Tulpen und Tomaten

Abschied vom Garten: Was jetzt in den Beeten noch zu tun ist

Unsere Kolumnistin ist verreist – konnte die Wandertour aber nicht komplett genießen: Immer wieder kreisten ihre Gedanken um ihren verwaisten Garten in Berlin.

Willkommen zu Hause: Wer nach einer Sommerreise heimkehrt, findet Äpfel faul am Boden liegen.
Willkommen zu Hause: Wer nach einer Sommerreise heimkehrt, findet Äpfel faul am Boden liegen.Imago

Ohne Tomaten ist eine Saison nutzlos. Tut mir leid, aber so sehe ich das. Jedes Jahr im Februar säe ich, pikiert wird im März, und nach den Eisheiligen im Mai kommen die strammsten Pflänzchen, sorgfältig an einen Stab gebunden, nach draußen. Meine Leidenschaft für Tomaten hat familiäre Gründe, das würde jetzt hier zu weit führen, aber Fakt ist: Ein Gemüsebeet ohne Tomaten kommt für mich nicht in Frage.

Ich kümmere mich täglich. Lockere den Boden, sammle die Schnecken ab, gieße mit handwarmem Wasser und geize die Triebe aus. „Wenn du die Tomaten verkaufen würdest, müsstest du pro Stück mindestens 12 Euro nehmen, damit sich das rechnet!“, sagt stets mein Mann. Was soll ich dazu sagen? Der Mann ist Ingenieur, der denkt in Zahlen, nicht in Buchstaben; alles wird immer mit allem verrechnet. Vom Gärtnern aber hat er keine Ahnung. Ich verkaufe meine Tomaten nicht. Natürlich nicht. Selber esse ich sie allerdings auch so gut wie nie.

Es ist nämlich so: Jeden Sommer, nicht selten an genau dem Tag, an dem die ersten Früchte beginnen, sich rot zu färben, packe ich meinen Koffer und fahre in den Urlaub. Dann gieße ich ein letztes Mal, prüfe, ob die Stäbe stabil genug sind, um die mittlerweile mannshohen Pflanzen zu halten, fülle die Kannen bis zum Rand mit Regenwasser und gebe meinen Lieblingen eine Handvoll Kompost an die Füße. Auch von allem anderen nehme ich Abschied.

Vor dem Trip ein letztes Mal den Rasen harken

Den Brombeeren sage ich „Adieu“, auf die Knospen des Hibiskus schaue ich mit Wehmut, der Rasen wird ein letztes Mal geharkt, und dem kleinen Apfelbaum flüstere ich eindringlich zu, dass er sich mit der Reife seiner Früchte bitte Zeit lassen möge. Kurz vor der Abreise überreiche ich den Haustürschlüssel mit einer Reihe unnötiger Anweisungen und einem dicken Kloß im Hals unseren Nachbarn, werfe einen letzten Blick auf mein grünes Glück und ziehe hinter mir die Gartenpforte zu. Schrecklich.

Einen Garten im Sommer verlassen zu müssen, ist ähnlich schmerzhaft wie einen Film zu drehen, der niemals ins Kino kommt. Nicht, dass ich da Erfahrung hätte, aber ich stelle es mir ähnlich schmerzhaft vor. All die Arbeit, all die Mühe – umsonst! Und obwohl ich weiß, dass ich dieses Schicksal mit Millionen Freizeitgärtnerinnen und -gärtnern teile, die auch schulpflichtige Kinder haben, fällt mir der Abschied von meiner grünen Scholle jedes Jahr unendlich schwer.

Jetzt heißt es nur noch: Eimer schnappen und Fallobst einsammeln.
Jetzt heißt es nur noch: Eimer schnappen und Fallobst einsammeln.Imago

Wir besuchten für einige Tage meine Eltern, zum Abschluss ging es ins Gebirge. Eine Hüttentour in den Alpen. In den ersten Stunden, vielleicht auch Tagen dieser Reise hingen meine Gedanken zu Hause. Ich war bei den Stauden, den Gemüsekisten und dem Berliner Wetterbericht. Einmal schrieb ich den Nachbarn eine Nachricht, ich bat darum, das Gießen nicht zu vergessen: „Es soll trocken werden in den nächsten Tagen.“ Am Ende löschte ich die SMS. Was gab es mitzuteilen, was die beiden nicht auch ohne mich wüssten? Zum Abschalten muss man sich zwingen. Manchmal. Wir wanderten los.

