Steigende Energiepreise

Trotz Strompreisbremse: Darum wird Energie viermal so teuer

Die EU will Energiekonzernen 140 Milliarden Euro „Zufallsgewinne“ abknöpfen. Die Zahlen klingen besser als sie sind, meint unser Kolumnist. Was bringen sie dem Verbraucher?

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, bei einer Rede im EU-Parlament in Straßburg
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, bei einer Rede im EU-Parlament in StraßburgAP/Jean-Francois Badias

„Unser Gesetzesvorschlag wird mehr als 140 Milliarden Euro für die Mitgliedstaaten bringen“, kündigte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch an. Sie will den sprudelnden Gewinnen der Energiekonzerne an den Kragen gehen. Den Strompreis will sie deckeln, Produzenten von erneuerbarem Strom sowie die Gas- und Ölriesen am Jahresende besteuern. Das Geld soll „denjenigen zugutekommen, die es am meisten brauchen“, so von der Leyen.

Klappt das aber auch? 140 Milliarden klingt erst mal nach viel Geld. Doch für Verbraucher ist das bei genauerem Hinsehen längst kein Grund zum Aufatmen.

Fakt: „Grüne“ Stromproduzenten kassieren Megagewinne

Hintergrund der Maßnahme ist das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung, das sie Anfang September präsentiert hat und noch gestaltet. Die Ampel hat sich auf einen Strompreisdeckel geeinigt, der Druck auf die EU-Kommission war groß. In einem Sondertreffen am 9. September haben sich die Energieminister der EU-Länder dann verständigt, dem überkochenden Topf am Strommarkt einen Deckel zu verpassen. Denn selbst wenn Deutschland jetzt seinen Strom mehr mit Kohle als mit Gas produziert, wird der Strompreis nach wie vor vom hohen Gaspreis bestimmt. Und es wird auch für die Produzenten von sonst relativ günstigem Strom aus Sonne, Wind, Atomkraft oder Kohle lukrativ: Sie können ihren Strom zu Mondpreisen verkaufen, zu denen die Gaskraftwerke produzieren. Das hat die Gewinne explodieren lassen – auf Kosten der Verbraucher!

Nordsee, Offshore-Windpark, Deutschland, Niedersachsen
Nordsee, Offshore-Windpark, Deutschland, NiedersachsenIMAGO / blickwinkel

Eine Vervielfachung des Strompreises kommt trotzdem – als Minimum

Dem will die EU mit dem neuesten Gesetzesvorschlag einen Riegel vorschieben. Firmen, die Strom nicht aus Gas herstellen, müssen demnächst alle Einnahmen ab einem Preis von 180 Euro pro Megawattstunde an den Staat abgeben. Die Unternehmen könnten also ab 180 Euro nichts mehr verdienen und müssten den Strompreis theoretisch nicht weiter anheben.

Was von der Leyen in ihrer Rede jedoch verschwieg: Vor einem Jahr lag der Börsenpreis für Strom bei etwa 50 Euro pro Megawattstunde. Selbst 180 Euro bedeuten am Ende eine Vervielfachung des Preises für die Verbraucher. Einen Teuer-Schock verhindert sie damit nicht. Außerdem sollte der Deckel erst ab Dezember gelten und nicht rückwirkend greifen. Bis dahin bleiben die Mondpreise und Rekordgewinne also unangetastet.

Auch ist offen, wie praxistauglich der Vorschlag ist. Denn nur die Hälfte des Stroms wird an der Börse verkauft. Dort ist die Preisbreme von 180 Euro relativ einfach anzuwenden. Doch was ist mit der anderen Hälfte, bei der Käufer und Verkäufer einen langfristigen Vertrag abschließen und niemandem Rechenschaft über den Preis schulden? Wie soll in diese intransparenten Verträge eingegriffen werden? Auch dazu schwieg von der Leyen in ihrer einstündigen Rede. Robert Habeck gesteht die vielen Fragezeichen für die praktische Umsetzung verklausuliert ein: „Wir machen hier in Wochen, was eigentlich zwei Jahre brauchen würde“, so der grüne Wirtschaftsminister.

