Geopolitik

Explosionen bei Nord Stream: Was sagt eigentlich China?

China hält sich bei der Frage, wer die Pipelines in der Ostsee gesprengt hat, auffällig zurück. Peking fährt eine andere Linie als Moskau.

Das Nord Stream 1-Gasleck in der Ostsee. An den Nord-Stream-Gasleitungen in der Ostsee gibt es insgesamt vier Lecks.
Das Nord Stream 1-Gasleck in der Ostsee. An den Nord-Stream-Gasleitungen in der Ostsee gibt es insgesamt vier Lecks.Swedish Coast Guard/dpa

Die Kommentare aus Peking zu den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines kamen mit einiger Verzögerung und fielen weit weniger deutlich aus, als zu erwarten gewesen wäre. Auffallend ist vor allem, dass China auf eine eindeutige Schuldzuweisung in Richtung der USA verzichtet – eine Lesart, die vor allem der Kreml in den vergangenen Tagen immer wieder forciert hatte. In einem Meinungsbeitrag meldet das kommunistische Zentralorgan China Daily zunächst die Entdeckung eines vierten Lecks durch Schweden und berichtet, „dass einige europäische Beamte und Energieexperten prompt Russland die Schuld zuwiesen und behaupteten, dass es direkt von höheren Energiepreisen und wirtschaftlicher Angst in ganz Europa profitiert“.

Das Blatt deutet schließlich an, dass „der Verlust der Hebelwirkung“, den Russland zu erleiden habe, „etwas anderes vermuten lässt“. Dann referiert China Daily, was so alles diskutiert wird. Die Zeitung schreibt, es werde spekuliert, „dass die Ukraine verantwortlich gewesen sein könnte, um Russland einen Angriff auf die Energieinfrastruktur der Europäischen Union anzuhängen und die Nato in dem Konflikt auf ihre Seite zu ziehen“.

Eine mögliche Verursachung durch die USA wird nur angedeutet: „Andere haben mit dem Finger auf die Vereinigten Staaten gezeigt.“ So sei ein Videoclip vom Februar in den sozialen Medien viral gegangen, in dem US-Präsident Joe Biden versprochen habe, „den Betrieb von Nord Stream 2 zu verhindern, wenn Russland seine ,militärische Spezialoperation‘ in der Ukraine beginnt“. Es habe „auch Medienberichte über die häufige Präsenz von Schiffen der States Navy“ gegeben, die „seit August in der Nähe der Gewässer“ unterwegs seien.

Doch die chinesische Führung macht sich diese Lesart nicht zu eigen. China Daily: „Da jedoch keine Partei in die Öffentlichkeit tritt, um die Verantwortung zu übernehmen, bleibt abzuwarten, ob eine Untersuchung feststellen kann, was passiert ist, und, wenn der Schaden vorsätzlich verursacht wurde, wer zur Rechenschaft gezogen werden sollte.“ Die Energiekrise in Europa habe sich „zweifellos noch verschärft, und die Aussichten für die europäischen Länder im kommenden Winter sind noch düsterer als zuvor“.

Die Lecks in den Nord-Stream-Pipelines hätten „die Ukraine-Krise noch unsicherer und komplexer gemacht“. Außerdem seien die Lecks wegen des Methan-Austritts eine „Klimakatastrophe“. Das Fazit der Chinesen: „Die wahrscheinliche Sabotage sollte die Mitglieder der Weltgemeinschaft dazu veranlassen, sich zusammenzuschließen, um eine friedliche Lösung zur frühzeitigen Beendigung der Ukraine-Krise zu finden. Nicht zuletzt, weil alle Länder die Auswirkungen zu spüren bekommen.“ Gespräche zur Beendigung des Konflikts seien „unerlässlich, um die scheinbar unerbittliche Spirale in einen Abgrund aufzuhalten“.

Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger sagte am Montag vor der Asia Society in New York, dass die Führung in Peking ihre Position gegenüber Russland angesichts der Kriegsentwicklung in der Ukraine überdenken werde. Nachdem China dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Erwartung eines schnellen Sieges einen „Blankoscheck“ ausgestellt habe, werde die kommunistische Partei nun „ihr Denken anpassen“ und sich „der Realität stellen, dass Russland viel schwächer ist, als dies von China und anderen erwartet“ worden sei. China würde sich mit der Frage beschäftigen, wie es sich verhalten solle, „wenn Russland kollabiert“. Weil man selbst nicht in eine ähnliche Lage wie Moskau geraten wolle, sei es denkbar, dass China einen „Friedensprozess“ anstoßen könnte.

Die schwedische Küstenwache hat am Montag ein Tauchschiff zum Standort der Explosionen in der Ostsee geschickt. „Die Küstenwache ist für die Mission verantwortlich, aber wir unterstützen sie mit Einheiten“, sagte ein Sprecher der schwedischen Marine laut Reuters. Die Marine habe die „HMS Belos“, ein U-Boot-Rettungs- und Tauchschiff, zur Stelle der Explosionen geschickt.

Schwedens Staatsanwaltschaft teilte in einer Pressemitteilung mit, dass sie das Gebiet als Tatort ausgewiesen habe. Ein Sprecher der schwedischen Küstenwache bestätigte, dass eine Sperrzone von fünf Seemeilen um die Lecks eingerichtet worden sei. Zuvor hatte die schwedische Küstenwache gesagt, aus Nord Stream 1 trete keine Gas mehr aus. Ein Überflug deute jedoch darauf hin, dass Gas immer noch aus Nord Stream 2 abfließe und über einen 30-Meter-Radius an die Oberfläche sprudele.

Der Kreml wiederholte seine Anschuldigungen, dass der Westen für die Explosionen verantwortlich sei, und gab laut Reuters an, dass die Vereinigten Staaten infolge der Vorkommnisse in der Lage gewesen seien, den Verkauf und die Preise ihres verflüssigten Erdgases (LNG) zu steigern. Der russische Gazprom-Konzern teilte mit, dass Gaslieferungen an der letzten verbleibenden intakten Pipeline im Netzwerk von Nord Stream 2 wieder aufgenommen werden könnten. Der Vorschlag ist jedoch aktuell nicht umsetzbar, weil Nord Stream 2 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine weiterhin mit Sanktionen belegt ist. „Wenn eine Entscheidung getroffen wird, Lieferungen über die Linie B von Nord Stream 2 aufzunehmen, wird Erdgas in die Pipeline gepumpt, nachdem die Integrität des Systems von den Aufsichtsbehörden überprüft und verifiziert wurde“, teilte Gazprom mit. Der Vorschlag folgt auf Äußerungen des stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten am Sonntag, dass das Nord-Stream-Netz repariert werden könnte, wenn Zeit und genügend Mittel vorhanden seien.

Aufgeschreckt durch die Nord-Stream-Sprengungen haben europäische Länder begonnen, die Sicherheit und Überwachung kritischer Infrastruktur zu verstärken. Norwegen, Europas Hauptgaslieferant und ein großer Ölexporteur, sagte, es habe Soldaten eingesetzt, um große Onshore-Öl- und Gasverarbeitungsanlagen zu bewachen. Italien hat die Überwachung und Kontrolle von Energie- und Telekommunikationskabeln unter Wasser verstärkt, berichtet Reuters.

Eni, der größte Importeur von russischem Gas in Italien, sagte am Wochenende, Russland habe alle Gasflüsse durch den Einspeisepunkt in Tarvisio (Tarvis) an der österreichischen Grenze gestoppt. ENI-Chef Claudio Descalzi  machte am Montag kurzfristige technische Probleme für den Stopp verantwortlich. Die Unterbrechung der Flüsse durch den Einspeisepunkt Tarvisio habe „absolut nichts mit geopolitischen Faktoren zu tun“. Die Unterbrechung liege vielmehr daran, dass Gazprom für den Gastransport von Österreich nach Italien eine Geldgarantie zahlen müsste, die es vorher nicht gab, sagte Descalzi laut Reuters.