Investmentbanker sind in der Regel gute Dialektiker: Sie sagen das eine, meinen etwas anderes und machen am Ende mit der richtigen Wette viel Geld – ohne darüber zu reden. Die Disziplin beherrscht auch der französische Präsident Emmanuel Macron, der lange Jahre als Investmentbanker in London gearbeitet hat.
Nach seinem Besuch in China gab Macron zwei Interviews, eines dem US-Magazin Politico, das andere der französischen Zeitung Les Echos. Die kolportierte Kernaussage: Europa müsse eine dritte Supermacht werden, müsse strategische Autonomie erlangen, dürfe nicht zum Vasall der USA werden und habe kein Interesse daran, den Konflikt um Taiwan zu beschleunigen. Im Detail gelesen sagte Macron nichts anderes, als er immer schon gesagt hat.
Auch die französische Diplomatie spricht seit Längerem offen von der „multipolaren Weltordnung“, meint damit aber nicht, dass China auf Augenhöhe mit dem Westen gesehen wird; es geht Paris darum, seine eigene Position in der westlichen Allianz zu stärken.
Der konservative australische Sender Sky stellte in einer Analyse von Macrons Aussagen („an der Grenze zum Unsinn“) einen wichtigen Zusammenhang her: Vor wenigen Monaten war Frankreich in letzter Sekunde von Briten und Amerikanern in einem milliardenschweren U-Boot-Deal mit Australien ausgebootet worden. Australien, die USA und Großbritannien gründeten das Militärbündnis AUKUS, das sich gegen China richtet. Für Macron ist die westliche Allianz ohne Paris ein Affront, zumal Frankreich seine globale Bedeutung auch militärisch verteidigen will: „Frankreich ist die einzige EU-Macht, die aktiv in der Indopazifik-Region präsent ist, einschließlich mit vorpositionierten Streitkräften“, schreibt die Japan Times. So gesehen war der erste Zweck der scheinbar antiamerikanischen Aussagen Macrons ein kleines Revanchefoul, mehr aber auch nicht. Deshalb sind auch nur die Transatlantiker aus der zweiten Reihe ausgerückt, um Macron formal zu widersprechen.
Wie die New York Times zweifelt niemand an Macrons transaltantischer Treue. ´Die Japan Times beobachtet allerdings ein Unbehagen, das sich weltweit breitgemacht hat, vor allem auf den großen Finanzplätzen. Die Japan Times zitiert den Politologen Eric Frecon, der meint, Macrons Kritik an den USA beziehe sich „auf die Extraterritorialität der US-Gesetze, die sich in die französische Wirtschaft und Diplomatie einmischen“. Frecon sagt, auch andere in Europa würden sich über den Einsatz des Dollars als geopolitische Waffe beschweren, da die Amerikaner wegen der Vormachtstellung des Dollars europäische Unternehmen zwingen könnten, Geschäfte mit von Washington sanktionierten Staaten abzubrechen, um nicht selbst mit sekundären Sanktionen rechnen zu müssen.
Deutschland: 59 Prozent von chinesischer Technologie im Breitbandbereich abhängig
Bei genauem Hinsehen zielen Macrons Aussagen allerdings vor allem auf Deutschland: Denn die nächste US-Attacke wird sich gegen die großen chinesischen Technologiefirmen wie Huawei richten. In der angelsächsischen Welt wird bereits gemunkelt, dass Deutschland hier ein ähnliches Desaster erleben könnte wie bei Nord Stream, wo es eine zu große Abhängigkeit von Russland im Energiesektor gegeben habe. Die Franzosen hatten das Problem nicht, weil sie ihre eigene Atom-Wirtschaft hat.
Eine aktuelle Studie des Center for European Policy Analysis (CEPA) zeigt, dass Deutschland im vergangenen Jahr zu 59 Prozent von chinesischer Technologie im Breitbandbereich abhängig war. Der chinesische Anteil im französischen 5G-Netz lag dagegen bei mickrigen elf Prozent – das ist weniger als die Hälfte der chinesischen Penetration seines 4G-Netzes. Paris kann somit die erwartbare Forderung aus Washington, dass Deutschland sich von chinesischen Anbietern zu trennen habe, aus voller Überzeugung unterstützen.



