Gesundheit

Wegen Nebenwirkungen: Apotheken in Deutschland bleiben einen Tag lang geschlossen

Apotheker protestieren gegen Auflagen von Politik und Krankenkassen. Ihr Verband spricht von Sparwahn – und beklagt das Aus für Hunderte Betriebe.

Eine Apotheke zeigt ihren Kunden an, dass sie geschlossen ist.
Eine Apotheke zeigt ihren Kunden an, dass sie geschlossen ist.Oliver Berg/dpa

Auch Ina Lucas wird ihre Apotheken in Berlin schließen. Drei jedenfalls, die vierte hat Notdienst in der kommenden Woche, am 14. Juni, dem Tag, wenn bundesweit die Apotheker streiken. „Für uns und unsere Mitarbeiter ist es extrem wichtig, ein Zeichen zu setzen“, sagt die 40-Jährige. Anders – davon ist sie überzeugt  – ließen sich Politik und Krankenkassen nicht bewegen, etwas gegen die prekäre Lage ihres Berufsstandes zu unternehmen. Der leide unter einem regelrechten Sparwahn.

Die Folgen hat die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda) an diesem Dienstag versucht mit Zahlen sichtbar zu machen. Demnach schlossen 2022 hierzulande 393 Apotheken. Von den verbliebenen 18.068 gingen allein im ersten Quartal dieses Jahres nochmals 129 für immer vom Netz. Eine Umfrage der Abda ergab, dass fast die Hälfte ihrer Mitglieder davon ausgeht, keinen Nachfolger zu finden, sollten sie ihren Betrieb veräußern wollen. Fazit der Standesvertretung: Der Branche gehen die Fachkräfte aus.

„Der Mechanismus für den Personalmangel ist dabei ja recht einfach und immer der gleiche“, sagt Ina Lucas: „Pharmazeutisches Personal wandert aufgrund deutlich besserer Bezahlung in die pharmazeutische Industrie oder zu den Krankenkassen ab.“ Die dort gezahlten Löhne könne keine Apotheke in Deutschland bezahlen.

Ina Lucas hat zusammen mit einer Kollegin 2014 ihr erste Apotheke eröffnet und schrittweise drei weitere in das mittelständische Unternehmen integriert. Die Filiale im Bahnhof Lichtenberg hat an jedem Tag der Woche geöffnet. 80 Mitarbeiter beschäftigen Lucas und ihre Teilhaberin. „Und auch wenn wir zuletzt immer wieder Glück hatten bei der Personalsuche – der Markt ist an sich komplett leergefegt. Gutes Personal wird händeringend gesucht, die Arbeit stapelt sich, auch bei uns.“

Mangel an Medikamenten macht Apotheken Mehrarbeit

Zumal die Herausforderungen eher mehr als weniger werden. Daran hat sich nach der Corona-Pandemie nichts geändert. Lieferengpässe erschweren seit einigen Monaten die Arbeit, erfordern zusätzlichen zeitlichen, personellen und damit auch finanziellen Aufwand. Der Markt muss laufend nach Medikamenten abgesucht werden, die knapp sind oder werden könnten, rund 300 Präparate sind das momentan. Alternativen müssen in Abstimmung mit den verschreibenden Ärzten gefunden werden.

„Und während ich in den Apotheken Arbeit für zehn habe, kann ich mir die benötigte Menge an Personal kaum noch leisten, da die Personalkosten das Geschäft ansonsten auffressen“, sagt Ina Lucas. Denn die zusätzlichen Aufgaben würden schlecht honoriert, überflüssige Bürokratie führe dazu, dass einige Dienstleistungen unternehmerisch sinnlos würden.

Abda-Präsidentin Gabriele Overwiening sieht ihre Branche sogar ganz am Ende einer langen Kette. „Wir in den Apotheken müssen die Ergebnisse dieses kaputtgesparten Systems ausbaden“, sagt sie. Bei ihrem Einsatz „werden wir von der Politik schon seit Jahren nicht unterstützt – ganz im Gegenteil!“ Sie nehme hin, dass die Krankenkassen im Vergleich zu 2004 mehr als das Doppelte eingenommen hätten. Dagegen sei die Vergütung der Apotheken um weniger als ein Fünftel gestiegen.

Overwiening macht eine weitere Rechnung auf. „Mickrige zwei Prozent ihres Budgets haben die Krankenkassen im Jahr 2022 für Apotheken ausgegeben.“ Mehr als das Doppelte ließen sich ebenjene Kassen ihren Verwaltungsapparat kosten, nämlich 4,3 Prozent. Geradezu preiswert seien Deutschlands Apotheken, folgert Overwiening daraus. „Das kennt man nicht aus allzu vielen Wirtschaftsbereichen, schon gar nicht im Gesundheitswesen.“

Apotheker demonstrieren in Berlin

Dass diese Bedingungen die freie Apotheke immer weniger attraktiv erscheinen lassen, vor allem bei Berufsanfängern, sieht nicht nur Gabriele  Overwiening so. Ina Lucas engagiert sich deshalb im Verband, hat sich dessen Nachwuchsorganisation Abyou angeschlossen. „Ich werde mich mit aller zur Verfügung stehenden Kraft für die Apotheken vor Ort einsetzen“, sagt sie. Auf einer Demonstration in Berlin, die vom Potsdamer Platz aus loszieht, am 14. Juni, dem Tag, an dem Deutschlands Apotheken schließen und lediglich eine Notversorgung sicherstellen.

Auch deshalb haben sich Abda und Abyou zu einer Initiative entschlossen. Sie soll mehrere Monate dauern und ist überschrieben mit: „Gegen Zukunftsklau“. Auf Social Media wollen sie mobil machen. „Aber auch analog mit Aktionen“, wie Overwiening sagt. Los geht es an diesem Mittwoch. Am 7. Juni, dem Tag der Apotheke, erstmals begangen 1998, in einer anderen Zeit.