Kolumne

Energiesanktionen machen Putin reich!

Die Sanktionen gegen Russland schaden mehr, als dass sie nützen. Zeit für ein paar Gegenmaßnahmen. Unser Autor hat konkrete Vorschläge.

Ein Fußgänger geht in Belgrad an einem teilweise vandalisierten Graffito vorbei, das den russischen Präsidenten Wladimir Putin zeigt.
Ein Fußgänger geht in Belgrad an einem teilweise vandalisierten Graffito vorbei, das den russischen Präsidenten Wladimir Putin zeigt.AFP/Andrej Isakovic

Deutschland zittert, und bald könnten wir auch frieren. Vor dem Ukrainekrieg bezog Deutschland noch etwa 55 Prozent seines Gases aus Russland, mittlerweile sind es noch 35 Prozent. Es ist unklar, wie lange Russland noch Gas liefert und ob die Gasspeicher im Herbst ausreichend befüllt sein werden, um private Haushalte und Unternehmen durch den Winter zu bringen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) betont, dies werde „Deutschland vor eine Zerreißprobe stellen, die wir lange so nicht hatten.“ Habeck appelliert dabei vorsorglich an die Bürgerinnen und Bürger, die Heizung runterzudrehen und kürzer zu duschen. Alt-Bundespräsident Joachim Gauck, dem wir neben einem jährlichen Ehrensold von etwa 240.000 Euro neun Büros auf 197 Quadratmetern finanzieren, fordert uns gar auf, weniger zu jammern und für den Frieden zu frieren.

Auswirkungen der Energieknappheit

Kürzlich tobte in Deutschland noch ein heftiger Streit unter Ökonomen um aktive Energieboykotte, um Russland zu schwächen. Eine Gruppe deutscher Ökonomen, die überwiegend an Universitäten in den USA und in Großbritannien forschen und lehren, forderte den Cold Turkey (Kalter Entzug) und den vollständigen Verzicht auf Energieimporte aus Russland.

Dabei bekommen wir bereits jetzt, ganz ohne Boykotte, eine Vorahnung von den Auswirkungen der Energieknappheit. Die Energiepreise gehen durch die Decke. Die Energiewende wird kurzfristig trotz Klimawandels abgesagt, während die amerikanische Regierung und Scheichs in Diktaturen sich über neue Abnehmer für ihr Fracking-Gas freuen.

Hunger- und Energieaufstände

Die Vereinten Nationen warnen aufgrund steigender Getreidepreise und ökonomischer Verwerfungen vor Hungerkatastrophen in Afrika. In Sri Lanka herrscht mittlerweile Devisen- und Treibstoffmangel. Ein Mix aus ausbleibenden Touristen während der Corona-Krise, korrupter Eliten und Explosion der Gaspreise führte das Land an den Rand des Zusammenbruchs. Die Bevölkerung stürmte den Präsidentenpalast und setzte den Amtssitz des Premierministers in Brand. Zuvor hatte die Regierung sich in ihrer Verzweiflung an den Internationalen Währungsfonds, Russland und China gewandt. In Afrika, Asien und Lateinamerika drohen weitere Hunger- und Energieaufstände.

Doch auch in Deutschland drohen Wirtschaftseinbruch, Arbeitslosigkeit und Schock-Inflation. Die Ölraffinerie in Schwedt, die Berlin und Brandenburg mit Benzin und Heizöl versorgt, lässt sich mittelfristig noch durch eine Enteignung von Rosneft und eine Umrüstung auf andere Ölsorten ertüchtigen. Aber für russisches Gas und auch Kohle gibt es kurzfristig keinen Ersatz.

In Industriebetrieben droht Rationierung oder gar die Einstellung der Produktion. Dies betrifft etwa Stahlwerke, die Kohle verheizen, und Großverbraucher von Strom. In Bereichen wie der Glasindustrie gehen die Anlagen bei einem Gas-Stopp unumkehrbar kaputt, weshalb sie in den Notfallplänen der Bundesnetzagentur Sondergenehmigungen zur Gasnutzung erhalten. Zudem lösen Energieschocks Kaskadeneffekte aus. Wir können derzeit im Supermarkt beobachten, wie sich die Unterbrechung globaler Wertschöpfungsketten in China während der Corona-Krise durch die Verbraucherpreise frisst.

Russland ist ein Riesenreich mit enormen Ressourcen

Doch auch wenn ein Energieboykott Deutschlands vom Tisch ist, sollten wir uns ehrlich bewusst machen: Energiesanktionen, die Russland von Euros und Dollars abschneiden sollen, machen Putin reich. Russland verzeichnet Rekordeinnahmen aus Energieverkäufen. Denn die steigenden Preise machen die geringeren Absatzmengen wett und China springt als Abnehmer, etwa von Öl, ein. Zudem braucht Putin weder Euros noch Dollars, um Lebensmittel, Öl oder Waffen zu finanzieren und Soldaten zu bezahlen. Russland ist ein Riesenreich mit enormen Ressourcen, und seinen Krieg finanziert es überwiegend in Rubel.

Dies bedeutet nicht, dass die Sanktionen etwa bei Hochtechnologie oder der Druck auf Oligarchen vollkommen wirkungslos sind. Doch welchen Zweck sollen Energiesanktionen haben, die mehr schaden als nützen und in der Welt eine Spur der Verwüstung ziehen? Zumal selbst im Kalten Krieg die Energieversorgung nicht unterbrochen wurde. Abgesehen davon, dass wohl niemand auf die Idee gekommen wäre, Energiesanktionen beim Überfall der USA auf den Irak zu verhängen, der eine halbe Million Menschen das Leben kostete. Kürzlich setzte bereits Kanada die Sanktionen bei der Lieferung einer Turbine für den Betrieb der Nord-Stream-1-Pipeline aus, um Deutschland die Gasversorgung zu ermöglichen. Ob Russland die Gasversorgung nach der Reparatur der Turbine unvermindert fortsetzt, ist noch nicht absehbar.

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BLZ/Paulus Ponizak
Zum Autor
Fabio De Masi war Mitglied des Deutschen Bundestages sowie des Europäischen Parlaments und machte sich dort bei der Aufklärung von Finanzskandalen – etwa um den Zahlungsdienstleister Wirecard einen Namen. Er ist Kolumnist bei der Berliner Zeitung.

Man müsste die Energiewende vorantreiben

Kluge Politik wäre es, Russland im Gegenzug für einen Waffenstillstand und eine Rückkehr an den Verhandlungstisch den Verzicht auf Energiesanktionen anzubieten. Dies könnte helfen, breitere Allianzen mit Entwicklungs- und Schwellenländern wie Indien für eine Verhandlungslösung im Ukrainekrieg zu schaffen. Davon unbenommen müsste die Energiewende beherzt vorangetrieben werden, um zukünftig nicht erpressbar zu sein.

Verantwortungslos ist es indes, wie Wirtschaftsminister Habeck einen Gaspreisdeckel abzulehnen, wie ihn die Ökonomen Isabella Weber und Sebastian Dullien vorgeschlagen haben. Dieser würde einen Grundverbrauch an Gas subventionieren und so einkommensschwache Haushalte, die mit Gas heizen, gezielt entlasten und sogar Anreize zum Energiesparen setzen. Wer Solidarität immer von den Schwächsten erwartet, sollte sich nicht wundern, wenn die Stimmung kippt!

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