Landwirtschaft

Bauernaufstände: Platzt der EU-Beitritt der Ukraine doch noch?

Die üppigen Agrarsubventionen könnten dazu führen, dass die EU feststellt: Die Ukraine ist zu groß für uns.

Rumänische Bauern protestieren am 7. April vor der Vertretung der EU-Kommission in Bukarest.
Rumänische Bauern protestieren am 7. April vor der Vertretung der EU-Kommission in Bukarest.AP Photo/Andreea Alexandru

Die Ukraine ist um ihren EU-Beitritt besorgt: Grund sind die jüngsten Spannungen zwischen einigen osteuropäischen Staaten und der Regierung in Kiew über Getreideexporte aus der Ukraine. Ausgerechnet der engste militärische Unterstützer der Ukraine, Polen, hatte am Wochenende ein Getreideembargo verhängt.

Der Grund: Polen – und in der Folge auch Ungarn, die Slowakei und Bulgarien – lehnen einen zollfreien Import von ukrainischen Agrarprodukten in ihre Länder ab, weil dies zu einem Preisverfall führen würde. Die Bauern und Landwirtschaftsverbände hatten bereits Druck gemacht und vor einer existenziellen Bedrohung der jeweiligen heimischen Lebensmittelproduzenten gewarnt. Der Streit wurde zwar dahingehend beigelegt, dass etwa Polen seine Blockade aufgehoben und den Transit für ukrainische Agrarprodukte erlaubt hatte.

Zuvor hatte die EU-Kommission interveniert und betont, dass die Entscheidung über Zölle nicht im Ermessen der Mitgliedstaaten liege, sondern bei ihr. Zwar akzeptiert die EU-Kommission vorerst die bilaterale Einigung zwischen Warschau und Kiew, doch pocht Brüssel auf seine Zuständigkeit. „Wir bestehen darauf, dass dies ein erster Schritt ist“, so die Kommissionssprecherin. Die Slowakei hat Einfuhren aus der Ukraine ebenfalls beschränkt, jedoch betont, dass der Transit weiterhin gestattet sei. Zudem verhängte Bulgarien einen Importstopp ab 24. April bis Ende Juni. Der Transit ist aber weiterhin möglich.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte unterdessen „Schutzmaßnahmen“ an, wie die dpa berichtet. Von der Leyen habe einen Brief an betroffene Länder geschickt und mit Blick auf Produkte wie Weizen, Mais und Sonnenblumen entsprechende Schritte vorgeschlagen, sagte eine Kommissionssprecherin am Mittwoch. Wie diese Maßnahmen im Detail aussehen, wurde nicht gesagt. Theoretisch könnten etwa wieder Zölle auf die Agrarimporte erhoben werden. Derzeit werden auf die ukrainischen Agrarprodukte wegen des russischen Angriffskriegs keine Zölle erhoben.

Der Streit wirft jedoch eine grundsätzliche Frage im Hinblick auf den EU-Beitritt der Ukraine auf: Er verdeutlicht, wie das Magazin Politico analysiert, „das Ausmaß der Herausforderung, die gewaltige Agrar-Kraft der Ukraine in den Binnenmarkt zu integrieren“, ein Problem, vor dem viele westliche Diplomaten seit Monaten gewarnt hatten. Der äußerst wettbewerbsfähige und produktive Agrarsektor der Ukraine sei demnach nur das unmittelbar anstehende Problem, so Politico.

Das viel größere Problem dürfte der Verteilungskampf sein, der sich aus dem Anspruch auf die massiven Subventionen aus der Gemeinsamen Agrarpolitik und den EU-Strukturfonds ergibt, die der Ukraine als EU-Mitglied zustünden. Sollte die EU nicht eine grundlegende Reform ihrer Agrarsubventionen beschließen, müssten die Mittel für viele EU-Staaten gekürzt werden, um für den Netto-Empfänger Ukraine Gelder freizuschlagen. Mit der Freizügigkeit in der EU könnte die vollwertige Mitgliedschaft der Ukraine viele landwirtschaftliche Betriebe in anderen Ländern unter Druck setzen, weil die Ukraine sehr effizient und profitabel produzieren kann.

Die Debatte dürfte daher bald grundsätzlicher Natur sein. So schreibt die regierungsnahe Budapester Tageszeitung Magyar Nemzet am Donnerstag, die Ungarn hätten gelernt, „dass die Führung der EU, mit der Europäischen Kommission an der Spitze, mit allen Mitteln danach strebt, aus der Union unabhängiger, souveräner Staaten die ,Vereinigten Staaten von Europa‘ zu formen“. Die ungarischen Landwirte dürften „nicht bloß deshalb Nachteile erleiden, weil irgendwer irgendwo entschieden hat, dass von nun an die europäische Landwirtschaft zu kollektivieren sei“. Die Zeitung weiter: „Wir brauchen kein ukrainisches Getreide, so wie wir auch sonst nichts brauchen, womit unsere Lagerhäuser voll sind und wovon wir selbst jede Menge produzieren, womit wir wettbewerbsfähig sind und es auch bleiben.“

In Kiew ist man nun besorgt, dass dieser Konflikt den EU-Beitritt der Ukraine verzögern könnte. So berichtet Politico, dass die Rede von Präsident Wolodymyr Selenskyj auf dem EU-Gipfel im vergangenen Monat kaum Interesse bei den Teilnehmern fand. Der Gipfel sei stattdessen vom Streit über den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor und Sorgen wegen der Credit Suisse überschattet gewesen. Ein hochrangiger EU-Beamter bezeichnete die Getreidekrise als „Realitätscheck“.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht den Streit um ukrainische Agrarexporte in die EU dagegen nicht als Gefahr für den Zusammenhalt bei der Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen Russland nach der Invasion der Russen vor über einem Jahr. Er sieht den Streit auch nicht als Anzeichen für wachsende Kriegsmüdigkeit oder einer Ermüdung bei der militärischen Unterstützung: „Ich bin zuversichtlich, dass es Wege gibt, diese Herausforderungen anzugehen“, sagte Stoltenberg am Mittwoch bei einer Pressekonferenz mit Tschechiens Präsident Petr Pavel in Brüssel.

Zudem sei er überzeugt, dass es in ganz Europa einen enormen Willen gebe, die Ukraine weiter zu unterstützen. Dies sei auch eine moralische Frage, denn wenn eine souveräne unabhängige Nation in Europa von einem anderen Staat brutal angegriffen werde, sei es moralisch richtig, sie zu unterstützen, so Stoltenberg. Zudem sei es im europäischen „Sicherheitsinteresse“, die Ukraine zu unterstützen, denn ein Sieg von Russlands Präsident Wladimir Putin im Krieg gegen die Ukraine mache die Welt gefährlicher, so Stoltenberg laut dpa.