Politik-Check zur Abgeordnetenhaus-Wahl

CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner: Der Wahlkampf-Handwerker

Der Spandauer schiebt sich langsam aber sicher zwischen SPD und Grüne auf Platz 2. Bis jetzt nehmen die Konkurrenten ihn trotzdem immer noch nicht ernst. 

CDU-Politiker Kai Wegner
CDU-Politiker Kai Wegner

Berlin-Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten“, erklärt der hastig sprechende Passant auf dem Zehlendorfer Frischemarkt. Mehrmals schon hätte sein Gesprächspartner am CDU-Wahlkampfstand, Spitzenkandidat Kai Wegner, den nervösen Herren ziehen lassen können. Doch Wegner hält ihn im Gespräch. Es geht um die „Mär von Corona“ und „Lügen der Systemparteien“. Das hört sich Wegner an. Dann verlangt der Unionspolitiker auch von seinem Gegenüber, zuzuhören. Einig wird man sich hier nicht mehr, aber das Ganze endet gelassener, mit einer zivilisierten Verabschiedung. 

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So macht Wegner Wahlkampf. Mit allen reden: Flaneuren, Familien, dem Senioren-Duo mit den Hertha-Schals und den Konkurrenten von der Klima-Liste, wobei man ihm hier Handschlag oder Faust angewidert verweigert.  Wegner verwandelt Skepsis nicht in Ekstase oder reißt Unschlüssige auf seine Seite, er bewegt die Wähler nicht mit großen Visionen oder entwaffnendem Charme. Das gibt es bei ihm nicht. Hier ist Wahlkampf Handwerk, keine Kunst. Nach dem großen „Neustart für Berlin“, den Wegner auf seinen Plakaten verspricht, sieht das dann auch nicht ganz aus. Aber es scheint ihm und seiner Partei nicht zu schaden – im Gegenteil.  

Aufstieg entgegen dem CDU-Bundestrend

Der 48 Jahre alte Spandauer ist der am wenigsten medial Beachtete der drei Spitzenkandidaten mit Aussichten auf das Rote Rathaus. Während Franziska Giffey und Bettina Jarasch immer wieder mit Aufregern um Doktorarbeiten, Indianerhäuptlinge oder „Deutsche Wohnen und Co.“ Aufmerksamkeit bekommen und teils erheischen, segelt Wegner im Hintergrund. Bisher zumindest. Vergangene Woche hat die Berliner CDU erstmals die Grünen in einer Umfrage überholt und sich auf Platz zwei gesetzt – wohlgemerkt gegen den Bundestrend. Dass Armin Laschet aktuell keine riesige Hilfe ist, will Wegner nicht verhehlen. Er war einer der Unterstützer von Markus Söder. Natürlich steht er zu Laschet, aber er will sich jetzt auf Berlin konzentrieren.

Hindernis dabei sind weniger Kritiker der politischen Konkurrenz, die ihn bisher kaum beachten, sondern innerparteilicher Zwist. Im Mai warf ihm der ehemalige Senator und Bundestagsdirektkandidat für Marzahn-Hellersdorf, Mario Czaja, vor, einen „riskanten Rechtskurs“ zu fahren, und verortete ihn in der Nähe von Hans-Georg Maaßen. Wegner hat sich dagegen verwahrt. Den Parteikollegen in Südthüringen, die Maaßen aufgestellt haben, will er in einem Telefonat dringend davon abgeraten haben. Czajas Frontalangriff mitten im Wahlkampf könnte auch damit zu tun haben, dass dieser keinen sicheren Listenplatz erhielt. Die sind tatsächlich mit West-Berlinern gefüllt. Zumindest macht Wegner Wahlkampf in Ost und West zu gleichen Teilen, sagt das Team Wegner.

Wer keine Doktorarbeit hat, kann sie nicht verlieren

Der Urberliner Wegner, übrigens mit Sebastian Czaja von der FDP (Marios Bruder) der einzige hier geborene Spitzenkandidat in diesem Wahlkampf, ist kein typischer CDU-Landeschef. Während die drei bisherigen (West-)Berliner CDU-Bürgermeister Schreiber, Weizsäcker und Diepgen allesamt Juristen waren, wird der Sohn eines Eisenflechters keine Probleme mit einer plagiierten Dissertation oder Masterarbeit bekommen. Er hat nämlich keine. Er hat auch kein Abitur. Wieso, erzählte der gelernte Versicherungskaufmann kürzlich. Schon früh verdiente er sich nebenher Geld. Damit ließ sich gut feiern. Das war ihm wichtiger. Er wurde finanziell unabhängig und ließ die Schule sausen.

Seit 1989 ist er in der Union beziehungsweise deren Jugendorganisationen politisch aktiv und verdiente sein Geld später hauptberuflich in der Geschäftsführung einer Baufirma, bis er 2005 erstmals in den Bundestag einzog, wo er auch heute noch sitzt. Aber 16 Jahre MdB Wegner enden in wenigen Wochen. Was ist dann realistisch? Wegner nimmt zur Kenntnis, dass Spitzenreiterin Giffey aktiv in Richtung der Bürgerlichen blinkt. Er gibt nur zu bedenken, dass sie den Rückhalt für ein solches Bündnis in ihrer eigenen Partei womöglich gar nicht besitze. Im Umkehrschluss heißt das aber natürlich auch: Wenn Giffey es kann, hätte er wohl nix dagegen.

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