Europa

Affäre Eva Kaili: Ein Gewitter zieht auf über den „Unantastbaren“

Die EU will nach dem Korruptionsskandal transparenter werden. Ursula von der Leyen soll in einem öffentlichen Hearing Rechenschaft über den Pfizer-Deal ablegen. 

Ursula von der Leyen bei einer Ukraine-Rede vor dem EU-Parlament. 
Ursula von der Leyen bei einer Ukraine-Rede vor dem EU-Parlament. AFP

Der Skandal um die frühere Vizepräsidentin des EU-Parlaments sorgt für neue Unruhe in Brüssel. Während der Anwalt von Kaili erklärte, dass seine Mandantin unschuldig sei und die Lage so darstellte, als sei Kaili Opfer von finsteren Machenschaften in ihrem Umfeld geworden, gerieten weitere Politiker in den Strudel des Skandals. So musste in dieser Woche die sozialdemokratische belgische Abgeordnete Maria Arena als Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses zurücktreten: Das Magazin Politico hatte enthüllt, dass der Ausschuss eine verdächtige Nähe zu dubiosen NGOs hatte, deren Proponenten wie Eva Kaili vor Weihnachten verhaftet wurden. Arena hatte sich eine Reise nach Katar von der dortigen Regierung finanzieren lassen. Politico beschreibt Beratungen aus dem EU-Parlament, in denen der Eindruck erweckt wurde, dass die Kataris dafür gesorgt hätten, dass die Vereinigten Arabischen Emirate (VAR) den Schwarzen Peter in Sachen schlechte Menschenrechtslage zugeschoben bekommen. Arena sagte in ihrem Rücktrittsstatement laut der belgischen Nachrichtenagentur Belga „laut und klar“, dass sie mit Korruption nichts zu tun habe.

Damit ist die Sache für das EU-Parlament aber noch lange nicht ausgestanden: Noch im Januar soll das Parlament über die Aufhebung der Immunität von zwei weiteren Abgeordneten entscheiden, die in den Skandal verwickelt sind. „Ich fürchte, wir sind noch nicht am Ende mit dem Skandal“, sagte der Grüne EU-Parlamentarier Daniel Freund der Berliner Zeitung. Freund kämpft seit Jahren für mehr Transparenz in den EU-Institutionen. Er sieht ein Problem in der mangelnden Kontrolle: „Bei einigen wenigen Abgeordneten gibt es leider sicherlich ein Gefühl der Unantastbarkeit. Eine Einstellung, man könne sich alles erlauben.“ Freund sagt, dass die Kontrollen im EU-Parlament unbedingt verschärft werden müssten.

Freund sieht ein grundsätzliches Problem in der Aufklärung von Bestechlichkeit: „Korruption ist immer sehr schwer nachzuweisen – wie soll man den Zusammenhang nachweisen, dass eine bestimmte Rede nur gehalten wurde, weil Geld geflossen ist?“ Daher sei es „gut, dass die belgischen Behörden aktiv geworden sind“. Freund  hofft, „dass die Behörden genug Beweise haben und dass ein Gericht am Ende eine Verurteilung aussprechen kann, wenn strafbares Verhalten nachgewiesen werden konnte“. Denn trotz der medialen Wucht, die sich gegen Kaili entfaltet hat, gilt zunächst die Unschuldsvermutung. Wirklich schuldhaftes Verhalten so nachzuweisen, dass ein Gericht ein Urteil sprechen kann, sei in solchen Fällen schwer, sagt Freund: „Es gibt immer ein hohes Risiko, dass bei solchen Ermittlungen etwas schiefgelaufen ist. Es kann formale Fehler geben, etwa im Durchsuchungsbefehl.“

