Gasmarkt

Europa von LNG überschwemmt: Und plötzlich braucht niemand Fracking-Gas aus den USA

Der Gasmarkt ist von einem Überangebot an Flüssigerdgas geprägt. China verzeichnet rekordhafte Reexporte von schon eingeführtem LNG. Die amerikanischen Lieferanten müssen ihre Ambitionen vorerst zügeln.

Mecklenburg-Vorpommern, Binz, 10. März 2023: Ein LNG-Shuttle-Tanker liegt vor der Küste der Insel Rügen. (Symbolfoto)
Mecklenburg-Vorpommern, Binz, 10. März 2023: Ein LNG-Shuttle-Tanker liegt vor der Küste der Insel Rügen. (Symbolfoto)Stefan Sauer/dpa

Der Gaspreis sinkt kontinuierlich schon seit vier Monaten: Zuletzt kostete eine Megawattstunde an der Gasbörse TTF in Rotterdam rund 42 Euro – gegenüber 142 Euro noch Mitte Dezember.

So wenig wie seit Ende März dieses Jahres hatte eine Megawattstunde Erdgas oder LNG (Liquid Natural Gas) zuletzt im August 2021 gekostet. Der Hintergrund der Entwicklung: Sowohl Europa als auch Asien verzeichnen ein Überangebot an LNG, was die Gaspreise nach unten drückt. Der russische Überfall auf die Ukraine hatte im vergangenen Jahr die Energiemärkte auf den Kopf gestellt, und Länder wie Deutschland hatten sich beeilt, so viele alternative Versorgungsquellen wie möglich zu sichern. Jetzt stellt sich heraus: Es wurde auf einmal zu viel eingekauft und der Markt ist mit dem Flüssigerdgas übersättigt.

Mit LNG gefüllte Tanker – eine Notlösung für die ausgefallenen russischen Lieferungen über Nord Stream – hätten jetzt oft Schwierigkeiten, eine Anlandestation zu finden, und würden Wochen im Leerlauf auf See verbringen, schreibt auch das amerikanische Nachrichtenportal Bloomberg

Amerikanische LNG-Lieferanten müssen mit schrumpfendem Markt rechnen

Auf den ersten Blick ist es nicht verwunderlich: Die Nachfrage nach Gas sinkt normalerweise am Ende der Heizperiode, bevor heißeres Wetter den Kühlbedarf später im Sommer erhöht. Das Erdgas wird dann hauptsächlich in Speichern gelagert und wartet auf den nächsten Anstieg des Verbrauchs. Doch in diesem Jahr könnten die Nachfüllbemühungen in Europa bereits Ende August abgeschlossen sein, schreibt Bloomberg. Denn die europäischen Gasspeicher haben ihr aktuelles Niveau nach Angaben des Branchenvertreters Gas Infrastructure Europe bereits elf Wochen früher erreicht als 2021. In Deutschland liegt der Füllstand der Gasspeicher mit 65 Prozent rund 22 Prozentpunkte über dem Durchschnittswert der letzten Vorkriegsjahre. In Spanien, wo sich die meisten LNG-Terminals in Europa befinden, sind die Gasspeicher bereits zu 85 Prozent gefüllt.

Der niedrige Gaspreis und die vorzeitig gut gefüllten Gasspeicher mindern die „vertraglichen Ambitionen“ der amerikanische Energiekonzerne, schrieb das Analyseunternehmen S&P Global dazu. Noch vor fünf Monaten kassierten diese mit teuren LNG-Absätzen vor allem an deutsche Importeure sagenhafte Profite. Vor allem die amerikanischen Konzerne füllten auch die Lücke, die durch den Wegfall des russischen Pipeline-Gases entstanden war. Ein großer Anteil des aus den USA importierten Flüssigerdgases wurde dabei mithilfe von Fracking gefördert. Amerikanische Exporteure müssten in diesem Jahr in Europa mit einem schrumpfenden Markt rechnen, da keine Dringlichkeit für neue Lieferungen aus den Vereinigten Staaten bestehe, so S&P Global. 

China und Japan: Klassische Importeure verkaufen jetzt selbst LNG

Das Überangebot entsteht auf dem Weltmarkt unter anderem deswegen, weil die britischen Gasexporte in die EU stark ansteigen, da es dem Land an großen Speichern mangelt. Um das überflüssige Erdgas loszuwerden, lassen sich die Exporteure auch auf niedrigere Preise ein. Darüber hinaus verzeichnete China inmitten einer langsamen Erholung nach der Aufhebung der Pandemiebeschränkungen Rekord-Reexporte von LNG, also von Flüssigerdgas, das früher in das Land importiert wurde. Japan, normalerweise ein großer LNG-Käufer, verkauft nun selbst die überflüssigen Gasmengen, um ein Überangebot im Inland abzuwehren. Auf der anderen Seite der Welt, in Südamerika, bleibt die Nachfrage laut dem Bloomberg-Bericht schwach, bis Argentinien im Mai sein zweites schwimmendes Importterminal errichtet hat.

Wird der Gaspreis jetzt langfristig niedrig bleiben? Zu Beginn des dritten Quartals werden die Gasimporteure wieder damit beginnen, sich auf den Winter vorzubereiten, und der Wettbewerb werde sich wieder verschärfen, schätzt der Energieexperte von Bloomberg, Talon Custer. Alle Augen seien zudem auf das Sommerwetter gerichtet, da extreme Hitze und Trockenheit den Gasverbrauch fürs Kühlen ankurbeln könnten. Der Gaspreis in Europa sei zwar von den Höchstständen des letzten Jahres abgestürzt, liege aber immer noch deutlich über dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre, was eine Veränderung der Überangebotslage nicht wirklich ausschließt. Wenn sich der Gasverbrauch wieder erhöht, steigt entsprechend auch der Gaspreis.

Habecks Heizungswende: Wozu noch elf deutsche LNG-Terminals?

Es bleibt allerdings die Frage, wie die von Wirtschaftsminister Robert Habeck geplante Heizungswende mit dem allmählichen Verzicht auf die Öl- und Gasheizungen sich mit dem andauernden Ausbau der deutschen LNG-Kapazitäten an der Nord- und Ostseeküste vereinbaren lässt. Bisher gibt es solche Importterminals in Wilhelmshaven in Niedersachsen, in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern und in Brunsbüttel in Schleswig-Holstein. Bis zu vier weitere Terminals sollen in den nächsten Jahren nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe und des NewClimate Institute entstehen und die weggefallenen russischen Gaslieferungen komplett ersetzen, wenn nicht übertreffen. 

Das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck sieht im Bau von vorerst insgesamt fünf Importterminals allerdings keinen Widerspruch zur geplanten Heizungswende. Sie würden entstehen, um die Energieversorgung Deutschlands sicherzustellen, sagt eine Sprecherin dazu. Zu einer Gasmangellage dürfte das allmähliche Verbot von Gasheizungen in Deutschland allerdings nicht führen, zu einem neuen Gasüberschuss aber schon.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de