Berlin / Tel Aviv-Seitdem Krieg in der Ukraine wird die Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr wieder verstärkt diskutiert. In der Ukraine werden heute schon täglich Drohnen eingesetzt, insbesondere die bewaffneten Drohnen des Typs Bayraktar TB2, konnten für das ukrainische Militär signifikante Erfolge erzielen. Nun wurde bekannt, dass auch die Amerikaner Drohnen vom Typ Switchblade an die Ukraine liefern werden. Die Berliner Zeitung am Wochenende wollte von dem amerikanisch-israelischen Journalisten und Drohnen-Experten Seth J. Frantzman wissen, wie Drohnen den Krieg verändern und wie das Schlachtfeld der Zukunft aussehen könnte. Das Interview wurde bereits im Dezember vergangenen Jahres geführt.
Herr Frantzman, was ist wirklich neu an bewaffneten Drohnen? Schon seit dem Ersten Weltkrieg kämpfen Soldaten mit Flugzeugen aus der Luft und mit großer Distanz zum Feind.
Zunächst einmal bedeuten Drohnen, dass man keinen Piloten ausbilden muss und keine Piloten hat, die man im feindlichen Luftraum verlieren könnte. Außerdem werden die Menschen mit der Zeit müde. Das bedeutet, dass man eine Drohne vielleicht drei oder vier Tage oder eine Woche lang über dem Haus einer Person kreisen lassen kann, ohne dass sie ständig von einer Person beobachtet werden muss, denn eine Drohne ist im Grunde genommen wie eine fliegende Überwachungskamera. Das Interessante an Drohnen ist, dass es sie heutzutage in allen möglichen Größen gibt, sodass man sehr kleine Drohnen einsetzen kann, taktische Drohnen, diese sogenannte Loitering Munition, eine Art Kamikaze-Drohne, die zunächst ohne konkretes Ziel über einem Gebiet ausgesetzt wird und erst später ein konkretes Ziel angreift. Eine Drohne versucht also nicht unbedingt zu kopieren, was ein Kampfjet oder ein Hubschrauber tut. Man kann damit eine ganze Reihe von Dingen tun, die dazwischen liegen. Und ich denke, das ist es, was die Technologie für viele Armeen und Staaten so interessant macht. Und wenn man das Gewicht des Piloten aus dem Flugzeug der Maschine herausnimmt, kann man dieses Gewicht durch alle möglichen Dinge wie Kameras oder Waffensysteme ersetzen. Das kann der Maschine alle möglichen Fähigkeiten verleihen, die man sonst vielleicht nicht hätte. Außerdem wird die Maschine dadurch aerodynamischer und kann möglicherweise sogar besser fliegen, weil man kein Cockpit mehr braucht.
In Deutschland wird das Thema der bewaffneten Drohnen in der Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutiert – wie ist die Lage in Israel und anderen Ländern?
Nun, ich glaube nicht, dass Drohnen in Israel sehr umstritten sind, allerdings gibt Israel auch nicht öffentlich zu, bewaffnete Drohen einzusetzen, sondern setzt offiziell nur auf Drohnen zur Überwachung – deshalb gibt es hierzulande auch keine Kontroverse. Ich glaube, wenn man sich die Kontroverse über Drohnen ansieht, dann dreht sich diese hauptsächlich um Europa und die Vereinigten Staaten. Und ein Teil der Debatte basierte auf der Vorstellung, dass es jetzt diese Art von computergesteuerten Tötungsmaschinen gibt. Ich glaube, die Diskussion darüber hat sich inzwischen verlagert, denn wenn man sich anschaut, dass die Türkei, China, Russland und andere Länder Drohnen bauen, dann gibt es die vermeintliche Kontroverse um bewaffnete Drohnen plötzlich nicht mehr, denn viele Länder haben in ihrem Diskurs unbewusst eine Art antiamerikanische Haltung.
Bezüglich der Beschaffung bewaffneter Drohnen werden im Wesentlichen zwei Dinge immer wieder kontrovers diskutiert: zum einen die sinkende Hemmschwelle, in einen bewaffneten Konflikt einzutreten, wenn das Leben der eigenen Soldaten nicht oder weniger gefährdet ist, und zum anderen die deniability, also die Fähigkeit, glaubhaft abstreiten zu können, überhaupt in Kampfhandlungen verwickelt zu sein.
Natürlich werden Länder, die Drohnen böswillig einsetzen wollen, sie am Ende auch genau so einsetzen. Es geht aber nicht um die Drohne, sondern um den Betreiber und um das Regime dahinter. Wenn westliche Länder keine Drohnen anschaffen wollen, müssen sie das nicht tun, aber sie sollten die dahinterstehende Technologie verstehen. Die autoritären Regime werden weiterhin auf Drohnen setzen, sie erhöhen derzeit die Anzahl ihrer Drohnen. Wir werden sehen, dass Drohnen auch künftig gegen potenziell zivile Ziele eingesetzt werden. Wir haben gesehen, dass die Türkei in Syrien und im Irak mit Drohnen Menschen angreift, die sie als Terroristen bezeichnet. Wir haben in Videoaufnahmen gesehen, dass im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien eine Menge Drohnen eingesetzt wurden. Wenn ein Land wie Deutschland nicht daran interessiert ist, bewaffnete Drohnen anzuschaffen, dann kann es allerdings auch auf fortschrittliche Flugzeuge und Flugkörper setzen, die das Gleiche leisten können wie eine Drohne.

