Konjunktur

Gut vorgesorgt? Die Berliner Wirtschaft wächst weiter überdurchschnittlich

Während die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr nur noch um 1,4 Prozent wachsen wird, soll sie in Berlin um 2,3 Prozent zulegen. Das erscheint sehr optimistisch

Motorrad-Produktion im Berliner BMW-Werk
Motorrad-Produktion im Berliner BMW-WerkBenjamin Pritzkuleit

Als die Bundesregierung im Januar eine Konjunkturprognose für Deutschland aufstellte, prophezeite sie ein Wirtschaftswachstum von 3,6 Prozent. Es sollte wieder aufwärtsgehen nach Corona. Doch während die Pandemie noch nicht verdaut ist, drücken der russische Krieg in der Ukraine und die Energiekrise nun erneut die Konjunktur. Inzwischen hat die Bundesregierung ihre Erwartungen auf ein Plus von nur noch 1,4 Prozent zusammengestrichen. Und Berlin? „Auch wenn jede Krise anders verläuft, haben sich die Wachstumsstützen der Berliner Wirtschaft als belastbar erwiesen“, sagt Hinrich Holm, Chef der Investitionsbank Berlin (IBB). Er weiß aber auch: „Die Energiepreiskrise lastet enorm auf Unternehmen und Menschen in der Stadt.“

Tatsächlich sagt die IBB in ihrer aktuellen Konjunkturprognose der Stadt für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent voraus. Dabei wird Berlin vor allem von der überdurchschnittlichen Entwicklung in der ersten Jahreshälfte profitieren, als die Hauptstadtwirtschaft um 3,7 Prozent wuchs, während es die bundesdeutsche „nur“ auf ein Plus von 2,8 Prozent brachte. Für das zweite Halbjahr gehen die Volkswirte der IBB davon aus, dass sich die Konjunktur auch hier „merklich abkühlen“ wird. Allerdings sollte ihrer Einschätzung nach der Vorsprung gehalten werden können.

Als verlässliche Stütze gilt dabei die Berliner Industrie, deren Umsätze trotz aller Widrigkeiten in den ersten sieben Monaten um 45,7 Prozent nach oben gingen und sogar das Vor-Corona-Niveau übertrafen. Nach Daten des Statistischen Landesamts wurden vom verarbeitenden Gewerbe in der Hauptstadt allein von Januar bis Juli insgesamt 22 Milliarden Euro erwirtschaftet. Setzt sich der Trend fort, werden zum Jahresende Umsätze von weit mehr als 30 Milliarden Euro erreicht werden, während die Berliner Industrie im gesamten Jahr 2019 nur knapp 26,9 Milliarden Euro umsetzte.

Unklar ist dabei allerdings, in welchem Maße die Umsatzgewinne auf gestiegene Preise zurückzuführen sind. Schließlich hatten insbesondere die Energiepreise bereits im Juli um 32 Prozent über denen des Vorjahres gelegen. Zudem ging die Zahl der Beschäftigten in der Berliner Industrie im gleichen Zeitraum um 8000 auf 71.700 zurück.

Industrie bekommt weniger Aufträge aus dem Ausland

Die IBB-Analysten sehen indes Unsicherheiten bei den Auftragseingängen, die um gerade 0,3 Prozent über denen des Vorjahres liegen. Order aus dem Ausland schrumpften sogar um fast fünf Prozent. Dass für den Bau die Zahl der Wohnungsbaugenehmigungen in den ersten acht Monaten um zehn Prozent einbrach, konnte bis August noch ausgeglichen werden. Die Branche registrierte ein Umsatzplus von 13,4 Prozent. Doch nehmen Stornierungen auch im hiesigen Baugeschäft zu. Lieferengpässe und Preissteigerungen hinterlassen ihre Spuren.

Im Gastgewerbe und im Einzelhandel gilt das Ende des Aufschwungs bereits als sicher. Zwischen Januar und August kamen noch über zwei Millionen Gäste mehr in die Stadt als ein Jahr zuvor und die Umsätze in der Gastronomie stiegen um 84 Prozent, im Einzelhandel um 5,4 Prozent. Doch die wegen der explodierenden Inflation auf Rekordtief gesunkene Kauflaune der Menschen wird die Umsätze wieder einbrechen lassen. „Die rekordhohen Verbraucherpreise dürften in den kommenden Monaten zu einer Zurückhaltung bei den Ausgaben führen“, schreiben die IBB-Banker. Tatsächlich waren die Reallöhne in Berlin bereits im zweiten Quartal um drei Prozent gesunken.

Hoffnungsvoll sehen die Volkswirte dagegen auf den Berliner Arbeitsmarkt. Im Juli wurden demnach in Berlin mit über 67.000 sozialversicherungspflichtigen Stellen so viele neue Jobs geschaffen wie in keinem anderen Bundesland. Und es hätten offenbar noch mehr sein können. Im September waren jedenfalls bei der Bundesarbeitsagentur 21.790 offene Stellen gemeldet.

Und wie weiter? Die Bundesregierung rechnet inzwischen damit, dass die deutsche Wirtschaft im nächsten Jahr nicht mehr wachsen, sondern um 0,9 Prozent schrumpfen wird. Bei der IBB schaut man indes etwas optimistischer auf die Berliner Wirtschaft und erwartet „im besten Fall“ ein „Nullwachstum“. Die Hauptstadt würde ihren Vorsprung damit halten können. Immerhin.