Erst auf dem Berggipfel ist der Garten ganz weit weg

Der Ingenieur hatte die Strecke ausbaldowert, und schon nach wenigen Schritten balancierten wir über dicke Wurzeln, kraxelten über Steine und hangelten an Eisenkrampen über bedrohlich tiefe Felsspalten. Wir durchliefen dunkle Wälder, tranken Wasser aus eiskalten Bergbächen und erkämpften uns auf schmalen Gebirgspfaden oberhalb der Baumgrenze den Weg in Richtung Himmel. „Wie weit heute und wie viele Höhenmeter?“, lautete stets die erste Frage beim Hüttenfrühstück. Zahlen bestimmen eine jede Wandertour, dem Ingenieur war’s nur recht.

Auf über 2000 Metern ist die Welt grau, steinig und ohne jedes Grün. Wenn ich nicht mehr konnte, schaute ich stur nach unten und beobachtete meine Füße dabei, wie sie den nächsten Schritt taten. Einatmen. Ausatmen. Alle anderen Geräusche schluckte der Nebel. Mehr im Hier und Jetzt kann man nicht sein, mein Garten war mir scheißegal. Das Erreichen der nächsten Sitzmöglichkeit mit Alkoholausschank war das einzige, was zählte.

Acht Tage gingen wir, starteten kurz nach Sonnenaufgang und fielen am Abend, lange vor der Hüttenruhe, in die bettverwanzten Kojen. Wer wandert, hat Blasen an den Füßen, ungewaschene Haare und einen bleiernen Ganzkörpermuskelkater. Und obwohl ich meinen Mann zwischendurch mehrfach zu verlassen drohte: Am Ende eines jeden Tages war ich müde – und glücklich.

Nach der Rückkehr kann einiges geerntet und verspeist werden

Knapp drei Wochen dauerte dieser Familientrip, schließlich kehrten wir nach Berlin zurück. Ich rollerte den Koffer durchs Gartentor, mein erster Blick galt dem Apfelbaum im Vorgarten. Faulig und vergoren lag ein Großteil seiner Früchte auf dem Rasen und fette Nacktschnecken waren gerade dabei, sich genüsslich einzuverleiben, was noch von den Äpfeln übrig war. Einige hingen allerdings noch im Baum. Erntereif! Bei 27 hörte ich auf zu zählen. „Danke.“, nickte ich dem Bäumchen leise zu.

Der Kies knarzte unter meinen Füßen, langsam ging ich den Weg hinters Haus und machte mich innerlich bereit für das, was da jetzt kommen möge. Im Kräuterbeet herrschte blankes Chaos. Die Hainbuchenhecke war explodiert, und der Kerzenknöterich hatte schonungslos die gelbe Alchemilla plattgemacht. Auch der Giersch hatte meine Abwesenheit zu allerlei Auswuchs genutzt, und die abgeblühten Rosen ließen traurig ihre Köpfe hängen.

Alles in Allem aber hatte der Rasen weniger kahle Stellen als erwartet, den abgeblühten Lavendel hatte ich mir schlimmer vorgestellt, und die blaue Blüte des Hibiskus thronte majestätisch über dem Staudenbeet. Der Wein hing in großen, blauen Trauben an der Hauswand, unten drunter gab sich der Storchschnabel mächtig Mühe, und im Gemüsebeet empfingen mich erntereife Rote Beten, bunter Mangold und zwei Zucchini. Selbst ein paar Salatköpfe hatten die Schnecken übrig gelassen. Die Tomaten allerdings waren durch. Natürlich. Drei Wochen sind eine lange Zeit.

Ich schluckte, unterdrückte den Impuls, jetzt und hier sofort loszulegen, und ging ins Haus. „Schau mal,“ empfing mich der Ingenieur und zeigte auf die Küchenablage. Sieben große Flaschen standen da. Bis zum Rand gefüllt mit saftig-süßem Tomaten-Sugo. Daneben ein Zettel, handgeschrieben: „Willkommen zu Hause. Eure Nachbarn.“