Sie erwähnen den Krieg um Bergkarabach 2020 zwischen Armenien und Aserbaidschan, an dessen Ende Aserbaidschan signifikante Geländegewinne verzeichnen konnte. Inwieweit waren Drohnen ein entscheidender Faktor für den militärischen Erfolg Aserbaidschans?
Es scheint so, dass die Drohnen eine wichtige Rolle beim Sieg Aserbaidschans über Armenien gespielt haben. Aserbaidschan hat viel Geld für Drohnen ausgegeben, das Land verfügt dadurch über eine Luftwaffe, ohne selbst langwierig eigene Piloten ausbilden oder teure Flugzeuge beschaffen zu müssen. Medienberichten zufolge wurde dabei auch israelische Loitering Munition eingesetzt, die die Radarstationen der armenischen Luftverteidigung aufgespürt haben. Dazu kamen türkische Drohnen, die gegen gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt wurden. Die Armenier waren in einer ähnlichen Lage wie Saddam Husseins Armee 1990 gegenüber den Amerikanern, die technologisch weitaus überlegen war. Und das, obwohl es sich bei den Truppen, die in Bergkarabach eingesetzt wurden, um eine große Armee handelte. Die Armenier hatten nicht unbedingt einen Mangel an Personal oder Fahrzeugen, trotzdem scheint es, dass sie den ständigen Luftangriffen und der Zerstörung ihrer Ausrüstung nicht standhalten konnten. Der Krieg um Bergkarabach ist also ein Beispiel dafür, wie ein zukünftiger Konflikt aussehen könnte, wenn eine konventionelle Armee gegen einen technologisch überlegenen Gegner mit Drohnen antritt.
Wenn man sich das Prinzip von Drohnen genauer ansieht, unterscheidet es sich nicht fundamental von ferngesteuerten Modellbaufliegern, die auch von Hobbyfliegern verwendet werden. Was bedeutet dies für die Proliferation von Rüstungsgütern?
Ferngesteuerte Flugzeuge gibt es tatsächlich schon lange, sogar als Kinderspielzeug. Die Art und Weise, wie zum Beispiel der Iran Drohnen exportiert, hat trotzdem eine neue Qualität: Das Land bewaffnet seine Stellvertreter und Verbündeten. Einige dieser Drohnen können ziemlich weit fliegen, mehr als 2000 Kilometer. So kann der Iran seine Feinde angreifen, ohne dass diese in der Lage sind, Vergeltung zu üben oder überhaupt zu wissen, wer hinter dem Angriff steckt. Das führt zu einer entgrenzten internationalen Situation, in der Länder Drohnen an nichtstaatliche Milizen weitergeben, die dann Öltanker und Energieanlagen angreifen und möglicherweise auch Zivilisten attackieren, ohne dafür haftbar gemacht zu werden.
Das ist ein interessanter Aspekt. Sie haben Soldaten im Donbass und in Mossul begleitet. In Ihrem Buch schildern Sie auch die psychologische Wirkung der Drohnen. Wie verändern Drohnen das Schlachtfeld?
Nun, viele Drohnen sind ziemlich laut. Das heißt, man hört auf dem Schlachtfeld eine Art unaufhörliches Summen, als hätte man große Bienen in der Luft um sich herum. Das ist nicht nur beängstigend, weil man sie nicht sehen kann, sondern auch, weil man nicht weiß, zu wem die Drohne gehört. Es könnte also ein Freund oder ein Feind sein. Als Soldat, Journalist oder als Zivilist hat man keine Möglichkeit zu überprüfen, um was für eine Drohne es sich handelt und wo sie sich genau befindet. Das ist irritierend und kann auch einige Leute in den Wahnsinn treiben. Drohnen sind wie fliegende Rasenmäher, die ständig über einem kreisen.
Das erinnert ja fast an die Sturzkampfbomber Junckers Ju-87, Stukas genannt, der deutschen Luftwaffe, die Tragflächen befestigten Sirenen einen verheerenden psychologischen Effekt erzielten. Sollten denn die Einsatzregeln der Streitkräfte an den Vormarsch der Drohnen angepasst werden? Und wie steht es mit der Debatte über Künstliche Intelligenz: Soll am Ende eine Maschine über Leben und Tot bestimmen können?
Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass hinter jeder Drohne noch ein Mensch sitzt. Die Tatsache, dass eine Drohne schießt, ist also zunächst nichts anderes als ein Panzer, der feuert, weil ein Mensch darinsitzt und den Abzug drückt. Normalerweise beinhaltet Künstliche Intelligenz bisher nicht, dass die Drohne autonome Entscheidungen trifft. Vielmehr geht es darum, dass die Drohne eine Vielzahl von Daten durchsucht und dem Betreiber der Drohne bessere oder schnellere Informationen darüber liefert, welche Drohne und welche Munition eingesetzt wird, um sein Ziel zu erreichen. Angeblich können die Algorithmen der Künstlichen Intelligenz den Krieg präziser machen und die Zahl der Toten verringern. Drohnen sollen künftig dazu in der Lage sein zu unterscheiden, wer ein Kombattant und wer ein Zivilist ist. Es ist klar, dass man Künstliche Intelligenz auch dazu nutzen kann, um Drohnen zur Terrorisierung von Zivilisten einzusetzen, wenn man das will. Wenn wir über Regeln in internationalen Konflikten sprechen, sprechen wir im Grunde auch über die auf Regeln basierende internationale Ordnung. Alle Länder, die sich nicht daran halten wollen, ob Nordkorea oder andere, werden sich sowieso nicht an diese Regeln halten. Insofern unterscheidet sich die Debatte über Drohnen prinzipiell nicht so sehr von den Debatten, die wir heute schon führen.