Noch ist völlig unklar, wie die Behörden Kaili so eklatant auf frischer Tat ertappten konnten, dass ihre Immunität automatisch aufgehoben wurde und die Griechin direkt ins Gefängnis wanderte. Freund sagt, es sei „schwer vorstellbar, dass Kaili abgehört wurde, in Deutschland ist das bei Bundestagsabgeordneten ausgeschlossen, solange die Immunität nicht aufgehoben wurde“. Die Ermittler werden hier also noch einiges an Arbeit zu leisten haben, eher eine Anklage erhoben werden kann. Es sei allerdings „auch denkbar, dass am Ende eine Verurteilung nicht wegen Korruption, sondern wegen eines anderen Delikts erfolgt“, sagt Daniel Freund. Er warnt vor allem davor, dass jetzt ein generelles Misstrauen um sich greift, wenn es um die verschiedenen Player in Brüssel geht: „Das allgemeine NGO-Bashing, wie es jetzt von einigen konservativen Abgeordneten betrieben wird, ist Unfug. Wir können nicht alle NGOs unter Generalverdacht stellen.“

Für den Transparenz-Experten Freund ist eine vollständige Aufklärung dennoch unerlässlich. Denn die Demokratie in Europa könnte Schaden nehmen, wenn der Eindruck entsteht, dass in Brüssel Politik käuflich sei: „Das Schlimmste, was uns passierten kann, ist, dass die Leute jetzt sagen: Die in Brüssel sind eh alle korrupt. Dann verlieren wir den Kampf gegen die Korruption.“

„Transparenz ist unerlässlich, um das Vertrauen unserer Bürger in die europäischen Institutionen sicherzustellen“, sagt auch die belgische EU-Abgeordnete Kathleen Van Brempt. Sie ist Vorsitzende des Covid-19-Ausschusses des Europäischen Parlaments und will einen besonders Beitrag leisten, um aufzuklären. Die Abgeordneten, die diesen Ausschuss leiten, haben beschlossen, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorzuladen. In einem öffentlichen Auftritt solle sich von der Leyen einem Hearing stellen, um über ihre geheimen Pfizer-Deals Rechenschaft abzulegen, berichtet Politico.

Die Abgeordneten wollen von der Leyen nach ihrer Rolle bei der Aushandlung eines mehrere Milliarden Euro schweren Impfstoffvertrags befragen. Im Vorfeld dieses Vertrages soll sie SMS mit Pfizer-Chef Albert Bourla ausgetauscht haben. Diese Nachrichten sind verschwunden. Weder der Rechnungshof noch die EU-Ombudsfrau haben zu diesem ungewöhnlichen Vorgehen von der Leyens Auskunft erhalten. Die Europäische Union habe massive öffentliche Mittel für die Herstellung und den Kauf von Impfstoffen aufgewendet, schreibt Van Brempt in einer Erklärung: „Das Parlament hat das Recht, vollständige Transparenz über die Modalitäten dieser Ausgaben und die ihnen vorangehenden Vorverhandlungen zu erlangen.“

Van Brempt will außerdem, dass der Ausschuss als Reaktion auf die Aussageverweigerung von Pfizer-Chef Albert Bourla dafür sorgt, Pfizer die Zugangsprivilegien zum EU- Parlament zu entziehen. Dies ist vor einiger Zeit bereits einmal geschehen, als nämlich Monsanto seine Privilegien verlor. Allerdings ist diese Maßnahme kein scharfes Schwert: Einzelne Abgeordnete können weiterhin Pfizer-Lobbyisten als private Gäste anmelden. Politico glaubt dennoch, dass das Parlament die Gangart gegen von der Leyen und Pfizer verschärfen dürfte: „Auch symbolische Schritte haben ihren Platz, wenn die EU-Institutionen versuchen, ihren jüngsten Reputationsschaden zu reparieren.“

Daniel Freund möchte jedoch, dass das EU-Parlament auch seine eigene Situation verbessert: „Natürlich ist es ein Problem, dass die SMS von Ursula von der Leyen verschwunden sind. Aber wir müssen jetzt schon auf das EU-Parlament schauen, denn dort war der Skandal.“ Dies sei auch nicht besonders schwer: „Wir brauchen drei Dinge: Die Einhaltung der Regeln muss von einer unabhängigen Instanz kontrolliert werden. Die Vermögensverhältnisse der Abgeordneten müssen zu Beginn und Ende ihres Mandats offengelegt werden. Und wir brauchen einen guten Hinweisgeberschutz, damit Mitarbeiter, die Verfehlungen melden, keine Nachteile zu befürchten haben.“