Wirtschaft

Nach Dammbruch in der Ukraine: EU-Raffinerien kaufen plötzlich mehr russisches Öl

Raffinerien in der EU steigern laut einem Bericht Importe aus Russland und legen Vorräte an. Moskaus Einnahmen aus dem Ölverkauf könnten dadurch erheblich gesteigert werden.

Ein Boot im überfluteten Gebiet von Cherson
Ein Boot im überfluteten Gebiet von ChersonSergei Chuzavkov/imago

Die Sprengung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine hat schwerwiegende Folgen für die Region. Zehntausende Menschen mussten vor den Wassermassen fliehen. 

Auch der Ölmarkt reagiert gestresst auf die Katastrophe. Laut einem Bericht der britischen Nachrichtenagentur Reuters fürchten Raffinerien in Westeuropa, zu wenig Öl aus Russland zu beziehen, da die Druschba-Pipeline, die russisches Öl zum Teil durch die Ukraine transportiert, beschädigt werden könnte. Zur Erinnerung: Das Pipeline-Öl aus Russland ist vom EU-Embargo ausgenommen; vor allem Ungarn, Tschechien und die Slowakei lassen sich immer noch von Russland beliefern. 

Bis zu 16 Prozent mehr russisches Öl

Im Juni könnten die Pipeline-Lieferungen von russischem Urals-Rohöl in die EU um 16 Prozent im Vergleich zum Mai ansteigen, prognostiziert Reuters unter Berufung auf zwei ungenannte Quellen. Die Raffinerien in der EU hätten aus Angst vor Angriffen auf wichtige Infrastrukturen und angesichts des eskalierenden Kriegs in der Ukraine Ölvorräte anlegen wollen, sagte eine Quelle. Die ungarische Raffinerie MOL, ein wichtiger Abnehmer russischem Öls, werde im Juni 900.000 Tonnen Urals kaufen, das über die Druschba-Pipeline geliefert wird. Im Mai hatte MOL nur 750.000 Tonnen Urals-Öl erworben.

Auch die Ukraine verdient an dem Öltransit. Anfang Juni habe Kiew abermals die Gebühren für den Transport erhöht, berichtete die Ungarische Zeitung Vilaggazdasag, heißt es im Bericht. Mit der Änderung sei der Preis um 25 Prozent auf 17 Euro pro Tonne angehoben worden. Die im Vorfeld geäußerte Androhung, die Gebühren um 100 Prozent zu steigern, machte die ukrainische Regierung nicht wahr. Kiew hatte die Gebühr für das Öl aus der Druschba-Pipeline zuletzt im Januar auf 13,60 Euro pro Tonne erhöht.

Polen will Marktführer für Ölversorgung in Europa werden

Der französische Konzern Total Energies betreibt das Werk in Leuna, das mit der Druschba-Trasse verbunden ist. Das Unternehmen will nicht mehr auf russisches Öl zurückgreifen: „Die Total Energies Raffinerie in Leuna hat den Bezug von russischem Rohöl Ende 2022 komplett eingestellt und bezieht kein Rohöl mehr aus Russland“, teilte das Unternehmen auf Nachfrage der Berliner Zeitung mit. „Das Rohöl wird nun am internationalen Markt beschafft und statt bisher direkt per Pipeline aus Russland per Tank- bzw. Cargo-Schiffen zum Hafen von Danzig an der polnischen Ostseeküste transportiert.“ Ab dem Hafen von Danzig werde das Rohöl rund 1000 Kilometer per Pipeline zur Raffinerie nach Leuna gepumpt, erklärte Total.

Profitieren von dem EU-Embargo gegen Russland will Polen. Erklärtes Ziel des staatlichen Ölunternehmens PKN Orlen ist es, Russland als Hauptöllieferanten für Mittel- und Osteuropa abzulösen. Polen verfüge über die nötige Infrastruktur, die richtigen Lieferanten und genügend Treibstoff, um eine kontinuierliche Versorgung der Region mit Öl sicherzustellen. „In dem Moment, in dem die Lieferungen aus dem Osten gestoppt werden, wird Orlen stabile Öllieferungen nicht nur nach Polen, sondern nach ganz Mittel- und Osteuropa aufrechterhalten“, erklärte das Unternehmen im Mai, laut einem Bericht des Magazins Euractiv.

Orlen habe seit dem Beginn des russischen Einmarsches in der Ukraine keine Ölkäufe in Russland mehr getätigt. Seit dem 24. Februar habe das Unternehmen bereits 30 Öltanker aus alternativen Quellen erhalten. Der polnische Energiekonzern besitzt sechs Raffinerien: drei in Polen, zwei in der Tschechischen Republik und eine in Litauen.

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