Braunkohle Kraftwerk, RWE Power AG Kraftwerk Niederaußem, 2 Blöcke wurden 2020/21 stillgelegt und im Juni 22 wieder hochgefahren um Gaskraftwerke in der Energiekrise 2022 zu ersetzten, Wohngebiet bei Niederaußen, Bergheim, NRW, Deutschland
Braunkohle Kraftwerk, RWE Power AG Kraftwerk Niederaußem, 2 Blöcke wurden 2020/21 stillgelegt und im Juni 22 wieder hochgefahren um Gaskraftwerke in der Energiekrise 2022 zu ersetzten, Wohngebiet bei Niederaußen, Bergheim, NRW, DeutschlandIMAGO / Jochen Tack

Übergewinnsteuer versus Solidaritätsabgabe

Überraschenderweise traut sich die EU-Kommission aber, was die Ampel-Regierung sich nicht traut. Stichwort Übergewinnsteuer. Sie knöpft sich auch die Übergewinne der Öl-, Gas- und Kohlekonzerne vor. Shell und RWE müssen ein Drittel der diesjährigen Gewinne, die 20 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre liegen, abgeben. Also eine Übergewinnsteuer für das Jahr 2022. „Übergewinnsteuer“ darf die aber nicht heißen, deshalb trägt sie den Namen „Temporäre Solidaritätsabgabe“. Ampel-Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte sich monatelang vehement gegen eine solche Übergewinnsteuer gewehrt, jetzt wird er von der EU zum Gewinnejagen getragen.

Wie viel bei der Steuer herausspringt, ist ein großes Fragezeichen. Denn anders als in Italien, das die Übergewinnsteuer als erstes EU-Land in Eigenregie eingeführt hat, wird die Steuer nicht am pauschalierten Umsatzüberschuss festgemacht, sondern so berechnet, wie die Gewinnsteuern sonst berechnet werden: mit dem Gewinn statt dem Umsatz als Basis. Und hier kommen die Probleme. Großkonzerne sind Meister im Verschieben und Kleinrechnen von Gewinnen. Die „Solidaritätsabgabe“ würde so zum Konjunkturprogramm für Unternehmensberater und Steueroasen werden.

Außerdem wird es mindestens bis 2024 dauern, bis die Steuer erste Einnahmen in die Staatskasse spült. Denn dafür müssen Firmen ja erst mal die Gewinne endgültig feststellen und erklären. Wie sollen daraus schnell Gelder für Hilfsprogramme verwendet werden? Ein Hütchenspielertrick. Die EU hätte besser von Italien abgucken sollen, dort geht das viel schneller, weil die Steuer an der zeitnahen Umsatzsteuererklärung festgemacht wird.

Auf Kante genäht – und schöngerechnet!

Politiker prahlen gerne mit hohen Zahlen. Von der Leyen mit 140 Milliarden, Olaf Scholz mit 95 Milliarden. So schwer sollen die drei Entlastungspakete für 2022 und 2023 sein. Darin sind allerdings eine Strompreisbremse eingerechnet, mit vielen Fragezeichen in der praktischen Umsetzung, und ein bundeseinheitliches ÖPNV-Ticket, dessen Preis und Finanzierung noch längst nicht geklärt sind. Selbst über den neuesten Vorschlag von von der Leyen zur Strompreisbremse wollen die EU-Minister erst Ende September beraten.

Ein Großteil der Pakete bezieht sich außerdem auf nächstes Jahr. Abziehen sollte man von den Entlastungspaketen auch, dass der Staat bei gestiegenen Preisen mehr Steuern einkassiert. Laut dem Monatsbericht von Lindners Finanzministerium hat der Staat von Januar bis Juli allein rund 35 Milliarden Euro zusätzlich über die Mehrwertsteuer eingenommen. Wenn Waren teurer werden, explodiert die Mehrwertsteuer, weil sie prozentual auf die höheren Preise aufgeschlagen wird. Insgesamt liegt das staatliche Steuerplus bis Juli bei circa 70 Milliarden. Bis zum Jahresende dürfte es noch mehr werden. Dagegen wirken die 95 Milliarden Euro an Entlastungen – wohlgemerkt für zwei Jahre – plötzlich gar nicht mehr so groß. Wie war das noch? You’ll never walk alone? Oder mit Scholz’ Worten: Niemand wird alleine gelassen?