blut ernährt. Es entwickelt sich eine denkwürdige Liebesgeschichte zwischen herbem Sozialdrama, poetischem Coming of Age und seriös inszeniertem Horror. Ja, ich wage zu behaupten: Diese Buchverfilmung ist einer der besten Vampirfilme der letzten zwei Jahrzehnte, und selbst das US-Remake ist keineswegs übel.

Die nächsten sieben Filme werden auf den Onlineseiten der Berliner Zeitung vorgestellt. Kennen Sie Horrorfilme, die Sie empfehlen möchten? Dann schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.